Mittelschwaebische Nachrichten
Welch ein Theater!
Das Augsburger Dreispartenhaus soll für 186 Millionen Euro ertüchtigt werden. Zu viel, sagen einige Bürger und sammeln Unterschriften gegen das Projekt. Im Moment weiß keiner so genau, wie es weitergeht
Augsburg Im Juni wurde der Schlüssel endgültig herumgedreht: Das Große Haus des Theaters Augsburg bleibt bis auf Weiteres geschlossen. Kein Theaterfest, das noch bis vor Kurzem zum Spielzeit-Auftakt geplant war. Kein opulenter „Nussknacker“, mit dem das Ballett die Saison eröffnen wollte. Kein Opernball mehr, der stets Tausende Besucher anzog. Stattdessen eine Menge offener Fragen, ein erbitterter Streit und fast 400 Theater-Mitarbeiter, die vor dem Scherbenhaufen eines Spielplans stehen, mit dem sich ihre Intendantin nach zehn Jahren aus der Stadt verabschieden wollte.
Im einzigen Vierspartenhaus Bayerisch-Schwabens wird dieser Tage ein Stück gegeben, von dem niemand so recht weiß, ob er es eine Komödie oder eine Tragödie nennen soll. Der Inhalt, knapp erzählt: Die Stadt möchte nach gut 30 Jahren des Sparens nun Geld in die Hand nehmen, um ihr Theater zu sanieren. Nötig wäre es: In den letzten Jahren fielen Teile der Fassade auf den Fußweg, der Eiserne Vorhang klemmte, die Vorrichtung, an der Bühnenbilder und Beleuchtung hängen, trägt fast die Hälfte mehr an Last als zulässig, die Fluchtwege sind zu lang ...
Kosten von 230 Millionen Euro standen noch im Februar im Raum,
Aus München kommen 107 Millionen Euro
inzwischen wurde die Planung abgespeckt und das Projekt so auf 186 Millionen heruntergerechnet. Darin enthalten: die Sanierung des Großen Hauses – ein denkmalgeschützter Nachkriegs-Wiederaufbau, der als Hauptspielstätte dient – sowie der Neubau von Werkstätten, Verwaltung und einem Multifunktionssaal, der künftig kleine Spielstätte, aber auch Bürgerbühne werden soll.
Die Stadt, die lange Zeit unter dem Eindruck litt, München würde sie bei wichtigen politischen Entscheidungen links liegen lassen, hat dem Freistaat einen Zuschuss von 107 Millionen Euro abgerungen. Ihren Eigenanteil von 91 Millionen will sie über Kredite finanzieren, 2039 sollen sie abbezahlt sein. Alles prächtig also? Mitnichten.
Denn während in anderen Städten Bürger für die Sanierung ihrer Theater auf die Straße gehen, protestieren sie in Augsburg dagegen. Einige jedenfalls. Fünf Männer und eine Frau sammeln seit April Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen die städtischen Pläne. Zum Kreis der Kritiker zählen ein Bauingenieur, ein Buchhändler, ein Kinobetreiber, ein Kulturmanager, eine Freie-Wähler-Politikerin sowie der ehemalige Direktor der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek.
Es ist eine heterogene Gruppe – was sie eint, ist die Entschlossenheit, die Theatersanierung zu stoppen. Die Stadt, argumentieren sie, würde sich damit über Jahre finanziell binden, Spielraum für andere Projekte bleibe kaum – zumal Augsburg schon jetzt über 300 Millionen Euro Schulden hat. Zudem stellen sie die Frage, ob ein subventioniertes Vierspartenhaus überhaupt noch Sinn mache oder ob man sich nicht Gedanken über ein anders geartetes „Theater der Zukunft“machen müsste, bevor die Bagger anrollen.
Soweit zu den sachlichen Argumenten. Die allerdings spielen in der Augsburger Debatte nur noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen wird mit Vorwürfen Pingpong gespielt. Aktueller Zankapfel: der Brandschutz. Die Sanierungskritiker akzeptieren nicht, dass die Stadt
das Große Haus im Juni ein Jahr früher als geplant zuschloss, weil „Gefahr für Leib und Leben“der Zuschauer bestehe.
Mit geringen Umbauten und einer Investition von unter 50 000 Euro hätte man die Bühne wieder spielfähig machen können, sagen die Initiatoren des Bürgerbegehrens und stützen ihre Aussage auf das Gutachten eines Bausachverständigen, den sie jüngst engagiert haben. Wie auch ein zweiter Sachverständiger hat er der Stadt angeboten, die Vorschläge gemeinsam zu diskutieren. So könnte das Große Haus zumindest für die kommende Saison instand gesetzt werden, die Stadt müsste nicht fünf- bis sechsstellige Summen in Übergangsspielstätten investieren. Aus der Augsburger Verwaltung jedoch kam bislang keine Reaktion auf dieses Angebot.
