Mittelschwaebische Nachrichten
Not macht erfinderisch
1916 ist es dann so weit. Kaum ein Laib Brot besteht noch zu hundert Prozent aus Getreidemehl. Aufgrund der Lebensmittelknappheit muss inzwischen Maismehl, Erbsenmehl oder Kartoffelmehl dazugemischt werden. Die sogenannten K-Brote haben teilweise einen Kartoffelanteil von bis zu 50 Prozent.
Anstatt Butter verwenden viele Frauen zum Kochen oder Backen Rindertalg und Hammelfett. Not macht erfinderisch, ist das makrabe Motto der Kriegszeit. Um die Kreativität der Deutschen, die seit Kriegsbeginn nicht mehr problemlos an alle Zutaten rankommen, noch zu fördern, gibt es Kriegskochbücher. Allerdings sind selbst darin Lebensmittel aufgeführt, die man nicht mal mit Gutscheinen bekommen kann. Viele empfinden es beispielsweise absurd, dass in einem Kuchenrezept eine Zitrone aufgeführt wird.
Durch die britische Seeblockade ist der Rohstoffmangel noch verschärft worden. Betroffen ist nicht nur die Lebensmittelbranche, auch die Textilindustrie hat seit dem Kriegseintritt praktisch keine Baumwolle mehr zur Verfügung – die wurde bis dato fast ausschließlich importiert. Wer keine Beziehungen zum Schwarzmarkt hat, für den sind Baumwollklamotten seither schier unerreichbar. Mögliche Alternativen zur Baumwolle sind Flachs und Hanf – doch der Anbau kann den enormen Bedarf leider nicht decken.
Aber – wie schon gesagt – so macht Not ja bekanntlich erfinderisch. Wer die etliche Male geflickte Baumwollhose nicht mehr sehen kann, der greift eben auf ein Pendant aus Brennnesselfasern oder Papiergarnen zurück. Auch Schuhsohlen werden daraus hergestellt, auch wenn die Bevölkerung die regenfestere Holzsohlen-Variante bevorzugte.
Um den Bedarf der Soldaten zu decken, lässt sich die Kriegsrohstoffabteilung weitere Maßnahmen einfallen. Sie lässt Anzugfutterstoffe, Wäsche und Unterkleidung beschlagnahmen.