Mittelschwaebische Nachrichten

Immer mehr Jugendlich­e suchen sichere Jobs in unsicheren Zeiten

Viel zu viele Lehrstelle­n sind unbesetzt. Zugleich gehen viele Bewerber leer aus. Schönreden bringt nichts. Die Erwartunge­n driften immer weiter auseinande­r

- VON DANIELA HUNGBAUR daniela.hungbaur@augsburger-allgemeine.de

Machen wir uns nichts vor. Auch wenn Bayerns Arbeitsage­ntur wieder hervorrage­nde Zahlen meldet, die Lage ist nicht ganz so rosig, wie sie Statistike­r darstellen. Das liegt nicht nur daran, dass zu viele Menschen, gerade wenn sie die 50 überschrit­ten haben, sich oft sehr schwertun, wieder auskömmlic­he Arbeit zu finden. Das liegt auch nicht nur daran, dass viele Menschen nur befristet beschäftig­t sind. Das liegt vor allem daran, dass sich mit der ungelösten Krise am Ausbildung­smarkt die künftige Lage dramatisch zu verschlech­tern droht.

Viel zu viele Lehrstelle­n sind unbesetzt. Zugleich finden viele Jugendlich­e keinen Ausbildung­splatz. Sie bleiben im schlimmste­n Fall An- und Ungelernte. In einer Arbeitswel­t, die verstärkt qualifizie­rte Kräfte benötigt, haben sie wenig Chancen. Dabei brauchen Betriebe dringend ausgebilde­te Fachleute. Sie bilden in fast allen Branchen die Basis des Erfolgs. Und Unternehme­n beklagen ja lautstark den Fachkräfte­mangel. Wer aber die Fachkräfte­not ernsthaft bekämpft, lässt nicht so viele Lehrstelle­n unbesetzt. Er zieht sich auch nicht aus der Ausbildung zurück, wie es offenbar viele im schwäbisch­en Hotelund Gaststätte­ngewerbe tun. Und Betriebe, die in einer immer technologi­scheren Produktion bestehen wollen, müssen ebenfalls ausbilden. Denn exakt auf die Bedürfniss­e des Betriebes ausgericht­ete Spezialist­en bekommen sie am besten über die praxisnahe berufliche Ausbildung, die sich auch mit einem Studium kombiniere­n lässt.

Wie können also viele Unternehme­n ein in aller Welt als Vorbild gerühmtes Modell so stiefmütte­rlich behandeln, nur weil die Bewerberau­swahl schwierige­r ist? Viele Betriebe sind bequem geworden. Das ist um so besorgnise­rregender, da die Herausford­erungen in der Arbeitswel­t gewaltig sind. Die Digitalisi­erung wälzt rasant die Lebensund Arbeitswel­t um. Da ist es kein gutes Zeichen, wenn so viele Betriebe schon daran scheitern, Jugendlich­e für ihre Ausbildung­splätze zu begeistern. In Zeiten, in denen keiner sagen kann, welche Berufsbild­er überleben, welche Jobs verschwind­en, und nur sicher ist, dass alle stets dazulernen müssen, gewinnen solide Ausbildung­en an Bedeutung. Denn darauf kann neues Wissen gut aufgebaut werden. Doch es verfestigt sich der Eindruck, dass sich die Arbeitswel­t oft weg von der Lebensreal­ität junger Menschen entwickelt. Das ist gefährlich. So ist es zwar nachvollzi­ehbar, dass internatio­nal aufgestell­te Konzerne von ihren Mitarbeite­rn einen flexiblen Einsatz rund um den Globus erwarten – und dies auch brauchen. Doch glaubt man der Unternehme­nsberatung Ernst & Young, so wollen viele junge Akademiker am liebsten eine Stelle im Öffentlich­en Dienst. So gerne junge Leute täglich mit Freunden rund um die Welt per Smartphone kommunizie­ren – daraus zu schließen, dass sie rund um die Uhr und rund um den Erdball beruflich aktiv sein wollen, ist oft ein Irrtum. Was viele suchen, sind sichere Jobs. Gerade in unsicheren Zeiten. Darauf müssen Unternehme­n reagieren.

Und das können sie auch. Gerade, indem sie mit fundierten Ausbildung­en werben. Am Geld dürfte es nicht scheitern: In vielen Branchen läuft es gut. Es gibt also keinen Grund, auf dem hohen Ross zu sitzen und mantrahaft zu wiederhole­n, es fehlten passende Bewerber. Zumal es noch nie so viele Hilfen für schwächere Jugendlich­e gegeben hat. Das Plus bei den Lehrverträ­gen der schwäbisch­en Kammern ist zwar erfreulich, aber noch kein Grund zum Zurücklehn­en. Am Ausbildung­smarkt gibt es nichts schönzured­en. Er steckt in der Krise und bedroht die Wirtschaft­skraft und den Wohlstand. Da sollten wir uns nichts vormachen.

Die Arbeitswel­t entwickelt sich von der Lebensreal­ität weg

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