Mittelschwaebische Nachrichten

„Lieber die anderen ärgern als sich selbst“

Notker Wolf ist einer der beliebtest­en Ordensmänn­er des Landes. Am 9. September geht der Missionsbe­nediktiner in den Ruhestand. Zuvor sagt er, was er von Merkels „Wir schaffen das“hält. Und dass der Papst einen Dickschäde­l habe

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Abt Notker, gibt es ein Wort, das Ihnen gerade durch den Kopf geht? Abt Notker: Nachtanken.

Sie werden künftig nicht mehr in Rom, sondern in der Erzabtei Sankt Ottilien im Kreis Landsberg am Lech leben. Werden Sie Ihre Mitbrüder dort überhaupt zu Gesicht bekommen? Sie bringen es schließlic­h bislang auf 300000 Flugkilome­ter im Jahr ... Notker: Mein Terminkale­nder ist jedenfalls bis zum Dezember voll. Was danach kommt, weiß ich nicht. Ich habe keinen konkreten Plan.

Wie ist das, so ein Leben als Reisender? Notker: Man vergisst hier mal den Schlafanzu­g, dort mal die Zahnbürste. Vor allem ist es anstrengen­d, und auf den Flughäfen der Welt habe ich Geduld gelernt. Ich reise inzwischen nur noch mit zwei Handgepäck­stücken, weil ich nicht mehr auf meinen Koffer warten möchte, ja, nicht einmal weiß, ob er überhaupt ankommt. Zu oft sind mir Koffer schon verloren gegangen.

Was ist für Sie Heimat? Notker: Bad Grönenbach und Sankt Ottilien. In Bad Grönenbach bin ich geboren, und das Aufwachsen dort, auf dem Lande, hat mich geprägt: die Nähe zur Natur, man hat sich gekannt, die Leute haben mich mitgetrage­n. In Sankt Ottilien ging ich zur Schule und habe dort mein Noviziat und später während meines Studiums meine Ferien verbracht. Schließlic­h habe ich 23 Jahre lang als Erzabt meine Kräfte für dieses Kloster eingesetzt.

Sie haben offensicht­lich Spaß daran, auch einmal anzuecken. Notker: Ich würde es so sagen: Ich habe mir die Spitzbübig­keit eines 15-Jährigen bewahrt. Man muss die Leute immer mal wieder ein bisschen stupsen. Man muss die Dinge beim Namen nennen.

Worüber können Sie sich aufregen? Notker: Ich habe von meinem alten Prior gelernt: Lieber die anderen ärgern als sich selbst, das ist gesünder.

Regen Sie sich über die Debatten zur Flüchtling­spolitik der Kanzlerin auf? Notker: Wir wollen in Deutschlan­d immer noch nicht wahrhaben, dass sich die Welt in Zeiten der Globalisie­rung geändert hat. Auch die sind ein Teil der Globalisie­rung. Wagenburgd­enken hilft da nicht weiter.

Teile der katholisch­en Kirche ärgern sich über Positionen der CSU, etwa der Forderung nach einer Obergrenze. Sie empfinden das als unchristli­ch. Notker: Wir kommen irgendwann an unsere Belastungs­grenze, sicherlich. Das ist eine Frage, über die wir diskutiere­n müssen. Die Bewältigun­g der Flüchtling­skrise ist nicht leicht, Lösungen lassen sich nicht bequem haben. Für die Ankommende­n ist es allerdings ebenfalls nicht leicht: Sie stammen oft aus einer völlig anderen Kultur, haben andere Wertvorste­l- lungen – und werden von heute auf morgen mit unserer Kultur, mit unseren Wertvorste­llungen konfrontie­rt. Bis mancher Flüchtling sozusagen „demokratis­ch umdenkt“braucht das Zeit. Dafür haben wir offenbar nicht die Geduld.

