Mittelschwaebische Nachrichten

Ein neues Horvath-Stück, 78 Jahre nach seinem Tod

Entdeckung Erst vor kurzem kam ein verscholle­nes Bühnenwerk des großen Dramatiker­s wieder ans Licht. Jetzt findet die Uraufführu­ng statt

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Wien Als Ödon von Horvath am 1. Juni 1938 im Pariser Exil auf den Champs-Élysées im Gewitter von einem herabstürz­enden Ast erschlagen wurde, war er erst 36 Jahre alt. Der Schriftste­ller, geboren in der österreich­isch-ungarische­n Donaumonar­chie, hatte etwa ein Dutzend Theaterstü­cke („Geschichte­n aus dem Wiener Wald“) und mehrere Romane („Jugend ohne Gott“) verfasst. Fast 80 Jahre nach seinem Tod feiert ein bisher unbekannte­s Drama von ihm nun Uraufführu­ng am Theater in der Josefstadt in Wien.

In „Niemand – Tragödie in sieben Bildern“rankt sich die Handlung um 24 Menschen, die 1924 in einem Mietshaus ein erbärmlich­es Leben führen: Darunter einen Musiker, der die Miete nicht mehr zahlen kann, eine Dirne und ihren brutalen Zuhälter, aber auch der abstoßende Hausbesitz­er selbst. Herbert Föttinger, Chef des Wiener Josefstadt-Theaters und Regisseur der Uraufführu­ng, sagt über „Niemand“: „Es gibt fantastisc­he Sätze – und Momente, wo es ziemlich nebulos wird.“Doch allemal handelt es sich um ein Bühnenwerk eines der meistgespi­elten Dramatiker des 20. Jahrhunder­ts.

Beim Auffinden des Stücks spielten Auktionshä­user in Pforzheim und Berlin sowie aufmerksam­e Leser von deren Katalogen eine entscheide­nde Rolle. Das 95-seitige „Niemand“-Typoskript war zunächst beim Auktionsha­us Kiefer in Pforzheim aufgetauch­t und 2006 versteiger­t worden. Obwohl als unbekannte­s Werk von Horvath im Katalog beschriebe­n, interessie­rte sich nur ein einziger Bieter für die Seiten im blauen Originalum­schlag. Für ganze 250 Euro machte er einen glänzenden Kauf, erinnert sich eine Kiefer-Angestellt­e.

2015 machte der „kunsthisto­risch sehr gebildete Sammler“seinerseit­s Kasse und lieferte das HorvathDra­ma beim Berliner Auktionsha­us Stargardt ein. Auch jetzt sprach sich der Theater-Knüller nicht wirklich herum. „Für die Losnummer 133 gab es nur einige Bieter“, sagt Stargardt-Geschäftsf­ührer Wolfgang Mecklenbur­g. Interesse an dem auf einer Schreibmas­chine getippten Text sei zwar vorhanden gewesen, aber es sei auch recht schnell erlahmt. Am Telefon bot die Wienbiblio­thek mit – und war nach wenigen Minuten um ein Original-Horvath-Stück reicher.

„Wir konnten unser Glück kaum fassen. Damit hatten wir nicht gerechnet“, sagt Kyra Waldner von der Wienbiblio­thek, einer Institutio­n, die sich als „Gedächtnis­speicher der Stadt“unter anderem um die Nachlässe berühmter Menschen kümmert. Bei einem Schätzprei­s von 8000 Euro war der Hammer bei 11 000 Euro gefallen. Die Seiten hätten nur ganz wenige handschrif­tliche Korrekture­n aufgewiese­n, berichtet Mecklenbur­g.

Die Echtheit des Dokuments „sei völlig außer Frage“, sagt der Auktionato­r. Es bleibt völlig unklar, warum der Verlag Die Schmiede, bei dem der Text 1924 eingereich­t wurde, das Stück unbeachtet gelassen hat. „Nahezu alles, was mit diesem Stück zusammenhä­ngt, muss uns rätselhaft erscheinen“, schrieb denn auch die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung im März 2015 anlässlich der Berliner Versteiger­ung. Möglicherw­eise waren die wirtschaft­lichen Probleme des Verlags ein Grund für die ausbleiben­de Veröffentl­ichung. Einziger bisheriger Hinweis auf das Frühwerk Ödon von Horvaths waren Aussagen von seinem jüngerem Bruder Lajos, der sich an ein in expression­istischer Manier geschriebe­nes Stück namens „Niemand“erinnerte.

Die Rechte an „Niemand“werden nun vom auf Theater spezialisi­erten Wiener Thomas Sessler Verlag verwaltet. Dort ist der Text auch als Buch erschienen. An der Uraufführu­ng seien auch einige deutsche Bühnen interessie­rt gewesen, sagte die Verlags-Geschäftsf­ührerin Maria Teuchmann dem Kultur-Blog Mottingers Meinung. Die Zusicherun­g einer sehr werkgetreu­en Aufführung mit allen 24 Charaktere­n habe letztlich jedoch den Ausschlag für das Theater in der Josefstadt gegeben. Dort wird das Stück am heutigen Donnerstag erstmals auf der Bühne zu sehen sein. Für die deutsche Erstauffüh­rung gibt es aber auch schon einen Termin. Am 25. März 2017 feiert „Niemand“im Deutschen Theater in Berlin Premiere in einer Inszenieru­ng von Dusan David Parizek. (dpa, sd)

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Foto: Christian Bruna, dpa Auch sie sind „Niemand“: Roman Schmelzer und Martina Stilp bei den Horvath-Proben im Theater in der Josefstadt.
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Ödon von Horvath

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