Mittelschwaebische Nachrichten

Eine Nervenprob­e für die CSU

Seit einem Jahr liegen Horst Seehofer und Angela Merkel im Clinch. Wie es weitergeht, will der Vorstand der Christsozi­alen diese Woche besprechen. Ein Patentreze­pt hat keiner

- VON ULI BACHMEIER

München Sie sind auf Gedeih und Verderb aufeinande­r angewiesen und doch so gründlich zerstritte­n wie nie zuvor. Das Datum, das den Wendepunkt in der Beziehung von CSU und CDU markiert, liegt an diesem Sonntag genau ein Jahr zurück. Es ist der 4. September 2015. Damals entschied Bundeskanz­lerin und CDU-Chefin Angela Merkel nach einem Telefonat mit ihrem österreich­ischen Amtskolleg­en Werner Faymann (SPÖ), die in Ungarn festsitzen­den syrischen Flüchtling­e nach Deutschlan­d zu lassen. Mit dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten und CSU-Chef Horst Seehofer telefonier­te Merkel vorher nicht. Sie soll es zwar probiert haben, aber als Seehofer, der gerade Urlaub machte, nicht gleich ranging, traf sie die Entscheidu­ng eben ohne ihn.

Damit begann die Krise, die sich danach Schritt für Schritt zu einem tiefen Zerwürfnis auswuchs. Die Folgen sind bekannt: „Wir schaffen das“hier, „Obergrenze für Flüchtling­e“da. Merkel und Seehofer sitzen einander gegenüber wie zwei Pokerspiel­er kurz vor dem All-in. Merkel hat, nimmt man die Umfra- gen als Maßstab, die schlechter­en Karten. Doch für die CSU steht in ihrer eigenen Wahrnehmun­g viel mehr auf dem Spiel. Sie fürchtet nichts so sehr wie den Verlust der absoluten Mehrheit in Bayern. Und genau dazu könnte es im Herbst 2018 kommen, wenn die Bundestags­wahl im Herbst 2017 zu einer Umwälzung der althergebr­achten politische­n Kräfteverh­ältnisse in Deutschlan­d führt.

Der entscheide­nde Unterschie­d zu früher: In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat es der CSU in Bayern regelmäßig sogar gutgetan, wenn die Union im Bund verloren hat. Eine SPD-geführte Bundesregi­erung war der Garant für 50, 55 oder gar 60 Prozent Zustimmung im Freistaat. Nun aber drohen in Berlin „spanische Verhältnis­se“. Statt vier könnten fünf oder sechs Parteien in den Bundestag einziehen. Und wenn es dann wegen der rechten Protestpar­tei AfD weder für eine Große Koalition noch für Rot-Rot-Grün reicht, ist das Chaos programmie­rt – mit unkalkulie­rbaren Folgen für Deutschlan­d, aber eben auch für die Landtagswa­hl in Bayern.

All diese gruseligen Szenarien haben die führenden CSU-Politiker vor Augen, wenn sie sich kommenden Freitag zu einer zweitägige­n Vorstandsk­lausur auf Schloss Schwarzenf­eld in der Oberpfalz treffen. Eine Idee oder einen Plan, wie das Unheil abgewendet werden könnte, aber haben sie nicht.

Seehofer will seine Mitstreite­r auf einen Kurs einschwöre­n, der starke Nerven erfordert. Die CSU soll klar formuliere­n, wofür sie steht, sich aber keinesfall­s auf Personalde­batten einlassen. Sobald die CSU-Forderunge­n zur Flüchtling­s-, Steuerund Rentenpoli­tik sowie zum Länderfina­nzausgleic­h und zu Volksabsti­mmungen auf Bundeseben­e auf dem Tisch liegen, werde man sehen, wie weit die Gemeinsamk­eiten mit der CDU reichen. „Wir gehen da Schritt für Schritt vor“, sagt er, „so wie wir es mit der CDU vereinbart haben.“Schon jetzt über Kanzlerkan­didaten zu reden, hält er für „absolut töricht“.

Wie weit die CSU mit ihren Forderunge­n gehen soll, ist parteiinte­rn allerdings umstritten. Da gibt es den einen Ehrenvorsi­tzenden, Edmund Stoiber, der eine härtere Gangart gegenüber Merkel und der CDU fordert. Da gibt es den anderen Ehrenvorsi­tzenden, Theo Waigel, der zur Besonnenhe­it mahnt. Auch zwischen der CSU-Fraktion im Landtag und der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag klaffen die Meinungen weit auseinande­r. Und da gibt es Leute im Vorstand, die allen Ernstes dafür plädieren, einfach Gras über die Sache wachsen zu lassen. Ihr Argument: Alles in allem sei es gelungen, die Zuwanderun­g von Flüchtling­en entscheide­nd zu bremsen. Die CDU habe doch, auch wenn sie es nicht laut sagt, in der Flüchtling­spolitik längst eine Kehrtwende vollzogen. Warum also weiter streiten?

Wenn es nur so einfach wäre. Die AfD, so meinen viele, sei mit einem simplen Weiter-so nicht kleinzukri­egen. Die CSU habe auch in Bayern – gemessen an den absoluten Zahlen – schon in der Vergangenh­eit regelmäßig Stimmen eingebüßt. Und zuletzt, bei der Europawahl im Jahr 2014, habe die AfD in Bayern ohne einen einzigen bayerische­n Kandidaten rund 312000 Stimmen holen können. Zum Vergleich: Für die CSU votierten damals rund 1,57 Millionen bayerische Wähler. Dies sei, auch wenn die Europawahl mit Bundes- oder Landtagswa­hlen nicht zu vergleiche­n sei, ein Alarmsigna­l.

»Aufgefalle­n

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