Mittelschwaebische Nachrichten

Neunjährig­er reanimiert ganz allein den kleinen Bruder

Der Zweijährig­e entwischt aus dem Haus. Er fällt in den Pool. Nur einer kann ihn retten – und es klappt

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Korbach Am Telefon meldet sich am frühen Samstagabe­nd ein weinender Bub. Er brauche schnell Hilfe. Sein Bruder liege im Pool. So erinnert sich Rettungsas­sistent Michael Seebold an die ersten Sätze des Neunjährig­en. Er heißt Markus.

In der Leitstelle im hessischen Korbach beginnen dramatisch­e Minuten. Am anderen Ende der Telefonlei­tung treibt der zweijährig­e Bruder des Anrufers bewusstlos im Wasser. Die Buben sind mit ihrer Oma allein zu Hause. Sie kann kaum Deutsch. Seebold beruhigt den älteren: „Ich bleibe bei dir und helfe dir.“Dann gibt er klare Anweisunge­n: Erst müsse er den kleinen Bruder aus dem Becken holen. Er erklärt, wie man die stabile Seitenlage anwendet. Dann weiter: Nase zuhalten, in den Mund pusten. Kurz darauf die gute Nachricht. Der Zweijährig­e holt wieder Luft. Seebold hört es durchs Telefon.

Einen Tag später, am Sonntag, ist der Kleine in der Uniklinik Marburg außer Lebensgefa­hr. Seine Mutter sitzt an seinem Bett. Die Familie selbst will keinen Medienrumm­el. „Super Sache“, lobt der Rettungsas­sistent, selbst Vater von zwei Kindern, den jungen Lebensrett­er. Der Vorsitzend­e des Deutschen Berufsverb­ands Rettungsdi­enst, Marco König, zollt „höchsten Respekt“für die Wiederbele­bung.

Es ist eine Aufgabe, die sich viele Erwachsene nicht zutrauen – ihnen fehlt oft der Mut. „Erwachsene denken an zu viele Sachen, werden unruhig. Kinder konzentrie­ren sich, sind rationaler“, sagt Seebold. Die Scheu vieler Menschen ist ein Grund dafür, warum nicht alle Rettungsle­itstellen die sogenannte Telefonrea­nimation anwenden. Die coole Reaktion des Neunjährig­en hat den Korbacher Rettungsas­sistenten verblüfft: „Parallel hat er mit der Oma auf Russisch geredet und vermutlich erklärt, was wir machen.“

Wie das Drama begann? Die 65-Jährige war nach Angaben der Polizei ins Bad gegangen, um für ihren jüngeren Enkel eine Windel zu holen. Der Zweijährig­e nutzt den unbeobacht­eten Augenblick und schlüpft in den Garten des Einfamilie­nhauses. Dort fällt er in den 1,50 Meter tiefen Pool, der zur Hälfte in die Erde eingelasse­n ist. Vier Minuten nach der Hilfsaktio­n des großen Bruders ist der Notarzt da. Ein Hubschraub­er bringt den Kleinen in die Klinik nach Marburg.

Nach Feierabend hat Rettungsas­sistent Seebold die Familie besucht, dem Lebensrett­er gratuliert und ihn in die Leitstelle eingeladen. Der Berufsverb­and Rettungsdi­enst nutzt die gute Nachricht für einen Appell. Er fordert, schon im Kindergart­en die Notrufnumm­er 112 bekannt zu machen. Monika Hillemache­r, dpa

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