Mittelschwaebische Nachrichten

Überraschu­ng aus dem Kosmos

Immer wieder sausen Asteroiden nah an der Erde vorbei. Ein Planetenfo­rscher erklärt, warum die Brocken oft erst spät entdeckt werden und wie wahrschein­lich ein Einschlag ist

- Alan Harris, 64, arbeitet am Institut für Planetenfo­rschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin.

Herr Harris, vor einigen Tagen flog der Asteroid „2016 QA2“mit etwa 84 000 Kilometern Abstand an der Erde vorbei. Sind wir da nur knapp einer Katastroph­e entgangen? Alan Harris: Nein, ich denke nicht. Aber der Fall zeigt, dass ein Asteroid jederzeit die Erde treffen könnte. Es passiert relativ oft, dass ein Objekt dieser Größe – ungefähr 30 Meter im Durchmesse­r – in diesem Abstand an der Erde vorbeikomm­t. Diesmal haben wir den Asteroiden nur wenige Stunden vorher gesehen.

Warum wurde er so spät entdeckt? Harris: Objekte dieser Art haben Umlaufbahn­en, die der Umlaufbahn der Erde ähnlich sind. Man muss entlang der Erdumlaufb­ahn danach suchen, da sie nur ein paar Stunden nach Sonnenunte­r- oder vor Sonnenaufg­ang zu sehen sind. „2016 QA2“gehört zu der Klasse von Asteroiden, die die Erdbahn kreuzen. Über einen großen Teil ihrer Umlaufbahn steht die Sonne im Weg. Die Objekte sind meist bei Tageslicht am Himmel. Dann kann kein Teleskop so etwas entdecken.

Kommt es oft vor, dass Asteroiden so spät entdeckt werden? Harris: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: 2012 hatten wir einen Asteroiden mit 40 Metern Durchmesse­r lokalisier­t, der am 15. Februar 2013 in 28 000 Kilometern Entfernung an der Erde vorbeiflog. Den hatten wir also ein Jahr vorher schon entdeckt. Am selben Tag tauchte plötzlich aber auch die Feuerkugel über Tscheljabi­nsk in Russland auf, ein Objekt von 19 Metern Durchmesse­r. Dieser Asteroid ist in etwa 25 Kilometern Höhe explodiert. Durch die Druckwelle wurden tausende Gebäude beschädigt und 1500 Menschen verletzt. Den Brocken haben wir vorher überhaupt nicht gesehen. Als er noch weiter weg war, war er zu klein, um ihn zu sehen.

Ab welcher Distanz zur Erde muss mit Schäden gerechnet werden? Harris: Wenn ein solcher Brocken nur die Erdatmosph­äre streift, dann ist es kein Problem. Anders wäre es, wenn er in sie eindringt und Richtung Erdboden stürzt. Ein Objekt mit weniger als 50 Metern Durchmesse­r würde in der Regel in der Luft explodiere­n. Dann hätte man solche Schäden wie in Tscheljabi­nsk oder, je nach Masse und Einsturzwi­nkel, sogar schlimmer. Was droht uns, wenn es tatsächlic­h zu einem Einschlag kommen sollte? Harris: Dann könnten ganze Städte zerstört werden. Wenn ein 100-Meter-Asteroid einschlage­n würde, dann würde sich wohl ein Krater bilden, der einen Durchmesse­r von etwa ein bis zwei Kilometern hätte.

Wie hoch ist die Wahrschein­lichkeit für einen solchen Einschlag? Harris: Bei 100-Meter-Objekten rechnet man mit einem Einschlag alle zehntausen­d Jahre. In jedem Jahrhunder­t haben wir eine Wahrschein­lichkeit von etwa einem Prozent. Das muss aber nicht heißen, dass gleich eine große Stadt getroffen wird. Es gibt sehr viele unbewohnte Gegenden und viele Ozeane. Bei einem Einschlag ins Meer müsste man aber mit einem Tsunami rechnen.

Wie kann man die Gefahr abwehren? Harris: Eine Methode, die heutzutage unter Experten viel diskutiert wird, ist der „kinetische Impaktor“. Da schießt man sozusagen eine Raumsonde in den Asteroiden hinein. Wenn man das richtig berechnet und genug Informatio­nen über den Asteroiden hat, könnte man die Umlaufbahn so ändern, dass der Asteroid an der Erde vorbeiflie­gt.

Muss die Menschheit mehr an der Früherkenn­ung arbeiten? Harris: Wir brauchen Teleskope, mit denen auch kleinere Objekte auffindbar sind, damit wir bessere Warnmöglic­hkeiten bekommen. Wir arbeiten daran. Bei größeren Brocken sind wir schon gut aufgestell­t mit den Suchprogra­mmen, die es in den USA gibt.

Wir sind also für den Notfall gerüstet? Harris: Wir brauchen keine Angst haben vor einem großen Einschlag. Vor einem Objekt, das potenziell Millionen Menschen töten könnte, könnten wir wahrschein­lich zehn bis 50 Jahre vorher warnen. Im Augenblick kennen wir kein solches Objekt. Immer wieder aber, vielleicht ein paarmal in 100 Jahren, werden wir so eine Situation wie in Tscheljabi­nsk erleben. Interview: Jens Noll

 ?? Foto: Nasa, dpa ?? Diese Computersi­mulation der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa zeigt, wie ein Asteroid die Erde passiert. Erst Ende August schoss ein solcher Brocken knapp vorbei – und keiner sah ihn kommen. Je nach Größe des Objekts hätte ein Einschlag dramatisch­e Folgen.
Foto: Nasa, dpa Diese Computersi­mulation der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa zeigt, wie ein Asteroid die Erde passiert. Erst Ende August schoss ein solcher Brocken knapp vorbei – und keiner sah ihn kommen. Je nach Größe des Objekts hätte ein Einschlag dramatisch­e Folgen.
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