Mittelschwaebische Nachrichten
Stühlerücken im Schloss
Bisher machten SPD, CDU und Linke ohne großes Aufheben unter sich aus, in welche Richtung das nördliche Bundesland gelenkt wird. Und das mit einigem Erfolg. Doch jetzt steht die AfD vor der Tür
Schwerin Die drei Herren kennen sich – und schätzen sich. Seit Jahrzehnten engagieren sie sich in der Landespolitik von MecklenburgVorpommern, in unterschiedlichen Konstellationen waren sie mal Regierungspartner, mal politische Gegner, miteinander sind sie alt geworden. Die lauten Töne sind nicht ihre Sache, sie gelten als Pragmatiker der Macht, außerhalb ihres Landes sind sie kaum bekannt. Das verbindet.
In Schwerin geht nichts ohne sie. Schon vor fünf Jahren, im Sommer 2011, traten sie als Spitzenkandidaten ihrer Parteien gegeneinander an. Nun wiederholt sich der Dreikampf zwischen SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering, 66, der seit acht Jahren Chef einer geräuschlos arbeitenden Großen Koalition ist, seinem 62 Jahre alten Stellvertreter und Innenminister Lorenz Caffier, 62, von der CDU, und dem 63-jährigen Oppositionsführer Helmut Holter von der Linkspartei, der von 1998 bis 2006 stellvertretender Ministerpräsident und Arbeitsminister in einer rot-roten Koalition war.
Wenn alles in den üblichen Bahnen verlaufen wäre, hätte sich Erwin Sellering nach der Landtagswahl an diesem Sonntag aussuchen können, mit wem er koaliert – sowohl die CDU als auch die Linkspartei wären als potenzielle Juniorpartner zur Verfügung gestanden.
Doch diesmal ist alles anders. Den trauten Dreikampf der Etablierten um die Macht im prächtigen klassizistischen Schweriner Schloss hat ein Neuling auf der politischen Bühne kräftig durcheinandergewirbelt. Mit der rechtspopulistischen AfD, die aus dem Stand auf 20 Prozent und mehr kommt, vielleicht sogar zweitstärkste politische Kraft im Landtag werden könnte, ist den Altparteien ein Konkurrent entstanden, der alle Planungen über den Haufen wirft und am Ende so- gar dafür sorgt, dass weder die Große Koalition noch Rot-Rot eine Mehrheit haben. Das könnte die Bildung eines komplizierten und instabilen Dreierbündnisses unter Einbindung der Grünen bedeuten. Wobei davon ausgegangen wird, dass die SPD stärkste Kraft bleibt und den Ministerpräsidenten stellen wird.
Dabei ist die AfD im strukturschwachen Flächenland an der Ostseeküste mit seinen boomenden Seebädern ein Phantom. Im ganzen hat sie geschätzt gerade einmal 500 Mitglieder, es gibt kaum Ortsverbände. Ihr Spitzenkandidat, der 46-jährige Leif-Erik Holm, ein früherer Diskjockey und Radiomoderator aus Schwerin und bis vor kurzem Mitarbeiter der Europaabgeordneten Beatrix von Storm, zählt zwar zum eher moderaten Flügel der Partei, doch im Wahlkampf keilt er kräftig gegen die Asylpolitik sowie die „inländerfeindliche Politik“von Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Bürgerferne der Politik der etablierten Parteien im Lande.
„Wenn Frau Merkel nicht mehr in der Lage ist, die Grenze zu schützen, dann soll sie zurücktreten und uns das überlassen“, sagt Holm über die Kanzlerin, deren Wahlkreis mit der Hansestadt Stralsund und der Ostseeinsel Rügen im Lande liegt. „Asylchaos beenden“, steht auf den hellblauen AfD-Plakaten im gesamten Land. Dabei leben kaum Ausländer im dünn besiedelten Nordosten. Ihr Anteil liegt bei 3,7 Prozent. Im vergangenen Jahr kamen rund 23000 Asylbewerber in das Land, nur im Saarland und in Bremen waren es weniger. Und von den 3300 Erstaufnahmeplätzen sind nur 582 belegt.
Doch das Flüchtlingsthema überlagert alle anderen Themen. SPD und CDU, die in Schwerin miteinander regieren, haben Mühe, den Parolen der AfD etwas entgegenzusetzen. Sowohl Sellering als auch CDU-Herausforderer Caffier versuchen zu punkten, indem sie offen auf Distanz zu Berlin gehen. So kritisiert Sellering die „Planlosigkeit“der Kanzlerin, die im vergangenen Jahr den Eindruck erweckt habe, „wir müssten unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen“. Caffier wiederum fordert eine deutliche Verschärfung der Sicherheitsgesetze sowie weiterhin ein Burka-Verbot und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.
In den Hintergrund rücken die Erfolge der Großen Koalition. So gelang es SPD und CDU in den letzten zehn Jahren, die Arbeitslosigkeit in dem strukturschwachen Land mehr als zu halbieren und unter die Zehn-ProzentMarke zu drücken. Seit 2006 gibt es einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs stieg im letzten Jahr um 1,1 Prozent auf 553000. Der Tourismus boomt sowohl entlang der gesamten OstseeLand küste als auch in den Hansestädten Rostock, Wismar, Stralsund und Greifswald. Ebenso lockt die mecklenburgischen Seenplatte. Mit 29,5 Millionen Übernachtungen wurde 2015 ein neuer Rekordwert erreicht.
Doch nicht alle Bürger profitieren gleichermaßen von der wirtschaftlichen Gesundung, vor allem in Vorpommern an der Grenze zu Polen sowie im Hinterland der Küste von Parchim über Pasewalk bis Anklam fühlen sich viele Menschen abgehängt und vernachlässigt. Dort, wo bislang die Linke und die NPD, die seit 2006 im Landtag sitzt, stark waren, hat nun die AfD ihre Hochburgen. Mit der paradoxen Folge, dass beide Parteien Wähler an die Neulinge auf dem politischen Parkett verlieren – weil ihnen die Linke längst zu etabliert und angepasst und die NPD zu radikal ist.
AfD-Chef Holm hat damit keine Probleme – und träumt schon von Größerem: Er will die AfD zur stärksten politischen Kraft im Heimatland der Kanzlerin und CDUChefin machen. An Pathos mangelt es ihm dabei nicht: „1989 hat gezeigt, dass wir gemeinsam etwas Großes leisten können.“
Das Flüchtlingsthema beherrscht den Wahlkampf