Mittelschwaebische Nachrichten
„Neuburg wird von Halbertshofen regiert“
Sommerserie Das 85-Seelen-Dorf spielt in der Marktgemeinde eine ungewöhnliche Rolle. Vom Wechselspiel zwischen Tradition und Fortschritt und einem besonderen Maibaumfest. Warum sich einst der Henker an einen gesonderten Tisch setzen musste
Halbertshofen Viele sind vielleicht schon einmal auf dem Kammeltalradweg durchgeradelt, manche waren womöglich einmal zum Maibaumfest, das jahrelang am 1. Mai dort gefeiert wurde, schon dort. Andere wiederum mögen Halbertshofen, das 85-Seelen-Dörfchen, das westlich der Bahnlinie GünzburgMindelheim auf halber Höhe zwischen Neuburg und Hirschfelden liegt, auch nur vom Hörensagen kennen.
Dabei gibt es in Halbertshofen etwas ganz Besonderes: Die HeiligKreuz-Kapelle, die bereits im 14. Jahrhundert erbaut wurde. Jedes Jahr wird dort am 14. September mit einem feierlichen Gottesdienst das Patrozinium gefeiert. Auch wenn die Kapelle inzwischen nur noch zu besonderen Anlässen geöffnet ist, merkt man, wie wichtig den Halbertshofern Kirche, kirchliches Leben und die dazugehörige Tradition ist: „Zwei bis dreimal im Jahr findet unter der Woche abends eine Messe statt und ab und an haben wir Taufen und Hochzeiten“, erzählt Mesnerin Rosi Kohl. Vor allem Neuburger wären es, die die ruhige Idylle für besondere kirchliche Feste schätzten, weiß die Mesnerin. „Aber Fremde warad au scho dau“, wirft Max Heuschmid stolz ein.
Das Mesneramt ist für Rosi Kohl ein Traditionsamt in der dritten Familiengeneration: Direkt neben der Eingangstüre hängt ein kleines gerahmtes Foto, das Rosi Kohls Tante zeigt. Diese hatte das Amt bereits von deren Schwiegermutter über- nommen. Aufgehängt wurde das Foto im Rahmen der letzten, über ein Jahr andauernden Renovierungsarbeiten, die 2006 abgeschlossen wurden. Dabei erhielt die Kapelle auch eine komplett neue Innenausstattung, darunter auch ein Ewiges Licht. „Dieses Licht war damals auf dem Dachboden der Neuburger Kirche gefunden worden. Nachdem die Neuburger gesehen haben, wie schön es ist, wollten sie es zuerst selber behalten, aber Pfarrer Fritz wollte, dass es zu uns nach Halbertshofen kommt“, erzählt Marianne Heuschmid. „Und da können wir stur sein“, setzt sie lachend nach.
Unabhängigkeit vom „großen Bruder“
Bereits am Beispiel der Kapelle merkt man, wie wichtig es den Halbertshofern ist, in ihrer Eigenständigkeit – und nicht etwa als „kleiner Bruder“des größeren Nachbarortes Neuburg – wahrgenommen zu werden. Und so wird die eigenständige Rolle in der Marktgemeinde auch gerne humorvoll überspitzt betont: „Neuburg wird von Halbertshofen regiert – schließlich stellen wir mehr Gemeinderatsmitglieder“, witzelt Willi Botzenhart, der das Amt des Dritten Bürgermeisters bekleidet.
