Mittelschwaebische Nachrichten

Welch ein Theater!

Das Augsburger Dreisparte­nhaus soll für 186 Millionen Euro ertüchtigt werden. Zu viel, sagen einige Bürger und sammeln Unterschri­ften gegen das Projekt. Im Moment weiß keiner so genau, wie es weitergeht

- VON NICOLE PRESTLE

Augsburg Im Juni wurde der Schlüssel endgültig herumgedre­ht: Das Große Haus des Theaters Augsburg bleibt bis auf Weiteres geschlosse­n. Kein Theaterfes­t, das noch bis vor Kurzem zum Spielzeit-Auftakt geplant war. Kein opulenter „Nussknacke­r“, mit dem das Ballett die Saison eröffnen wollte. Kein Opernball mehr, der stets Tausende Besucher anzog. Stattdesse­n eine Menge offener Fragen, ein erbitterte­r Streit und fast 400 Theater-Mitarbeite­r, die vor dem Scherbenha­ufen eines Spielplans stehen, mit dem sich ihre Intendanti­n nach zehn Jahren aus der Stadt verabschie­den wollte.

Im einzigen Viersparte­nhaus Bayerisch-Schwabens wird dieser Tage ein Stück gegeben, von dem niemand so recht weiß, ob er es eine Komödie oder eine Tragödie nennen soll. Der Inhalt, knapp erzählt: Die Stadt möchte nach gut 30 Jahren des Sparens nun Geld in die Hand nehmen, um ihr Theater zu sanieren. Nötig wäre es: In den letzten Jahren fielen Teile der Fassade auf den Fußweg, der Eiserne Vorhang klemmte, die Vorrichtun­g, an der Bühnenbild­er und Beleuchtun­g hängen, trägt fast die Hälfte mehr an Last als zulässig, die Fluchtwege sind zu lang ...

Kosten von 230 Millionen Euro standen noch im Februar im Raum,

Aus München kommen 107 Millionen Euro

inzwischen wurde die Planung abgespeckt und das Projekt so auf 186 Millionen herunterge­rechnet. Darin enthalten: die Sanierung des Großen Hauses – ein denkmalges­chützter Nachkriegs-Wiederaufb­au, der als Hauptspiel­stätte dient – sowie der Neubau von Werkstätte­n, Verwaltung und einem Multifunkt­ionssaal, der künftig kleine Spielstätt­e, aber auch Bürgerbühn­e werden soll.

Die Stadt, die lange Zeit unter dem Eindruck litt, München würde sie bei wichtigen politische­n Entscheidu­ngen links liegen lassen, hat dem Freistaat einen Zuschuss von 107 Millionen Euro abgerungen. Ihren Eigenantei­l von 91 Millionen will sie über Kredite finanziere­n, 2039 sollen sie abbezahlt sein. Alles prächtig also? Mitnichten.

Denn während in anderen Städten Bürger für die Sanierung ihrer Theater auf die Straße gehen, protestier­en sie in Augsburg dagegen. Einige jedenfalls. Fünf Männer und eine Frau sammeln seit April Unterschri­ften für ein Bürgerbege­hren gegen die städtische­n Pläne. Zum Kreis der Kritiker zählen ein Bauingenie­ur, ein Buchhändle­r, ein Kinobetrei­ber, ein Kulturmana­ger, eine Freie-Wähler-Politikeri­n sowie der ehemalige Direktor der Augsburger Staats- und Stadtbibli­othek.

Es ist eine heterogene Gruppe – was sie eint, ist die Entschloss­enheit, die Theatersan­ierung zu stoppen. Die Stadt, argumentie­ren sie, würde sich damit über Jahre finanziell binden, Spielraum für andere Projekte bleibe kaum – zumal Augsburg schon jetzt über 300 Millionen Euro Schulden hat. Zudem stellen sie die Frage, ob ein subvention­iertes Viersparte­nhaus überhaupt noch Sinn mache oder ob man sich nicht Gedanken über ein anders geartetes „Theater der Zukunft“machen müsste, bevor die Bagger anrollen.

Soweit zu den sachlichen Argumenten. Die allerdings spielen in der Augsburger Debatte nur noch eine untergeord­nete Rolle. Stattdesse­n wird mit Vorwürfen Pingpong gespielt. Aktueller Zankapfel: der Brandschut­z. Die Sanierungs­kritiker akzeptiere­n nicht, dass die Stadt

das Große Haus im Juni ein Jahr früher als geplant zuschloss, weil „Gefahr für Leib und Leben“der Zuschauer bestehe.

Mit geringen Umbauten und einer Investitio­n von unter 50 000 Euro hätte man die Bühne wieder spielfähig machen können, sagen die Initiatore­n des Bürgerbege­hrens und stützen ihre Aussage auf das Gutachten eines Bausachver­ständigen, den sie jüngst engagiert haben. Wie auch ein zweiter Sachverstä­ndiger hat er der Stadt angeboten, die Vorschläge gemeinsam zu diskutiere­n. So könnte das Große Haus zumindest für die kommende Saison instand gesetzt werden, die Stadt müsste nicht fünf- bis sechsstell­ige Summen in Übergangss­pielstätte­n investiere­n. Aus der Augsburger Verwaltung jedoch kam bislang keine Reaktion auf dieses Angebot.

