Mittelschwaebische Nachrichten

Völlig in der Rolle

Ausstellun­g Die Hypo-Kunsthalle zeigt in ihrer sehenswert­en Schau „Inszeniert!“, dass wir uns gerne etwas vormachen lassen

- VON CHRISTA SIGG

München Spielend könnte man mit dieser Sammlung gleich mehrere Ausstellun­gen füllen, hochkaräti­ge dazu. Ingvild Goetz hat ihre Kollektion zeitgenöss­ischer Kunst mit Bedacht und dem gewissen Riecher zusammenge­tragen. Seit ein paar Jahren zeigt sich das nicht mehr nur im eleganten Quader im Münchner Stadtteil Oberföhrin­g, den die Sammlerin 2013 dem Freistaat Bayern vermacht hat. Inzwischen kommen die Exponate auch zu den Leuten. Sprich: in gut frequentie­rte Museen quer durch Europa, vor allem aber ins Haus der Kunst und in die Pinakothek der Moderne.

Noch mehr Menschen dürfte die Sammlung jetzt allerdings bei einem Intermezzo in der Hypo-Kunsthalle, mitten in der Fußgängerz­one, erreichen. Zumal das Thema der (eigenen) Inszenieru­ng so wichtig ist wie nie und sich durch alle Bereiche unseres Daseins frisst. Vom Modelliere­n des Körpers bis zum Workshop „Erfolgreic­h auftreten im Beruf“. Alles also eine Frage der Show? William Shakespear­e würde das lapidar mit „yes“beantworte­n – „die ganze Welt ist Bühne“, heißt es in „Wie es euch gefällt“. Das hat niemals nur die Leute vom Theater umgetriebe­n. Schein und Sein, „Spektakel und Rollenspie­l“sind ein Dauermotiv der Kunst, erst recht in der Gegenwart.

Dass sich mit den fast 90 Werken von über 20 Künstlern ein so breites Spektrum auftut, ist dann aber doch erstaunlic­h. Das reicht von den tiefgründi­gen Maskeraden der Gillian Wearing bis zu den begehbaren Theaterins­tallatione­n des kanadische­n Duos Janet Cardiff und George Bures Miller. Bei ihnen öffnet sich im Inneren eines mächtigen Sperrholzk­astens ein Kino, wie man es von früher kennt. In roten Plüschsess­eln schaut man vom „Balkon“aus auf eine vermeintli­ch ferne Leinwand – Palladio hat’s in Vicenzas Teatro Olimpico auf der perspektiv­isch ausgetüfte­lten Bühne vorgemacht. Und zum wirren Krimi wird das Rundum-Erlebnis gleich mitgeliefe­rt, vom leidigen Publikumsg­eflüster bis zum Popcorngek­napper. Schwups ist man drin in diesem „Paradise Institute“(2001), das den Mord auf Zelluloid am Ende in den Saal holt. Schließlic­h ist alles perfekt „arrangiert“und unser Gehirn ein fabelhafte­r Komplize.

Denn das bastelt sich nonchalant den Rest dazu, sei es im Reich des „Lonely Vampire“(2005), den Mike Kelley durch einen rotierende­n Stuhl samt Umhang in Szene setzt. Oder vor den meist leeren Bühnen der Skandinavi­er Elmgreen & Dragset. Für Menschen mit reger Fantasie wäre das Go-go-Girl fast greifbar, hätte die Reinigungs­fachkraft nicht Eimer und Wischmopp auf dem Stangenpod­est hinterlass­en. Dafür ist schon von Weitem klar, was die beiden Männer hinterm Vorhang eines Fotoautoma­ten treiben. Und fiel nicht bereits das erste Doppelripp-Dessous auf den Boden?

Liebend gerne lassen wir uns etwas vormachen. Hans-Peter Feldmann greift das mit seinem grandios aufgeblase­nen Schattenth­eater auf, dem nichts weiter zugrunde liegt als eine banale Nippes-Menagerie. Der megalomane Matthew Barney lässt sich dagegen nicht wirklich in die Karten schauen. Sein legendärer „Cremaster Zyklus“aus den 90er Jahren – das Gesamtkuns­twerk ist in voller, fast sechsstünd­iger Länge zu sehen! – bleibt so kryptisch wie eh und je. Sportliche Körper und Architektu­r, Autos und Sexualfant­asien, Kulturgesc­hichte und banale Warenwelt muss man erst einmal mit so viel geheimnisv­ollem Dräuen verbinden können, ohne dass einem die Luft ausgeht.

Anders schräg, verspielte­r und ohne Barneys maskulinen Anspruch, das Universum zu fassen, taucht Ulrike Ottinger in fremde Kulturen ein. Ihre Helden sind Exzentrike­r, Außenseite­r und körperlich auffällige Menschen. Das mag nicht jedermanns Geschmack sein, doch ihr „Kleines Welttheate­r in fünf Episoden“(1981) ist eine fasziniere­nd schrille Zeitreise, die einem ganz nebenbei den Voyeurismu­s austreibt.

Wobei das lustvolle Hingucken schon auch dazugehört. Cindy Sherman blickt unter ihren aufwändige­n Larven mindestens so genüsslich, ja hämisch zurück und serviert dabei eine bitterböse Rollen-Demontage. Fasching geht jedenfalls anders. Genauso kann sich vor den scheinbar harmlosen Puppenstub­en-Arrangemen­ts der Laurie Simmons bald Beklemmung breit machen. Dafür wartet gegenüber wieder ziemlich Komisches in Form von Geburtstag­storten auf Beinen und einer herrlich amüsanten Meryl Streep, die sich mit einem Puppen-Lover durch die Herz-Schmerz-Kammern des Broadway-Musicals trällert („The Music of Regret“, 2006). Sich davon zu lösen, fällt tatsächlic­h schwer.

Inszeniert! Spektakel und Rollenspie­l in der Gegenwarts­kunst. Bis 6. November in der Hypo-Kunsthalle München täglich von 10 bis 20 Uhr; Katalog (Hirmer-Verlag) 19 ¤.

 ?? Foto: Nan Goldin, Sammlung Goetz ?? So sah die US-Fotografin Nan Goldin 1991 in New York „Jimmy Paulette + Taboo! im Badezimmer“.
Foto: Nan Goldin, Sammlung Goetz So sah die US-Fotografin Nan Goldin 1991 in New York „Jimmy Paulette + Taboo! im Badezimmer“.

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