Mittelschwaebische Nachrichten
In Massen, für Massen
Reinhard Klimmt, ehemals Bundesbauminister, ist auch ein Büchernarr. Nun hat er ein Monumentalwerk über die Frühzeit des Taschenbuchs erarbeitet
Augsburg Das Werk ist in allem das Gegenteil eines Taschenbuches: Zwei fadengeheftete Leinenbände im Schuber, 544 und 392 Seiten, fünf Kilo schwer, 249 Euro. Aber drunter ging es nicht für ein Standardwerk über die Taschenbücher der 1950er Jahre und ihre Gestalter, in dem tatsächlich 5000 Cover abgebildet sind – in Farbe. 100 Taschenbuchreihen im deutschsprachigen Raum sind in dem Wälzer behandelt, manche brachten es nur auf zwei Bände, andere auf einige hundert. Kein Exemplar ist vergessen worden. „So bescheuert wird niemand mehr sein, sich an so eine Arbeit und Aufgabe heranzuwagen“, sagt Reinhard Klimmt mit einem Lächeln im Gesicht.
Klimmt, Jahrgang 1942, Sozialdemokrat, war 1998/99 Ministerpräsident des Saarlandes und ein Jahr Bundesverkehrsminister im Kabinett Gerhard Schröders. Acht Jahre aber hat er – zusammen mit seinem Co-Autor Patrick Rössler, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni Erfurt – an dem Taschenbuch-Projekt gearbeitet. Mittendrin, im Jahr sechs der Arbeit, ging der Verleger pleite. Aufgeben? Ausgeschlossen. Klimmt verlegt das Werk nun selbst. 1300 Exemplare hat er drucken lassen. Der Saarbrücker ist ein Büchernarr, ein Bibliophiler der unheilbaren Sorte, ein Sammler und besessener Leser, der daheim 15 000 Bücher stehen hat.
„Die meiste Zeit“, sagte er bei einer Vorstellung seines Buchprojektes in Augsburg, „habe ich mit Büchern verbracht, mehr mit Büchern als mit Menschen.“Sein erstes rororo-Taschenbuch hielt der kleine Reinhard („Ich war als Kind widerborstig und nicht gut zu genießen“) 1950 in Händen. Es war das „Dschungelbuch“. Klimmt erinnert sich, dass er es damals mit der „Nummer 4 meiner aufzubauenden Bibliothek“beschriftete.
Das Taschenbuch war keine Sackgasse für Triviales. Es demokratisierte die Literatur und machte sie der Masse zugänglich, nicht nur dem Bürgertum. Idealisten setzten Kafka, Flaubert und Steinbeck aufs Programm – Meilensteine der Weltliteratur gab’s für 1,50 DM. Und das mit der Masse ist nicht nur so dahergesagt. In Augsburg präsentiert Sammler Klimmt ein Rowohlt-Taschenbuch von 1953: Bert Brecht, Kalendergeschichten. Auflage: 55000. 1958 lag die Auflage schon bei 93 000 Exemplaren. Für den Bücherfreund Klimmt, der lange Jahre der engste Weggefährte von Oskar Lafontaine war, erzählen die Ta- schenbücher – Titelauswahl, Verbreitung, Gestaltung – mehr über die Nachkriegsjahre als viele kluge Aufsätze: „Es spiegelt sich alles in den Taschenbüchern, die Geistesund Kulturgeschichte, eins zu eins.“
Bis hin zur Werbung übrigens, die es in den alten Taschenbüchern als dezente Zeichnung gab. So inseriert 1952 die Zigarettenmarke „Fox“im rororo-Band 58, Flauberts „Madame Bovary“, auf Seite 46: „Lesen und Rauchen: Seit den Tagen der Bovary gehört dies zu den schönsten Freuden des Lebens.“Und in einem D.-H.-Lawrence-Roman grüßt Peter Stuyvesant auf Seite 1 und „empfiehlt sich dem rauchenden Leser!“Es war einmal!
Das Buch, das Klimmt und Rössler gemacht haben, ist ein Entschlüsseln der Zeitbefindlichkeit und vor allem eine Verbeugung vor heute meist vergessenen Grafikern und Buchgestaltern wie Karl Gröning und Gisela Pferdmenges, die das Erscheinungsbild von Rowohlts Rotations-Romanen (rororo) bestimmten. Natürlich war die technische Entwicklung maßgeblich für den Siegeszug der Taschenbücher, die im Bildungsbürgertum keinen guten Ruf hatten, weil die Grenze zum „Schund- und Groschenroman“in dieser Druckklasse fließend war. Wenn Klimmt, der mit Zähigkeit die Schicksale von Grafikern und Gestaltern erforschte (und die Spur von zu Lebzeiten gefragten Leuten bis zum „elenden Krepieren“im Altenheim verfolgte, wo der Nachlass im Müllcontainer landete), wenn Klimmt über Taschenbuchcover spricht, fliegen Wörter wie „genial“, „einfach grandios“und „einmalig“durch den Raum.
Rössler und Klimmt haben ein enzyklopädisches Wissen zu den Taschenbüchern der 1950er Jahre. Ob es um die ersten Millionenerfolge von Goldmann mit den EdgarWallace-Krimis geht, um die erstaunliche Tatsache, dass der große Dichter Paul Celan Übersetzer der ersten Maigret-Taschenbücher von Simenon war, um den Erfolg des List-TB „Was Männern gut schmeckt“oder um Taschenbuch Nummer eins von Johannes Mario Simmel mit dem herrlichen Titel „Der Mörder trinkt keine Milch“.
Bleibt die Frage, ob es eine Fortsetzung gibt, über die 1960er Jahre? Schon aus Selbstschutz wäre das keine gute Idee, meint Klimmt. Außerdem: die Sache wächst ins Uferlose. Schon 1963 war der Markt bei einer Verdoppelung der Produktion der 50er Jahre – und wuchs weiter exponentiell. Aber in ihrem Buch „Reihenweise“blicken die Autoren natürlich auf das, was später kam. Die dtv-Taschenbücher mit dem prägenden Gestalter Celestino Piatti, die von Willy Fleckhaus gestalteten Suhrkamp-Reihen und, und, und … Das Taschenbuch lebt – bis heute. Ein Denkmal hat es jetzt auch.