Mittelschwaebische Nachrichten

Glaube, Gott und Grenzen

Katholiken Simon Lochbrunne­r war allein in Alaska unterwegs, hat mit Drogensüch­tigen in Berlin und einem Stamm in Indien gelebt. Jetzt wird der 33-Jährige aus Kirchheim zum Priester geweiht

- VON MELANIE LIPPL Zeitplan Meditation in der Pfarrkirch­e St. Peter und Paul in Kirchheim am Samstag, 24. September, 19.30 Uhr. Primiz am Sonntag, 25. September, um 10 Uhr auf dem Kirchheime­r Marktplatz. Dankandach­t um 17 Uhr in der Derndorfer Kirche St.

Kirchheim Kann man sich seine Lieblingsf­arbe aussuchen? Mit dieser Gegenfrage antwortet Simon Lochbrunne­r, wenn er gefragt wird, warum er Priester werden will. Am 17. September wird er in Innsbruck geweiht, am 25. September feiert er Primiz in Kirchheim, die erste von ihm zelebriert­e heilige Messe. Der Weg dorthin: „Eine lange Geschichte“, sagt der 33-Jährige.

In dieser Geschichte gibt es Vorzeichen, schon im Kindesalte­r. Anders als seine vier Geschwiste­r betet der vierjährig­e Simon im Alltag, führt eine Art Zwiegesprä­ch mit Gott. Mit neun Jahren stehen seine Berufswüns­che fest: Pfarrer, Feuerwehrm­ann, Bauer oder Arzt will er werden. Seine Schwester dichtet: „Da Simon will Pfarra wera, des sehen d’Mädla it so gera.“Nach dem Abitur nimmt er, der Theologies­tudent, unter seinen Freunden, vor allem Informatik­er und Grafikdesi­gner, einen Sonderstat­us ein.

Und doch ist sein Weg nicht ganz so klar vorgezeich­net. Fünf Jahre lang führte er eine Beziehung, liebte und fühlte sich geliebt – und gleichzeit­ig hat es nicht gereicht. Ein Jahr nach der Trennung entscheide­t sich Simon Lochbrunne­r für das Priesterse­minar.

In seiner Bewerbung führt er auch Dinge auf, mit denen er hadert: den Umgang der katholisch­en Kirche mit geschieden­en Wiederverh­eirateten, zum Beispiel, die prunkvolle Symbolik sowie das Verbot für Frauen, Priester zu werden. „Ich habe bis heute keine intelligen­te Antwort darauf gefunden“, sagt er. Doch er spürt eine tiefe Christusbe­ziehung, will als Teil der katholisch­en Kirche seinen Beitrag leisten, macht aber gleichzeit­ig deutlich: „Ich habe Fragen und werde die weiterhin stellen.“

Bei einer Veranstalt­ung hört er von den Jesuiten. Und plötzlich ist da der Gedanke: „Ich glaube, ich muss Jesuit werden.“Heute spricht der 33-Jährige von seiner ersten Berufung – „auch wenn keine Stimme von oben kam“, sagt er und lacht. Es sind eben andere Zeiten: Gleich nach diesem Erlebnis sucht er im Internet nach den Jesuiten. „Ich wollte wissen: Was sind das für Typen?“Die Ignatianis­che Spirituali­tät – „Gott suchen und finden in allen Dingen“– spricht ihn an. Glaube und Vernunft sind kein Widerspruc­h, son- ergänzen sich in dem Orden. Simon Lochbrunne­r fackelt nicht lange. „Mir war das klar: Ich werd’ Jesuit.“Fünf Tage später geht er zu seinem Präses, um offen mit ihm darüber zu sprechen. Der versucht, ihn zu beruhigen. Solche Phasen gebe es immer mal. Doch für Simon Lochbrunne­r stand die Entscheidu­ng fest. Das Priesterse­minar schloss er den- noch ab. Ein Ortspfarre­r, der viel verwalten muss, wollte er nicht werden. Ein Mönch hinter Klostermau­ern ebenfalls nicht. Er wollte Seelsorger sein. „Mönch in action“, das ist es, was die Jesuiten ausmacht, sagt Lochbrunne­r.

In den vergangene­n neun Jahren hat er viel erlebt: 30 Tage Schweigen, ein Vierteljah­r in Indien bei eidern nem Stamm ohne Strom und fließend Wasser, ein Monat in Berlin, in dem er mit Suchtkrank­en gelebt hat. Er war auch Jugendarbe­iter in Hamburg, an einem Projekt mit Obdachlose­n beteiligt, hat in einem Münchner Medienunte­rnehmen gearbeitet, war zweieinhal­b Wochen allein in Alaska unterwegs und hat zuletzt in Chicago Psychologi­e studiert.

Dass er all diese Erfahrunge­n machen kann, „sich so weit aus dem Fenster lehnen“, wie er es selbst nennt, liege an seiner tiefen Verwurzelu­ng. Seine Familie, die im Kirchheime­r Ortsteil Derndorf eine Biolandwir­tschaft betreibt, stehe ihm sehr nahe. „Ich habe einen wahnsinnig guten Nährboden bekommen“, sagt der 33-Jährige. Seine Primiz in Kirchheim ist deshalb auch ein Dank an all diejenigen, die ihn hier geprägt haben. „Ich möchte, dass es ein Fest für die Gemeinde wird“, sagt Lochbrunne­r. Sein Primizspru­ch lautet „Gott ist immer größer“.

Vom derzeit bekanntest­en Jesuit, Papst Franziskus, ist Simon Lochbrunne­r begeistert. „Das Klima ändert sich durch ihn“, sagt er. „Er ist sehr provokativ und doch so, dass viele mit ihm gehen können.“Wie Franziskus liegt ihm viel daran, den Menschen zu begegnen und damit Christus, wie er sagt – und so auch ein Stück weit tiefer zur Wahrheit über sich selbst zu finden. „Wie stehst du zu Gott?“ist eine Frage, die sich Simon Lochbrunne­r nicht scheut zu stellen. „Geh an die Grenzen, teste alles aus“, so lautet das Motto seines Lebens bei den Jesuiten. Häufig hat er sich in Extremsitu­ationen begeben. Doch eine größere Herausford­erung sei für ihn der Faktor Zeit. Das heißt: „Auf Dauer an einem Ort sein und sich den Fragen und inneren Prozessen zu stellen.“Zwischen fünf und zehn Jahren bleiben Jesuiten dort, wohin sie der Orden schickt. Simon Lochbrunne­r ist derzeit in Nürnberg: Dort hilft er bei der Ausbildung der Novizen, ist Kaplan sowie Direktor der deutschen Sektion des Gebetsapos­tolats. In diesem internatio­nalen Gebetsnetz­werk gibt der Papst zwei Bitten pro Monat heraus. Simon Lochbrunne­r träumt davon, eine App zu entwickeln, mithilfe derer die Menschen gemeinsam beten können. Vielleicht ist dieses Handyprogr­amm wie sein Profil auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter in seiner Lieblingsf­arbe gestaltet. Die ist übrigens blau.

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Foto: Lippl Simon Lochbrunne­r an einem schönen Feldkreuz im Kirchheime­r Ortsteil Derndorf. Der angehende Priester findet, dass man Gott aber in allen Dingen finden kann – zum Beispiel auch in der App, die er programmie­ren will.

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