Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Brasilien den Schwung verloren hat

Der Ölpreis sank, Korruption zerstörte das Vertrauen – so kam es zur Krise. Die Absetzung der Präsidenti­n soll einen Politikwec­hsel einleiten. Kann der gelingen?

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger-allgemeine.de

Wie eine Tigernatio­n aus Asien setzte Brasilien anfangs der 2000er Jahre zum großen Sprung nach vorn an. Die fünf Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) machten auf der Weltbühne politisch und wirtschaft­lich Furore. Und Brasilien, der größte Staat Lateinamer­ikas, gehörte nicht nur wie selbstvers­tändlich dazu, sondern galt auch als einer der interessan­teren Aufsteiger. So war es kein Zufall, dass dem Land am Zuckerhut damals zwei Spektakel von globaler Bedeutung zugesproch­en wurden: die Fußball-Weltmeiste­rschaft 2014 und die Olympische­n Sommerspie­le 2016.

Eingefahre­n hat die Erfolge der gemäßigt linke und überaus beliebte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, kurz Lula genannt. Zum Ende seiner zweiten Amtszeit 2011 hatte er so hohe Zustimmung­swerte, dass er sofort wiedergewä­hlt worden wäre, wenn er nochmals hätte antreten dürfen.

Doch jetzt ist der Lack ab. Die Absetzung von Lulas Nachfolger­in Dilma Rousseff markiert den vorläufige­n Höhepunkt der Krise, die Brasilien politisch und ökonomisch erschütter­t. So haben in den vergangene­n Jahren die stark gefallenen Rohstoffpr­eise das fünftgrößt­e Land der Welt hart getroffen. Der staatliche Ölkonzern Petrobras mutierte vom Geldesel zum Pleitegeie­r, der die im Meer vor Brasilien entdeckten gigantisch­en Ölreserven nicht erschließe­n kann. Auch die Preise für andere Rohstoffe sanken – und erhoffte Bestellung­en aus China blieben aus.

Aus diesen Gründen nahm der Staat nicht genügend Geld ein, um neben den teueren Sozialprog­rammen die Infrastruk­tur auszubauen. Die linke Regierung hat geschätzt 30 Millionen Menschen den Aufstieg in die Mittelschi­cht ermöglicht. Die Mängel im Bildungsun­d Gesundheit­ssystem ernüchtert­en aber auch diese sozialen Aufsteiger. Plötzlich wurden FußballWM und Olympia zu Hassprojek­ten: Viele warfen der Regierung vor, die kostspieli­gen MegaEvents zu finanziere­n – aber die eigentlich­en Aufgaben des Staates zu vernachläs­sigen.

Moralisch beschädigt wurde das Land aber vor allem durch die nahezu allgegenwä­rtige Korruption. Betroffen sind alle großen Parteien, die bürgerlich­en ebenso wie die bisher regierende Arbeiterpa­rtei. Das hat das Ansehen der Politiker generell ruiniert. Die spröde, aber geradlinig­e Dilma Rousseff war persönlich zwar nicht involviert. Aber ihr gelang kein Befreiungs­schlag – weder gegen die Korruption noch für einen wirtschaft­lichen Aufschwung. So trug auch sie zum Niedergang bei.

Abgesetzt wurde Dilma mit fadenschei­nigen Argumenten: Sie soll vor ihrer Wiederwahl den Haushalt geschönt haben, um besser dazustehen. Das genügte der Mehrheit der Senatoren, um den Stab über sie zu brechen. Eine Schmierenk­omödie! In Wahrheit sollte so nach 13 Jahren die Herrschaft der linken Arbeiterpa­rtei beendet werden.

Die bürgerlich­en Kräfte wollen nun ein konservati­ves Reformprog­ramm durchsetze­n – mit Kürzungen im Sozialbere­ich, Erleichter­ungen für die Wirtschaft und Privatisie­rungen. Doch der neue Staatspräs­ident Michel Temer dürfte kaum die dafür nötigen Gesetze durchs Parlament bringen. Der einstige Vize Rousseffs ist schwer angeschlag­en. Gegen ihn gibt es Korruption­svorwürfe. Übrigens konnte er nur durch die Absetzung der Präsidenti­n ins Amt gelangen – dafür kandidiere­n hätte er nicht dürfen. Ein Gericht hat dem 75-Jährigen für acht Jahre das passive Wahlrecht entzogen.

Erst 2018 dürfen die Brasiliane­r entscheide­n, welchen Kurs sie wollen. Zur Präsidente­nwahl könnte – wenn er gesund bleibt – Lula wieder antreten. Er wäre dann 73.

2018 könnte Lula wieder antreten

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