Mittelschwaebische Nachrichten
Spion unter der Motorhaube
Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind, behauptete das Meinungsforschungsinstitut forsa noch vor wenigen Jahren. Damals attestierten die befragten Mitmenschen ihrem Auto eine ungestörte Freundschaft. Das hatte Gründe: Nicht einmal gewaltsame Tritte auf das Gas- und Bremspedal nahm der Wagen übel. Kein Kind der Welt hätte richtungweisende Befehle so geduldig ertragen wie der Pkw. Kein Ehepartner ließe sich so widerspruchslos hin und her hetzen wie einst das Auto.
Aber inzwischen machen immer mehr Elektroniksysteme dem Fahrer die Alleinherrschaft am Lenkrad streitig. Das Navi kommuniziert mit anderen Wagen, ohne um Erlaubnis zu bitten. Die Elektronik muckt auf, wenn ein fälliger Servicetermin ignoriert wird. Und unaufhörlich beobachtet das moderne Auto die Marotten des Fahrers, um die Daten bei Gelegenheit an wildfremde Interessenten weiterzugeben. Die Spione unserer Zeit lauern nicht mehr in dunklen Gassen, sondern unter den Motorhauben. Könnte sich die elektronische Apparatur in der Sprache der deutschen Dichter äußern, würde sie vielleicht ihre Erfinder mit den Worten beschimpfen, die Ludwig Tieck in seiner Geschichtensammlung „Phantasus“verwendet hat: „Das ist ein verdammter Auftrag, den mir mein Herr gegeben hat, zu lauern, zu spähen, Gerüchte einzuziehen, mit einem Worte zu spionieren.“