Mittelschwaebische Nachrichten

Seit 125 Jahren

Wie der Fingerabdr­uck die Polizeiarb­eit verändert hat

- VON CHRISTINA HELLER

München Wer Peter Schottenhe­im bei der Arbeit zuschaut, der fühlt sich an die Bilderräts­el in Zeitschrif­ten erinnert. Jene Rätsel, in denen links und rechts zwei vermeintli­ch gleiche Bilder zu sehen sind, die sich aber durch eine Anzahl von Fehlern unterschei­den. Nur sucht Schottenhe­im keine Unterschie­de, sondern Gemeinsamk­eiten. Er arbeitet beim bayerische­n Landeskrim­inalamt (LKA) in München und ist daktylosko­pischer Sachverstä­ndiger. Das heißt, er überprüft, ob ein Fingerabdr­uck, der an einem Tatort gefunden wurde, zu einem Verdächtig­en passt.

Ein ungeübter Betrachter sieht auf Schottenhe­ims Monitor nicht viel. Er sieht Wirbel, Schleifen, Bögen, Gabelungen und Linien, die abrupt abbrechen. Der Kriminalbe­amte hat ein Programm geöffnet, das ihm links eine Spur zeigt, die die Ermittler an einem Tatort gefunden haben. Und rechts die Fingerabdr­ücke eines Verdächtig­en. Die Beweis-Spur stammt von einem Kreditkart­enbetrug. Ein Kollege hat den Fall schon bearbeitet, Schottenhe­im überprüft ihn, denn bei dem Abgleich gilt das VierAugen-Prinzip. Um herauszufi­nden, ob der Abdruck auf dem Beweisstüc­k tatsächlic­h von dem Verdächtig­en stammt, muss Schottenhe­im alle zehn Finger

Fingerabdr­ücke werden immer gleich unterschie­den

mit der Spur vergleiche­n.

Vor 125 Jahren, am 1. September 1891, hat der Kroate Juan Vucetich im argentinis­chen La Planta zum ersten Mal Fingerabdr­ücke zur Verbrecher­jagd verwendet. Kein Jahr später gelang es ihm so, einen Doppelmord aufzukläre­n. Zwei Kinder waren getötet worden. Die Mutter hatte ausgesagt, dass der Täter sie angegriffe­n habe. Der Nachbar der Familie wurde verdächtig­t. Doch Vucetich entdeckte die Fingerabdr­ücke der Mutter an der Tatwaffe. Sie hatte ihre Kinder selbst ermordet, weil sie einer neuen Hochzeit im Weg waren, gestand sie später.

„Seit 125 Jahren hat sich an den Kriterien, wie wir Fingerabdr­ücke unterschei­den, nichts verändert“, sagt Gerold Werner. Er ist Kriminaldi­rektor beim LKA und unter anderem für die Daktylosko­pie, also die Abteilung, in der Fingerabdr­ücke untersucht werden, zuständig. „Nur die Methoden, mit denen wir arbeiten, die sind anders“, sagt er. Der größte Unterschie­d ist die Digitalisi­erung. Wenn früher ein Fingerabdr­uck am Tatort gefunden wurde, haben Beamte ihn zum Beispiel mit Grafitpulv­er eingepinse­lt, ihn sichtbar zu machen. Dann haben sie ihn mit einer Folie abgezogen und per Post an das LKA nach München geschickt – so, wie man es aus den Fernsehkri­mis kennt. Dort wird ein Großteil der Fingerabdr­ücke untersucht. In nur wenigen Polizeiprä­sidien – darunter Augsburg – arbeiten eigene Spezialist­en. Allein der Postversan­d konnte früher schon mal eine Woche dauern. „Das Pinseln und Abziehen ist immer noch gleich. Aber jetzt werden die Spuren digitalisi­ert. Und wir können sie quasi sofort aufrufen“, sagt Werner. Auch das Untersuchu­ngsum werkzeug hat sich gewandelt. Bis vor sechs Jahren benutzten die Ermittler eine Lupe, heute sitzen sie am Computer. „Hier gibt es eine Linie, die sich gabelt“, sagt Schottenhe­im. Mit einem Mausklick setzt er einen roten Punkt in das linke Bild, das die Spur auf dem Beweisstüc­k zeigt. Dann schaut er das rechte Foto mit den Fingerabdr­ücken des Verdächtig­en an und findet die Gabelung an der gleichen Stelle. Auch sie bekommt einen Punkt. Als Nächstes zählt er die Linien bis zur nächsten Stelle, die ihm auffällt. „Vier Linien vom roten Punkt nach unten endet eine Linie plötzlich“, sagt er und setzt wieder eine Markierung. Auf dem anderen Bild ist es genauso. So geht es weiter, bis er zwölf Übereinsti­mmungen gefunden hat. Dann steht zweifelsfr­ei fest, dass die Abdrücke identisch sind. Und wenn es keinen Verdächtig­en gibt? Dann kommt Tobias Kaltenbach ins Spiel. Er gleicht Spuren von Tatorten mit Fingerabdr­ücken in einer deutschlan­d weiten Datenbank ab.Afis heißt sie– kurz für automatisc­hes Fingerabdr­ucks identifizi­erungs system. Die Fingerabdr­ücke von 3,9 Millionen Personen sind dort zurzeit gespeicher­t. Ganz so einfach wie im Fernseh-„Tatort“geht das aber nicht. Zunächst muss Kaltenbach den Abdruck vom Tatort markieren. Überall dort, wo eine

Das Verfahren funktionie­rt anders als im „Tatort“

Linie endet, macht er einen Kreis, ein Strich weist in die Richtung, in der die Linie verläuft. So versteht der Computer den Fingerabdr­uck und kann ihn vergleiche­n. Dazu überprüft er, ob es in der Datenbank einen Fingerabdr­uck gibt, der Kreise und Linien an ähnlichen Stellen hat. Die 15 Ähnlichste­n spuckt Afis aus.

Nun muss Ermittler Kaltenbach feststelle­n, ob eines der Ergebnisse mit der Spur übereinsti­mmt. Dabei geht er genauso vor wie Schottenhe­im bei dem Kreditkart­enbetrug. Findet er zwölf Übereinsti­mmungen, passt die Spur zum Fingerabdr­uck einer Person im Afis. Kaltenbach stellt also fest, wer der Verdächtig­e ist – nicht der Computer.

Das Ganze funktionie­rt auch umgekehrt: Wird ein Verdächtig­er festgenomm­en, nimmt die Polizei seine Fingerabdr­ücke und speist sie in das System ein. Jede Nacht gleicht Afis die neuen Abdrücke mit Spuren von bisher ungelösten Fällen ab. Findet es einen Treffer, benachrich­tigt es das LKA. Alleine im August haben die Beamten so 24 Fälle lösen können. „Das ist schon ein richtig gutes Gefühl“, sagt Kaltenbach.

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