Mittelschwaebische Nachrichten
Immer mehr Jugendliche suchen sichere Jobs in unsicheren Zeiten
Viel zu viele Lehrstellen sind unbesetzt. Zugleich gehen viele Bewerber leer aus. Schönreden bringt nichts. Die Erwartungen driften immer weiter auseinander
Machen wir uns nichts vor. Auch wenn Bayerns Arbeitsagentur wieder hervorragende Zahlen meldet, die Lage ist nicht ganz so rosig, wie sie Statistiker darstellen. Das liegt nicht nur daran, dass zu viele Menschen, gerade wenn sie die 50 überschritten haben, sich oft sehr schwertun, wieder auskömmliche Arbeit zu finden. Das liegt auch nicht nur daran, dass viele Menschen nur befristet beschäftigt sind. Das liegt vor allem daran, dass sich mit der ungelösten Krise am Ausbildungsmarkt die künftige Lage dramatisch zu verschlechtern droht.
Viel zu viele Lehrstellen sind unbesetzt. Zugleich finden viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Sie bleiben im schlimmsten Fall An- und Ungelernte. In einer Arbeitswelt, die verstärkt qualifizierte Kräfte benötigt, haben sie wenig Chancen. Dabei brauchen Betriebe dringend ausgebildete Fachleute. Sie bilden in fast allen Branchen die Basis des Erfolgs. Und Unternehmen beklagen ja lautstark den Fachkräftemangel. Wer aber die Fachkräftenot ernsthaft bekämpft, lässt nicht so viele Lehrstellen unbesetzt. Er zieht sich auch nicht aus der Ausbildung zurück, wie es offenbar viele im schwäbischen Hotelund Gaststättengewerbe tun. Und Betriebe, die in einer immer technologischeren Produktion bestehen wollen, müssen ebenfalls ausbilden. Denn exakt auf die Bedürfnisse des Betriebes ausgerichtete Spezialisten bekommen sie am besten über die praxisnahe berufliche Ausbildung, die sich auch mit einem Studium kombinieren lässt.
Wie können also viele Unternehmen ein in aller Welt als Vorbild gerühmtes Modell so stiefmütterlich behandeln, nur weil die Bewerberauswahl schwieriger ist? Viele Betriebe sind bequem geworden. Das ist um so besorgniserregender, da die Herausforderungen in der Arbeitswelt gewaltig sind. Die Digitalisierung wälzt rasant die Lebensund Arbeitswelt um. Da ist es kein gutes Zeichen, wenn so viele Betriebe schon daran scheitern, Jugendliche für ihre Ausbildungsplätze zu begeistern. In Zeiten, in denen keiner sagen kann, welche Berufsbilder überleben, welche Jobs verschwinden, und nur sicher ist, dass alle stets dazulernen müssen, gewinnen solide Ausbildungen an Bedeutung. Denn darauf kann neues Wissen gut aufgebaut werden. Doch es verfestigt sich der Eindruck, dass sich die Arbeitswelt oft weg von der Lebensrealität junger Menschen entwickelt. Das ist gefährlich. So ist es zwar nachvollziehbar, dass international aufgestellte Konzerne von ihren Mitarbeitern einen flexiblen Einsatz rund um den Globus erwarten – und dies auch brauchen. Doch glaubt man der Unternehmensberatung Ernst & Young, so wollen viele junge Akademiker am liebsten eine Stelle im Öffentlichen Dienst. So gerne junge Leute täglich mit Freunden rund um die Welt per Smartphone kommunizieren – daraus zu schließen, dass sie rund um die Uhr und rund um den Erdball beruflich aktiv sein wollen, ist oft ein Irrtum. Was viele suchen, sind sichere Jobs. Gerade in unsicheren Zeiten. Darauf müssen Unternehmen reagieren.
Und das können sie auch. Gerade, indem sie mit fundierten Ausbildungen werben. Am Geld dürfte es nicht scheitern: In vielen Branchen läuft es gut. Es gibt also keinen Grund, auf dem hohen Ross zu sitzen und mantrahaft zu wiederholen, es fehlten passende Bewerber. Zumal es noch nie so viele Hilfen für schwächere Jugendliche gegeben hat. Das Plus bei den Lehrverträgen der schwäbischen Kammern ist zwar erfreulich, aber noch kein Grund zum Zurücklehnen. Am Ausbildungsmarkt gibt es nichts schönzureden. Er steckt in der Krise und bedroht die Wirtschaftskraft und den Wohlstand. Da sollten wir uns nichts vormachen.
Die Arbeitswelt entwickelt sich von der Lebensrealität weg