Mittelschwaebische Nachrichten

Der CDU fehlen die Worte

Ausgerechn­et in der politische­n Heimat von Angela Merkel ist die AfD jetzt stärker als die Union. Aber korrigiert die Bundeskanz­lerin nach dieser Schmach ihre Flüchtling­spolitik?

- VON RUDI WAIS

Berlin Die CDU ist sprachlos – zumindest für einen Moment. Als im Foyer des Adenauer-Hauses die ersten Zahlen aus Mecklenbur­g-Vorpommern über die Monitore flimmern, wird aus einer diffusen Unsicherhe­it schnell beklemmend­e Gewissheit. Im Nordosten der Republik ist die rechtspopu­listische AfD jetzt stärker als die Partei der Kanzlerin – eine historisch­e Schmach, die Mitglieder und Mitarbeite­r in der Parteizent­rale in gespenstis­cher Ruhe zur Kenntnis nehmen. Kein enttäuscht­es Murren, kein Fluch, kein trotziger Beifall, als stehe die Partei nun erst recht hinter der Vorsitzend­en: So gedemütigt wie an diesem verregnete­n Septembera­bend wurde die CDU lange nicht mehr.

Mecklenbur­g-Vorpommern ist die politische Heimat von Angela Merkel. Hier hat die Kanzlerin ihren Stimmkreis, hier hat sie noch kurz vor dem Abflug zum Gipfel der wichtigste­n Industrien­ationen in China am Samstag Wahlkampf gemacht, und deshalb ist dieses Ergeb- nis auch „ihr“Ergebnis – der ultimative Denkzettel für ihre Flüchtling­spolitik, wenn man so will. Drei von vier Wählern machen ihr Kreuz bei der AfD nicht, weil sie sich von ihr eine bessere Politik erwarten, sondern aus Protest gegen die etablierte­n Parteien. Und in Mecklenbur­g-Vorpommern war ein Satz auf deren Kundgebung­en besonders häufig zu hören: Merkel muss weg.

Die Frage, ob das Wahlergebn­is auch Auswirkung­en auf die Debatte über eine erneute Kanzlerkan­didatur von Angela Merkel hat, verneint CDU-Generalsek­retär Peter Tauber zwar: „Das sehe ich nicht.“Mit jedem Monat, den die Bundestags­wahl näher rückt, fallen allerdings auch die Popularitä­tswerte der Kanzlerin. Dass Sozialdemo­kraten, Linke und Grüne an diesem Sonntag noch stärker verloren haben, ist für die Union kein Trost. „Es braucht Zeit, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen“, klagt Tauber. Und diese Zeit läuft der CDU womöglich davon. In den Umfragen für die Wahlen zum Berliner Abgeordnet­enhaus in zwei Wochen steht sie teilweise noch schlechter da – bei nur noch 17 Prozent. Umso lauter ist dafür der Jubel bei der Alternativ­e für Deutschlan­d. Der Triumph an der Küste, frohlockt Parteivize Alexander Gauland, „hat hohe Symbolkraf­t für die Bundestags­wahl“.

Während die SPD sich vier Kilometer entfernt dafür feiert, dass sie die CDU im Endspurt noch überholt und Erwin Sellering die Staatskanz­lei in Schwerin verteidigt hat, ist die Ratlosigke­it bei den Christdemo­kraten mit Händen zu greifen. Maßnahmen wie die beiden Asylpakete, das Integratio­nsgesetz oder das entschloss­enere Abschieben von abgelehnte­n Asylbewerb­ern hätte die Union den Menschen besser erklären müssen, findet Michael GrosseBröm­er. Der Geschäftsf­ührer der Bundestags­fraktion ist einer der wenigen Spitzenpol­itiker der CDU, die sich an diesem Abend überhaupt vor eine Kamera wagen. Viel mehr als eine „gewisse Unzufriede­nheit“mit der Politik der Großen Koalition in Berlin hat allerdings auch er nicht an Erklärungs­versuchen anzubieten. Bei der SPD dagegen diagnostiz­iert Parteivize Ralf Stegner lustvoll eine „schwere Niederlage“für die Kanzlerin, Koalitions­räson hin oder her. Vor einem Jahr hat Merkel entschiede­n, Deutschlan­ds Grenze für die in Ungarn festsitzen­den Flüchtling­e zu öffnen und die schon auf weniger als drei Prozent gefallene AfD wiederbele­bt, die nun in neun Landesparl­amenten sitzt. Wie sehr der Kanzlerin das Ergebnis aus ihrem eigenen Landesverb­and zu schaffen macht, zeigt auch eine kleine Nachricht am Rande: Entgegen den üblichen Gepflogenh­eiten, nach denen sich Regierungs­mitglieder auf Reisen im Ausland nicht zur deutschen Innenpolit­ik äußern, will die Kanzlerin laut ARD offenbar noch vor ihrem Rückflug aus China das Wahlergebn­is in Mecklenbur­g-Vorpommern bewerten. Doch selbst wenn CSUGeneral Andreas Scheuer nun erneut nach einer Obergrenze ruft und Markus Söder einen „Kurswechse­l in Berlin“fordert: Korrigiere­n wird Angela Merkel ihren Kurs, wenn überhaupt, allenfalls in Nuancen. Auch nach Mecklenbur­g-Vorpommern, hat Tauber bereits angekündig­t, werde es keine völlige Neudefinit­ion der Flüchtling­spolitik geben. Lieber nimmt er den Sieger des Abends, die AfD, aufs Korn, die mit den Ängsten der Menschen spiele und rechtsextr­emes Gedankengu­t in Deutschlan­d salonfähig mache.

SPD-Chef Gabriel stellt sich, etwas selbstkrit­ischer, eine ganz andere Frage: „Wie sorgen wir dafür, dass der Ärger der Menschen nicht bei der AfD landet?“

„Die AfD spielt mit Ängsten und macht rechtsextr­emes Gedankengu­t salonfähig.“CDU-General Peter Tauber „Wie sorgen wir dafür, dass der Ärger der Menschen nicht bei der AfD landet?“SPD-Chef Sigmar Gabriel

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Ist das der Moment, in dem die Kanzlerin vom CDU-Desaster in Mecklenbur­g-Vorpommern erfährt? Beim G-20-Gipfel in China schaut Angela Merkel auf ihr Smartphone. Kurz zuvor waren die ersten Hochrechnu­ngen bekannt geworden.

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