Auch abseits der Kommunalpolitik ist man stolz auf Ausstattung und Autonomie des Ortes. „Wir bekommen jetzt dann bald schnelles Internet. In ganz Halbertshofen wird ein Glasfaserkabel verlegt“, erzählt Max Heuschmid stolz. „Wenn man was richten muss oder was braucht, muss man nicht unbedingt raus aus dem Dorf“, sagt Kartoffelbauer Manfred Glogger. Ob Zimmerer, Schreiner, Fliesenleger oder Getränkehändler – Halbertshofen ist gut besetzt. Daran schätzt Gloggers Ehefrau Maria auch etwas Anderes: „Dadurch, dass viele Leute hier leben und arbeiten, ist das Dorf unter Tags nicht ausgestorben.“
Dennoch wird hier – wie auch beim Kirchenleben – ein essenzieller Strukturwandel ersichtlich: Wie an der Architektur der Häuser zu erkennen ist, gab es früher viele Bauern, heute gibt es keinen einzigen Viehbauern mehr. Manfred und Maria Glogger beispielsweise hörten 2012 mit der Viehwirtschaft auf und spezialisierten sich auf den Kartoffelanbau. Ihre Erträge werden je zur Hälfte an Gaststätten in der Umgebung geliefert und direkt auf dem Hof vermarktet. Auch Tochter Veronika hilft auf dem Hof mit und hat schon Pläne für die Zukunft: „Ich möchte mal einen Hofladen mit einem kleinen Café aufmachen, in dem es lauter selbst gemachte Sachen gibt“, erzählt die Zehnjährige.
Doch trotz des allgegenwärtigen Wandels ist in Halbertshofen auch vieles beim Alten geblieben, ja man ging und geht in mancher Hinsicht wieder zurück zu den Wurzeln: Einen Beitrag hierzu leistet Richard Kohl. Der Hobbyforscher hat einen Ordner mit historischen Fotos des Dorfes zusammengestellt und sammelt geschichtliche Informationen. So ist etwa bekannt, dass früher in Halbertshofen ein Henker wohnte, der sich in der Gaststätte an einen gesonderten Tisch setzen musste oder, dass das Maibaumfest auf einen Zwist mit dem Nachbarweiler Erisweiler aus dem Jahr 1978 zurückgeht. Daran kann sich auch Max Heuschmid noch gut erinnern: „Die Erisweiler haben unseren Maibaum geklaut. Als sie ihn zurückgebracht haben, haben sich völlig ungeplant viele Leute versammelt. Meine Frau und ich haben spontan einen Kessel und Würstchen besorgt und das Fest war geboren.“
Erst mit der Zeit hat sich dann das bekannte, öffentliche Maibaumfest und der Verein „Maibaumfreunde Halbertshofen“entwickelt, in dem fast alle Dorfbewohner aktiv sind. Vor ein paar Jahren beschlossen die Maibaumfreunde, wieder zum ursprünglichen dorfinternen Fest zurückzukehren: „Das ist richtig entspannt: Man sitzt um den Maibaum herum am 1. Mai, nachmittags gibt’s Kaffee, abends grillen wir zusammen“, erzählt Maria Glogger.
Eine weitere Tradition, die erst letztes Jahr neu belebt wurde, ist der Klopferstag, da es in Halbertshofen nun wieder mehr Kinder gibt: An einem Abend in der Adventszeit ziehen sie durch das Dorf, sagen ein Sprüchlein auf und bekommen dafür Süßigkeiten.
Ob diese Tradition wohl auch dazu beiträgt, die Halbertshofer Kinder langfristig ans Dorf zu binden? Bisher bleiben jedenfalls viele Gebürtige im Dorf, was auch an der Topografie ersichtlich ist: Die Gärten sind größtenteils verbaut, ältere Bauernhäuser zu Mehrfamilienhäusern umgebaut worden. Dabei wuchs und wächst das Dorf nicht nur durch Ortsansässige, sondern ebenso durch Zuzug von außerhalb. Auch Max Heuschmid heiratete vor vielen Jahrzehnten aus Hohenraunau ein: „Da hieß es am Anfang natürlich auch: ‚Des isch a Reigschmeckter!’ Aber jetzt bin ich den Großteil meines Lebens hier“, erzählt er lachend. Wichtig für die Integration, da sind sich die Halbertshofer einig, ist, dass man mit den Leuten „schwätzt“.
Richtig wohl fühlt sich hier auch Anita Novak, die Lebensgefährtin von Willi Botzenhart, die die Wochenenden in Halbertshofen verbringt. Sie kommt zwar auch vom Land, sieht aber einen ganz deutlichen Unterschied zwischen einem Dorf und einem Weiler wie Halbertshofen: „Das ist einfach ein ganz anderer Flair!“