Dass der TÜV das Vorgehen der Stadt bestätigt, dass er die Schließung für „zwingend“hielt, wollen die Kritiker nicht gelten lassen. Die Verwaltung habe das Haus geschlossen, um politisch Druck zu machen und die städtische Bauverwaltung habe bei den Untersuchungen des Großen Hauses „geschlampt“.
Augsburgs sonst so besonnenem Oberbürgermeister Kurt Gribl
platzte ob dieser Vorwürfe der Kragen. Er würde solch „platte Instrumente“nie in Erwägung ziehen, würde nie mit der Sicherheit des Publikums argumentieren, wäre sie nicht tatsächlich gefährdet. Dies wäre „ein Zeichen politischer Dummheit“. Auch seine Verwaltung nahm der promovierte Baujurist Gribl dezidiert in Schutz.
Der Oberbürgermeister stellt nun wiederum die Vorgehensweise der Sanierungskritiker infrage. Sie suggerierten den Bürgern, dass sie für die Theatersanierung seien. Wer unterschreibe, heble das Projekt aber über Jahre hinweg aus. Tatsächlich kann man die Fragestellung des Bürgerbegehrens entsprechend auslegen: „Sind Sie dafür, dass die Stadt Augsburg die Sanierung des Theaters trotz angespannter Haushaltslage über Neuverschuldung finanziert?“Wer hier mit Nein stimmt, schließt neue Schulden fürs Theaterprojekt kategorisch aus. Nur: Aus dem laufenden Haushalt kann keine Kommune ein solches Projekt bezahlen. Käme es zum
Bürgerentscheid und ginge er im Sinne der Kritiker aus – die Stadt stünde vor einem riesigen Problem.
Viele Bürger haben für all diese Scharmützel nur noch ein Kopfschütteln übrig. Es liegt auch daran, dass niemand so recht weiß, wie es mit der Sanierung nun weitergeht. 11000 Unterschriften würden ausreichen, um die städtischen Planungen vorerst zu stoppen. Doch auf die Frage, wie viele Unterstützer sie bereits haben, schweigen die Sanierungskritiker beharrlich. „Vielleicht“, sagen sie, „sammeln wir auch gleich 25 000“. Nur: Wann sie ihre Liste abgeben wollen, bleibt ein Geheimnis.
„Man hat das Gefühl, dass die Stadt auf Biegen und Brechen ausgebremst werden soll“, sagen die, die das Theater gerne saniert sähen und ärgern sich. Man fürchtet um den Ruf der Stadt – auch in München. Finanzminister Söder quittiert den Augsburger Theaterstreit lediglich mit einem Schulterzucken: „Die Stadt Augsburg könnte viel Geld bekommen – wenn sie es will.“
Die Augsburger Verwaltung plant derweil, als stünde kein Bürgerentscheid im Raum; sie kann auch kaum anders. Der Stadtrat hatte 2015 einen Grundsatzbeschluss
Geld vom Freistaat fließt nur, „wenn Augsburg es will“
zur Theatersanierung gefasst. Seitdem bereitet ein Münchner Fachbüro, das über ein für solche Projekte gängiges Verfahren (VOF) ausgewählt wurde, die Sanierung vor. Nur kurz wurde das Prozedere ausgesetzt: Anfang des Jahres gab es eine Bürgerbeteiligung, eingefordert von den Sanierungskritikern. Sie hatten die Moderatoren des Prozesses auch mit auswählen dürfen, taten die Workshops und das zentimeterdicke Ergebnisbuch am Ende aber als unzureichend ab. Einen weiteren Planungsstopp will die Stadt nun nicht mehr verantworten: „Dies würde erhebliche Kosten und Verzögerungen verursachen“, heißt es aus dem Kulturreferat.
Die Mitarbeiter des Theaters Augsburg kommen Mitte September aus den Sommerferien zurück. Für Proben können sie dann zwar ins Große Haus, alle dort geplanten Inszenierungen werden aber auf andere Orte ausweichen müssen. Die Stadt hat bereits einige Ausweichquartiere angemietet; gut eine halbe Million Euro wird dafür fällig. Den „Nussknacker“werden die Augsburger nächste Saison zwar sehen, allerdings auf dem Messegelände. Was aus anderen Produktionen wird, ist zum Teil offen.