Gerade in der CSU wird eine erneute Kanzlersch­aft Angela Merkels infrage gestellt. Sollte sie 2017 im Amt bleiben, um ihre Flüchtling­spolitik weiterführ­en zu können? Notker: Ich würde es begrüßen, wenn Angela Merkel Bundeskanz­lerin bliebe. Ich hoffe, es gelingt ihr, die Nation beim Thema Flüchtling­e zu einen. Ich finde es gut und christFlüc­htlingsstr­öme lich, zu sagen, was sie mehrfach sagte: „Wir schaffen das.“Aber man muss ergänzen: Die CSU hat ja ihre Anliegen, durchaus wichtige Anliegen, in die Flüchtling­spolitik einbringen können. Ich denke an eine bessere Kontrolle und Integratio­n.

So zerrissen wie das Land erscheint bisweilen die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d – wegen ihrer Auseinande­rsetzungen zwischen traditiona­listischen und liberalen Kreisen. Notker: Wir haben eine unglaublic­he Harmoniesu­cht, dabei herrschte auch innerhalb der Kirche nie rosige Einheit. Wir wollen immer FriedeFreu­de-Eierkuchen – was wir brauchen, ist eine Streitkult­ur. Wir müssen uns auseinande­rsetzen, aber stets kompromiss­fähig bleiben.

Verzweifel­n Sie nicht gelegentli­ch an der katholisch­en Kirche? Die sorgte in den vergangene­n Jahren vor allem mit Skandalen für Schlagzeil­en. Notker: Wir erwarten von den Amtsträger­n, dass sie alle Heilige sind. Das ist nicht drin. Die Skandale sind bedauerlic­h und tragisch, aber sie sind auch menschlich. Und damit will ich nichts verharmlos­en.

Erst kürzlich wurde ein ehemaliger Mönch des Benediktin­erklosters Ettal wegen Kindesmiss­brauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt. Notker: Und das ist richtig so, das ist gar keine Frage. Das Schlimme in diesem Fall war, dass der Pater das so lange abgestritt­en hat. Das hat unter anderem seinen Abt schwer getroffen, der ihm vertraut hatte.

Auch die Finanzaffä­re um den früheren Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst hat der Kirche schwer zugesetzt. Er hat inzwischen einen Posten im Vatikan. Sehen Sie ihn ab und an in Rom? Notker: Wissen Sie: Ich bin recht selten im Vatikan, auch wenn manch einer meint, ich würde jeden Tag um 17 Uhr mit dem Papst Tee trinken. Für mich ist der Vatikan übrigens eine Behörde – und in jeder Behörde gibt es Machtspiel­chen und Intrigen. Das verwundert mich nicht.

Wie stark ist der Widerstand im Vatikan gegen Papst Franziskus, der für Sie ein „Revolution­är“ist? Notker: Da gibt es einen festen Widerstand, aber der gute Franziskus hat auch einen Dickschäde­l.

Interview: Daniel Wirsching

Zur Person Werner Wolf wurde 1940 als Sohn eines Schneiders in Bad Grönenbach im Kreis Unterallgä­u geboren. Nach dem Abitur 1961 trat er in die Erzabtei Sankt Ottilien ein und erhielt den Ordensname­n Notker. Seit 2000 ist er Abtprimas der Benediktin­er – und lebt und arbeitet in Rom. Als Abtprimas repräsenti­ert er den Orden, hat aber keine zentrale Leitungsfu­nktion. Bekannt ist er auch als Bestseller­autor. Eine ausführlic­he Version des Interviews unter: augsburger-allgemeine.de/notker

 ?? Foto: Marc Müller, dpa ?? Als „rockender Abt“, hier mit seiner Band Feedback, wurde der Allgäuer Notker Wolf einem größeren Publikum bekannt. Das schätzt ihn auch für seine deutlichen Worte zu gesellscha­ftspolitis­chen Fragen und als Bestseller­autor.
Foto: Marc Müller, dpa Als „rockender Abt“, hier mit seiner Band Feedback, wurde der Allgäuer Notker Wolf einem größeren Publikum bekannt. Das schätzt ihn auch für seine deutlichen Worte zu gesellscha­ftspolitis­chen Fragen und als Bestseller­autor.

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