Mittelschwaebische Nachrichten
Franziskus und der „Engel der Armen“
Mutter Teresa engagierte sich ihr Leben lang für Benachteiligte. Mit der Heiligsprechung der Ordensfrau setzt der Papst im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit ein Zeichen – und vermittelt noch eine ganz andere Botschaft
Rom Mehr als 800 Selige hat Papst Franziskus in seiner knapp dreieinhalb Jahre langen Amtszeit schon zu Heiligen gemacht. Doch wohl kaum einer von ihnen steht so sehr für seine Vorstellung von einer barmherzigen Kirche, die sich um die Armen und Bedürftigen kümmert, wie Mutter Teresa. Die Heiligsprechung der kleinen Nonne mit dem weiß-blauen Ordensgewand durch Papst Franziskus ist genauso wenig ein Zufall wie der Zeitpunkt im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit. Der Argentinier selbst bezeichnete die Heiligsprechung in Rekordzeit als „Zeugnis der Barmherzigkeit unserer Zeit“. Das medienwirksame Großereignis mit hunderttausenden Pilgern auf dem Petersplatz gilt als Höhepunkt des derzeitigen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit.
Nächstenliebe, eine vergebende und nicht strafende Kirche, dafür steht auch Franziskus. „Mutter Teresa hatte ein sehr schönes Bild von Vergeben, das Vergeben und Vergessen kombiniert“, sagte Pater Brian Kolodiejchuk, der als Postulator den Prozess vorangetrieben hat. „Sie ist die perfekte Heilige für das Jahr der Barmherzigkeit“Der selbstlose Einsatz von Mutter Teresa für die Armen und ihre Nächstenliebe passen zu den Schwerpunkten, die Papst Franziskus in seinem Pontifikat setzt. Der 79-Jährige will eine Kirche, die an die Ränder der Gesellschaft geht – was Mutter Teresa vorlebte wie kaum eine andere. „Ihre Mission in den Randzonen der Städte und den Randzonen des Lebens bleibt in unserer Zeit ein beredtes Zeugnis für die Nähe Gottes zu den Ärmsten der Armen“, sagte Franziskus.
Die beiden hatten sich 1994 im Vatikan kennengelernt. Er habe ihre Kraft und die Entschiedenheit ihrer Wortmeldungen bewundert, sagte Franziskus später. „Sie sagte immer das, was sie sagen wollte.“Nun würdigte er die 1997 im Alter von 87 Jahren gestorbene Nonne als „uner- müdliche Arbeiterin der Barmherzigkeit“. Viele verehrten Mutter Teresa schon zu Lebzeiten als Heilige, vor allem in Indien ist ihre Popularität ungebrochen.
Doch trotz ihrer Beliebtheit ist die Heiligsprechung Mutter Teresas nicht unumstritten. Die Kritik an ihrer Arbeit, die nur die Symptome der Armut bekämpfte, nicht aber die Ursachen, oder die angeblich schlimmen Zustände in einigen Heimen ihres Ordens sowie die Intransparenz bei Spendengeldern waren auf dem Petersplatz am Sonntag bei strahlendem Sonnenschein kein Thema. Auch die nach ihrem Tod bekannt gewordenen Zweifel Mutter Teresas an Gott sprach Franziskus nicht an.
Dabei waren die Briefe der 1910 im heutigen Mazedonien geborenen Agnes Gonxha Bojaxhiu, in denen sie über ihre Zweifel, ein Gefühl der Verlassenheit und eine große Dunkelheit schrieb, ein gefundenes Fressen für die Kritiker. Der Papst thematisierte die Glaubenszweifel der Nonne mit dem berühmten Lächeln in seiner Predigt allerdings mit keinem Wort. Auch darin sehen einige Beobachter ein Zeichen. So vermittelt die Heiligsprechung von Mutter Teresa vielen Katholiken in heutigen Zeiten ein anderes Bild einer barmherzigen Kirche, in der Zweifel und Fragen durchaus erlaubt sind. Es ist das Bild einer Kirche, in der selbst Heilige nicht perfekt sein müssen. „Sie hat gezeigt, dass das Böse vergeben und auch die größte Dunkelheit überwunden werden kann“, sagte der kanadische Pater Kolodiejchuk. Dass sie ihre eigenen Nöte und Glaubenszweifel nicht ausgespart habe, mache Mutter Teresa zu einer Heiligen für jeden.
Die Heiligsprechung wurde weltweit von Millionen Gläubigen verfolgt. Mit Gebeten und zahlreichen Veranstaltungen hat auch der Orden Mutter Teresas in Indien die Zeremonie begleitet. Hunderte Nonnen und Besucher versammelten sich am Sonntag im Haupthaus des Ordens „Missionarinnen der Nächstenliebe“in Kolkata (früher Kalkutta), um die Heiligsprechung auf Großbildschirmen zu verfolgen.
Miriam Schmidt, dpa