Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Signal an die Türkei
Offiziell rückt Berlin vom Vorwurf des „Völkermords“nicht ab. Dennoch will die Regierung mit Erdogan ins Gespräch kommen
Berlin Der Aufschlag kam am frühen Morgen: Regierungssprecher Steffen Seibert werde sich, quasi im Namen von Kanzlerin Angela Merkel, von der Armenien-Resolution des Bundestages distanzieren, hieß es am Freitag bei Spiegel Online. Die Lesart in der Hauptstadt: Die Regierung beuge sich damit dem Druck aus der Türkei, wo die Benennung der Verbrechen an den Armeniern als „Völkermord“gewaltigen Zorn erregt hatte.
Seit Juni herrscht Eiszeit zwischen Berlin und Ankara. Die Reaktionen waren vorhersehbar, von einem Kotau der Kanzlerin gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan war die Rede. Doch es wurde dann noch viel komplizierter. Eine Distanzierung? „Davon kann überhaupt keine Rede sein“, erklärt der Regierungssprecher ein paar Stunden später. Da werde etwas „fälschlich behauptet“. Allerdings, und das ist Seibert dann doch wichtig, „rechtsverbindlich“sei die Armenien-Resolution eben auch nicht.
Ist das nun das Signal von Angela Merkel an Erdogan? Wenig später meldet sich Merkel selbst zu Wort: Im RTL-Sommerinterview sagt sie: „Also erst einmal distanziert sich die Bundesregierung überhaupt nicht von dieser Resolution, das will ich ausdrücklich dementieren.“Ein Verfassungsorgan wie die Bundesregierung werde sich auch nicht äußern zu dem, was der Bundestag gemacht habe. Die Sachlage ist eindeutig und vor allem keine Neuigkeit: „Entschließungen sind rechtlich nicht verbindlich, sondern von politischer Bedeutung.“So heißt es im Lexikon der parlamentarischen Begriffe. Die Armenien-Resolution des Bundestages hat also keine Gesetzeskraft, das hatte aber auch niemand behauptet. Politisch wichtig ist sie doch.
An einer Klarstellung der Bundesregierung zur Armenien-Frage wurde auf Druck Ankaras gearbeitet, das hatte sich in Berlin schon herumgesprochen. In der Türkei werde nach der „rechtlichen Qualifikation“des Bundestagsbeschlusses gefragt, räumt auch Seibert ein. Ob die Erklärung des Regierungssprechers nun an diesem Tag geplant war oder durch den Medienbericht beschleunigt wurde, blieb ungewiss. Seibert beantwortete die Frage jedenfalls nicht. Am Morgen platzte die Nachricht von der „Distanzierung“in eine Sitzung des Unionsfraktionsvorstands und schreckte die CDU- und CSU-Politiker auf. Unionsfraktionschef Volker Kauder rief gleich bei Merkel an und berichtete danach wie erleichtert: „Sie distanziert sich nicht.“Schließlich war die Kanzlerin im Juni im Bundestag zwar nicht dabei gewesen, aber in der Fraktion hatte sie für die Resolution gestimmt. „Damit ist für mich das Thema erledigt“, sagte Kauder. Diesen Optimismus teilen nicht alle in der Union. Sie befürchten, auch der Hinweis auf die Binsenweisheit, dass eine Resolution kein Gesetz sei, könne Bürger nicht daran hindern, dies als Kniefall vor Erdogan zu empfinden. Dafür werde schon die rechtspopulistische AfD sorgen. „Das kostet uns zwei Prozentpunkte bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern“, sagt einer der jüngeren CDU-Politiker. Kauder versucht zu vermitteln. Man müsse auch mit Regierungen reden, die die deutschen Werte nicht teilten, um zu Ergebnissen zu kommen. Seit der Resolution herrscht zwischen Ankara und Berlin eine gewisse Sprachlosigkeit. Die Türkei hatte ihren Botschafter Hüseyin Avni Karslioglu damals sofort nach Hause geholt. Einen Nachfolger gibt es noch immer nicht. Doch nun scheint der Anfang für eine Rückkehr zum Gespräch gemacht. (dpa)