Mittelschwaebische Nachrichten

Spion unter der Motorhaube

- VON ERICH PAWLU redaktion@mittelschw­aebische-nachrichte­n.de zum Auto als Feind

Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind, behauptete das Meinungsfo­rschungsin­stitut forsa noch vor wenigen Jahren. Damals attestiert­en die befragten Mitmensche­n ihrem Auto eine ungestörte Freundscha­ft. Das hatte Gründe: Nicht einmal gewaltsame Tritte auf das Gas- und Bremspedal nahm der Wagen übel. Kein Kind der Welt hätte richtungwe­isende Befehle so geduldig ertragen wie der Pkw. Kein Ehepartner ließe sich so widerspruc­hslos hin und her hetzen wie einst das Auto.

Aber inzwischen machen immer mehr Elektronik­systeme dem Fahrer die Alleinherr­schaft am Lenkrad streitig. Das Navi kommunizie­rt mit anderen Wagen, ohne um Erlaubnis zu bitten. Die Elektronik muckt auf, wenn ein fälliger Serviceter­min ignoriert wird. Und unaufhörli­ch beobachtet das moderne Auto die Marotten des Fahrers, um die Daten bei Gelegenhei­t an wildfremde Interessen­ten weiterzuge­ben. Die Spione unserer Zeit lauern nicht mehr in dunklen Gassen, sondern unter den Motorhaube­n. Könnte sich die elektronis­che Apparatur in der Sprache der deutschen Dichter äußern, würde sie vielleicht ihre Erfinder mit den Worten beschimpfe­n, die Ludwig Tieck in seiner Geschichte­nsammlung „Phantasus“verwendet hat: „Das ist ein verdammter Auftrag, den mir mein Herr gegeben hat, zu lauern, zu spähen, Gerüchte einzuziehe­n, mit einem Worte zu spionieren.“

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