Mittelschwaebische Nachrichten
Glaube, Gott und Grenzen
Katholiken Simon Lochbrunner war allein in Alaska unterwegs, hat mit Drogensüchtigen in Berlin und einem Stamm in Indien gelebt. Jetzt wird der 33-Jährige aus Kirchheim zum Priester geweiht
Kirchheim Kann man sich seine Lieblingsfarbe aussuchen? Mit dieser Gegenfrage antwortet Simon Lochbrunner, wenn er gefragt wird, warum er Priester werden will. Am 17. September wird er in Innsbruck geweiht, am 25. September feiert er Primiz in Kirchheim, die erste von ihm zelebrierte heilige Messe. Der Weg dorthin: „Eine lange Geschichte“, sagt der 33-Jährige.
In dieser Geschichte gibt es Vorzeichen, schon im Kindesalter. Anders als seine vier Geschwister betet der vierjährige Simon im Alltag, führt eine Art Zwiegespräch mit Gott. Mit neun Jahren stehen seine Berufswünsche fest: Pfarrer, Feuerwehrmann, Bauer oder Arzt will er werden. Seine Schwester dichtet: „Da Simon will Pfarra wera, des sehen d’Mädla it so gera.“Nach dem Abitur nimmt er, der Theologiestudent, unter seinen Freunden, vor allem Informatiker und Grafikdesigner, einen Sonderstatus ein.
Und doch ist sein Weg nicht ganz so klar vorgezeichnet. Fünf Jahre lang führte er eine Beziehung, liebte und fühlte sich geliebt – und gleichzeitig hat es nicht gereicht. Ein Jahr nach der Trennung entscheidet sich Simon Lochbrunner für das Priesterseminar.
In seiner Bewerbung führt er auch Dinge auf, mit denen er hadert: den Umgang der katholischen Kirche mit geschiedenen Wiederverheirateten, zum Beispiel, die prunkvolle Symbolik sowie das Verbot für Frauen, Priester zu werden. „Ich habe bis heute keine intelligente Antwort darauf gefunden“, sagt er. Doch er spürt eine tiefe Christusbeziehung, will als Teil der katholischen Kirche seinen Beitrag leisten, macht aber gleichzeitig deutlich: „Ich habe Fragen und werde die weiterhin stellen.“
Bei einer Veranstaltung hört er von den Jesuiten. Und plötzlich ist da der Gedanke: „Ich glaube, ich muss Jesuit werden.“Heute spricht der 33-Jährige von seiner ersten Berufung – „auch wenn keine Stimme von oben kam“, sagt er und lacht. Es sind eben andere Zeiten: Gleich nach diesem Erlebnis sucht er im Internet nach den Jesuiten. „Ich wollte wissen: Was sind das für Typen?“Die Ignatianische Spiritualität – „Gott suchen und finden in allen Dingen“– spricht ihn an. Glaube und Vernunft sind kein Widerspruch, son- ergänzen sich in dem Orden. Simon Lochbrunner fackelt nicht lange. „Mir war das klar: Ich werd’ Jesuit.“Fünf Tage später geht er zu seinem Präses, um offen mit ihm darüber zu sprechen. Der versucht, ihn zu beruhigen. Solche Phasen gebe es immer mal. Doch für Simon Lochbrunner stand die Entscheidung fest. Das Priesterseminar schloss er den- noch ab. Ein Ortspfarrer, der viel verwalten muss, wollte er nicht werden. Ein Mönch hinter Klostermauern ebenfalls nicht. Er wollte Seelsorger sein. „Mönch in action“, das ist es, was die Jesuiten ausmacht, sagt Lochbrunner.
In den vergangenen neun Jahren hat er viel erlebt: 30 Tage Schweigen, ein Vierteljahr in Indien bei eidern nem Stamm ohne Strom und fließend Wasser, ein Monat in Berlin, in dem er mit Suchtkranken gelebt hat. Er war auch Jugendarbeiter in Hamburg, an einem Projekt mit Obdachlosen beteiligt, hat in einem Münchner Medienunternehmen gearbeitet, war zweieinhalb Wochen allein in Alaska unterwegs und hat zuletzt in Chicago Psychologie studiert.
Dass er all diese Erfahrungen machen kann, „sich so weit aus dem Fenster lehnen“, wie er es selbst nennt, liege an seiner tiefen Verwurzelung. Seine Familie, die im Kirchheimer Ortsteil Derndorf eine Biolandwirtschaft betreibt, stehe ihm sehr nahe. „Ich habe einen wahnsinnig guten Nährboden bekommen“, sagt der 33-Jährige. Seine Primiz in Kirchheim ist deshalb auch ein Dank an all diejenigen, die ihn hier geprägt haben. „Ich möchte, dass es ein Fest für die Gemeinde wird“, sagt Lochbrunner. Sein Primizspruch lautet „Gott ist immer größer“.
Vom derzeit bekanntesten Jesuit, Papst Franziskus, ist Simon Lochbrunner begeistert. „Das Klima ändert sich durch ihn“, sagt er. „Er ist sehr provokativ und doch so, dass viele mit ihm gehen können.“Wie Franziskus liegt ihm viel daran, den Menschen zu begegnen und damit Christus, wie er sagt – und so auch ein Stück weit tiefer zur Wahrheit über sich selbst zu finden. „Wie stehst du zu Gott?“ist eine Frage, die sich Simon Lochbrunner nicht scheut zu stellen. „Geh an die Grenzen, teste alles aus“, so lautet das Motto seines Lebens bei den Jesuiten. Häufig hat er sich in Extremsituationen begeben. Doch eine größere Herausforderung sei für ihn der Faktor Zeit. Das heißt: „Auf Dauer an einem Ort sein und sich den Fragen und inneren Prozessen zu stellen.“Zwischen fünf und zehn Jahren bleiben Jesuiten dort, wohin sie der Orden schickt. Simon Lochbrunner ist derzeit in Nürnberg: Dort hilft er bei der Ausbildung der Novizen, ist Kaplan sowie Direktor der deutschen Sektion des Gebetsapostolats. In diesem internationalen Gebetsnetzwerk gibt der Papst zwei Bitten pro Monat heraus. Simon Lochbrunner träumt davon, eine App zu entwickeln, mithilfe derer die Menschen gemeinsam beten können. Vielleicht ist dieses Handyprogramm wie sein Profil auf dem Kurznachrichtendienst Twitter in seiner Lieblingsfarbe gestaltet. Die ist übrigens blau.