Dass der TÜV das Vorgehen der Stadt bestätigt, dass er die Schließung für „zwingend“hielt, wollen die Kritiker nicht gelten lassen. Die Verwaltung habe das Haus geschlosse­n, um politisch Druck zu machen und die städtische Bauverwalt­ung habe bei den Untersuchu­ngen des Großen Hauses „geschlampt“.

Augsburgs sonst so besonnenem Oberbürger­meister Kurt Gribl

platzte ob dieser Vorwürfe der Kragen. Er würde solch „platte Instrument­e“nie in Erwägung ziehen, würde nie mit der Sicherheit des Publikums argumentie­ren, wäre sie nicht tatsächlic­h gefährdet. Dies wäre „ein Zeichen politische­r Dummheit“. Auch seine Verwaltung nahm der promoviert­e Baujurist Gribl dezidiert in Schutz.

Der Oberbürger­meister stellt nun wiederum die Vorgehensw­eise der Sanierungs­kritiker infrage. Sie suggeriert­en den Bürgern, dass sie für die Theatersan­ierung seien. Wer unterschre­ibe, heble das Projekt aber über Jahre hinweg aus. Tatsächlic­h kann man die Fragestell­ung des Bürgerbege­hrens entspreche­nd auslegen: „Sind Sie dafür, dass die Stadt Augsburg die Sanierung des Theaters trotz angespannt­er Haushaltsl­age über Neuverschu­ldung finanziert?“Wer hier mit Nein stimmt, schließt neue Schulden fürs Theaterpro­jekt kategorisc­h aus. Nur: Aus dem laufenden Haushalt kann keine Kommune ein solches Projekt bezahlen. Käme es zum

Bürgerents­cheid und ginge er im Sinne der Kritiker aus – die Stadt stünde vor einem riesigen Problem.

Viele Bürger haben für all diese Scharmütze­l nur noch ein Kopfschütt­eln übrig. Es liegt auch daran, dass niemand so recht weiß, wie es mit der Sanierung nun weitergeht. 11000 Unterschri­ften würden ausreichen, um die städtische­n Planungen vorerst zu stoppen. Doch auf die Frage, wie viele Unterstütz­er sie bereits haben, schweigen die Sanierungs­kritiker beharrlich. „Vielleicht“, sagen sie, „sammeln wir auch gleich 25 000“. Nur: Wann sie ihre Liste abgeben wollen, bleibt ein Geheimnis.

„Man hat das Gefühl, dass die Stadt auf Biegen und Brechen ausgebrems­t werden soll“, sagen die, die das Theater gerne saniert sähen und ärgern sich. Man fürchtet um den Ruf der Stadt – auch in München. Finanzmini­ster Söder quittiert den Augsburger Theaterstr­eit lediglich mit einem Schulterzu­cken: „Die Stadt Augsburg könnte viel Geld bekommen – wenn sie es will.“

Die Augsburger Verwaltung plant derweil, als stünde kein Bürgerents­cheid im Raum; sie kann auch kaum anders. Der Stadtrat hatte 2015 einen Grundsatzb­eschluss

Geld vom Freistaat fließt nur, „wenn Augsburg es will“

zur Theatersan­ierung gefasst. Seitdem bereitet ein Münchner Fachbüro, das über ein für solche Projekte gängiges Verfahren (VOF) ausgewählt wurde, die Sanierung vor. Nur kurz wurde das Prozedere ausgesetzt: Anfang des Jahres gab es eine Bürgerbete­iligung, eingeforde­rt von den Sanierungs­kritikern. Sie hatten die Moderatore­n des Prozesses auch mit auswählen dürfen, taten die Workshops und das zentimeter­dicke Ergebnisbu­ch am Ende aber als unzureiche­nd ab. Einen weiteren Planungsst­opp will die Stadt nun nicht mehr verantwort­en: „Dies würde erhebliche Kosten und Verzögerun­gen verursache­n“, heißt es aus dem Kulturrefe­rat.

Die Mitarbeite­r des Theaters Augsburg kommen Mitte September aus den Sommerferi­en zurück. Für Proben können sie dann zwar ins Große Haus, alle dort geplanten Inszenieru­ngen werden aber auf andere Orte ausweichen müssen. Die Stadt hat bereits einige Ausweichqu­artiere angemietet; gut eine halbe Million Euro wird dafür fällig. Den „Nussknacke­r“werden die Augsburger nächste Saison zwar sehen, allerdings auf dem Messegelän­de. Was aus anderen Produktion­en wird, ist zum Teil offen.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Das Große Haus des Theaters Augsburg soll saniert werden. Doch was die Stadt will, stößt nicht bei allen Bürgern auf Gegenliebe. Zwischen Sanierungs­befürworte­rn und -kritikern ist ein Streit ausgebroch­en, der im Sommer in der vorzeitige­n Schließung der...
Foto: Silvio Wyszengrad Das Große Haus des Theaters Augsburg soll saniert werden. Doch was die Stadt will, stößt nicht bei allen Bürgern auf Gegenliebe. Zwischen Sanierungs­befürworte­rn und -kritikern ist ein Streit ausgebroch­en, der im Sommer in der vorzeitige­n Schließung der...

Newspapers in German

Newspapers from Germany