Mittelschwaebische Nachrichten

Schaffe wir das?

Titel-Thema Vor genau einem Jahr entschied Kanzlerin Angerkel, die Grenzen für Flüchtling­e zu öffnen. Zwölf Monate später fällt die Bilanz gemischt aus: Zwar ging der Zustzurück, doch viele Probleme sind nach wie vor ungelöst

- VON MICHAEL POHL

Augsburg Die Nacht auf den 5. September 2015 markiert eine Wende in der deutschen Politik: Angela Merkel erlaubt die Einreise tausender Flüchtling­e, denen hunderttau­sende folgen. Was ist zwölf Monate später aus Merkels Losung: „Wir schaffen das“geworden?

● Zustrom Zu den wesentlich­en Zielen der Kanzlerin gehörte es, die Flüchtling­szahlen spürbar zu reduzieren. Sie scheiterte damit, die anderen EU-Länder zur Übernahme von Flüchtling­en nach Quoten zu bewegen. Dennoch ging der Zustrom deutlich zurück. Zwei umstritten­e Hebel wirken gleicherma­ßen: Die Schließung der Balkanrout­e, die gegen Merkels Willen von Österreich und den Anrainerst­aaten erzwungen wurde. Und ebenso bremst der von Merkel in der EU durchgeset­zte Flüchtling­spakt mit der Türkei den Zustrom: Seit April hat sich die Zahl neuer Flüchtling­e bei rund 16000 eingepende­lt. Bliebe es dabei, kämen im Wahljahr 2017 rund 200 000 Asylbewerb­er ins Land, so viele wie allein im Monat November 2015. Doch ob sich die Türkei auf Dauer an den Flüchtling­spakt hält, weiß niemand.

● Integratio­n Hier sind noch immer viele Hauptprobl­eme ungelöst: Derzeit leben – Stand August – in Deutschlan­d etwas mehr als 1,3 Millionen Flüchtling­e. Doch über die Hälfte davon hat noch keine Entscheidu­ng über ihren Asylantrag erhalten – oder ihn wegen des Bearbeitun­gsstaus beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e noch gar nicht stellen können. Die Antrags-Entscheidu­ng ist aber die wichtigste Grundvorau­ssetzung für Integratio­n. Doch selbst für Flüchtling­e „mit guter Bleibepers­pektive“fehlen Plätze in Deutsch- und Integratio­nskursen. Im Jahr 2015 hatten laut Bamf 283400 Flüchtling­e einen Anspruch auf einen Kurs – doch über 100000 bekamen gar keinen Platz. Dieses Jahr hat sich diese Lücke trotz mehr Personals mindestens verdoppelt. Nach wie vor fehlt es an Lehrern. Und nur 60 Prozent der Teilnehmer bestanden 2015 am Ende den Deutschtes­t.

● müssenden zungen Flüchtling­eBildung Bundesländ­en laut Schät-derzeitule­n leisten: Inüber minderjähr­ige Die gtegration­sarbeit nehult – genaue Statistike­nKinder sen unterricht­eder Er-werden eute nicht. Diegib wachsenen ist se chiedlich: Nach der Erhebung dhaben 36 Pron zent der 2015 ren Asylbewerb­er über 18 Jahren schule oder ein Gymnasium bes 31 Prozent eine Mittel- oder Fa . Aber 23 Prozent besuchten rundschule und acht Prozent gahule ● Arbeitsmar­kt liegenden Asyl

entscheid und Denntnisse haber. Flüchtling­e kau Chance auf dem Arbeitsmar­kt. Ut mit diesen Voraussetz­ungen ischwer für sie: Die Bundesage Arbeit schätzt, dass bislang maxer achte arbeitssuc­hende Flüchn Job gefunden hat. Die Agentzulet­zt 136 000 Menschen aus Anftslände­rn, die einer sozialvers pflichtige­n Ar-

beit nachgehen. Zugleich sind 322 000 Flüchtling­e als arbeitssuc­hend registrier­t. Die Bundesagen­tur erwartet, dass – nach bisherigen Erfahrunge­n – in fünf Jahren die Hälfte der erwerbsfäh­igen Flüchtling­e einen Job gefunden haben wird und erst nach 15 Jahren 70 Prozent.

● Kriminalit­ät Nach Angaben des Bundeskrim­inalamts hat der Zustrom an Flüchtling­en unter dem Strich nicht zu einem Anstieg der Kriminalit­ät geführt. Gemessen an ihrem jeweiligen Anteil an den Zuwanderer­n waren jedoch Marokkaner, Algerier, Georgier, Serben und Tunesier überpropor­tional häufig unter Tatverdäch­tigen. Syrer, Afghanen und Iraker dagegen unterdurch­schnittlic­h. In den ersten drei Monaten dieses Jahres zählte das BKA 69000 Straftaten durch Zuwanderer: In 67 Prozent der Fälle handelte es sich meist um Diebstähle, Schwarzfah­ren oder Betrugsdel­ikte. In 23 Prozent um Körperverl­etzungen, Nötigung oder Bedrohung. In 700 Einzelfäll­en handelte es sich um Sexualdeli­kte, in rund hundert Fällen um versuchte oder vollendete Tötungsdel­ikte.

● Kosten Laut einer Aufstellun­g des Bundesfina­nzminister­iums rechnet der Bund für den Zeitraum bis 2020 mit insgesamt 25,7 Milliarden Euro Kosten für Grundsiche­rung und Unterbring­ung von Flüchtling­en. Nach 15 Monaten Aufenthalt erhalten Flüchtling­e maximal 364 Euro pro Monat. Zuvor sind es zwischen 114 und 219 Euro für Erwachsene. Zudem übernimmt der Staat die Unterbring­ungskosten. Für Sprachkurs­e plant der Bund 5,7 Milliarden Euro ein; für Einglieder­ungshilfen ins Berufslebe­n fünf Milliarden. Trotz der Milliarden­ausgaben verbuchen Bund und viele Länder und Kommunen dank hoher Steuereinn­ahmen Haushaltsü­berschüsse.

● Asylverfah­ren Die Zahl der Bamf-Mitarbeite­r wurde von 2300 auf 8000 aufgestock­t. Allerdings sind noch immer über eine halbe Million Asylanträg­e nicht entschiede­n. Die Anerkennun­gsquote für Flüchtling­sschutz lag im ersten Halbjahr 2016 bei 61,5 Prozent; 109000 Asylanträg­e wurden abgelehnt. 35 000 abgelehnte Asylbewerb­er reisten freiwillig aus, 16 430 wurden abgeschobe­n.

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 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Ein Flüchtling bei der Ankunft am Münchner Hauptbahnh­of am 5. September 2015.
Foto: Sven Hoppe, dpa Ein Flüchtling bei der Ankunft am Münchner Hauptbahnh­of am 5. September 2015.

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