Mittelschwaebische Nachrichten
Die Turnkönigin ist tot
Vera Caslavska Die Tschechoslowakin gewann siebenmal olympisches Gold. Ein Leben voller Triumphe und Tragödien
Prag Triumph und Tragödie lagen für die Kunstturnerin Vera Caslavska immer dicht beieinander. Erst siegte sie dreimal bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964, dann setzte sie ihre Erfolgsserie in Mexiko 1968 mit gleich vier Goldmedaillen fort. Die junge Tschechoslowakin gewann in den Disziplinen Pferdsprung, Stufenbarren, Boden und Achtkampf-Einzel. Die zierlich wirkende Schönheit, auch Turnkönigin genannt, wurde zusammen mit Jackie Kennedy zur Frau des Jahres 1968 gekürt. Und dann: Berufsverbot in ihrer Heimat, öffentliche Erniedrigungen, jahrzehntelanges Leben abseits der Scheinwerfer. Was war geschehen? Als bei der Medaillenzeremonie in Mexiko-Stadt die sowjetische Hymne gespielt wurde, senkte Caslavska den Kopf hinab. Es war ein stiller Protest vor den Augen der Weltöffentlichkeit gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei zwei Monate zuvor. Die Funktionäre in Moskau müssen getobt haben.
„Wir sind nach Mexiko mit der Bereitschaft gefahren, Blut und Wasser zu schwitzen, um die sportlichen Vertreter der Okkupanten zu schlagen“, sagte sie einmal über ihr Schicksalsjahr 1968. Caslavska hatte den Demokratieprozess in ihrer Heimat, der als Prager Frühling in die Geschichte einging, mit ganzem Herzen unterstützt. Sie unterschrieb das „Manifest der 2000 Worte“für eine Fortsetzung der Reformen. Das wurde ihr aus Sicht der neuen Prager Machthaber zum Verhängnis.
Die Rehabilitierung kam spät, erst nach der demokratischen Wende von 1989 und der Wahl des Schriftstellers Václav Havel zum Präsidenten. Dieser machte Caslavska zu seiner Beraterin für Sport, Jugend, Schulen, Gesundheit und Soziales. „Auch wenn der Präsident im Leben keinen Purzelbaum gemacht hatte, so hatte er doch eine große Kondition und Ausdauer bei unzähligen Meetings“, sagte sie einmal humorvoll über Havel (1936-2011).
Privat gab es einen schweren Schicksalsschlag: Caslavskas Sohn Martin schlug 1993 im Streit auf seinen Vater Josef Odlozil ein. Dieser erlag seinen Verletzungen. Der Sohn wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, aber später begnadigt. Die letzten Monate ihres Lebens kämpfte Caslavska mit einer tückischen Erkrankung, dem Bauchspeicheldrüsenkrebs. Nun ist sie 74-jährig gestorben. (dpa)