Mittelschwaebische Nachrichten

Asyl: Der lange Weg zur Arbeit

Wirtschaft Der scheidende Arbeitsage­nturchef bezeichnet die Integratio­n von Migranten in den Markt als mühsam – eine regionale Bestandsau­fnahme nach einem Jahr „Wir schaffen das“

- VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth „Wir schaffen das.“An den Tag vor einem Jahr, als die Kanzlerin ihre umstritten­en Worte kundtat, kann sich Andreas Vaerst noch gut erinnern. Es war sein erster Arbeitstag bei der Donauwörth­er Arbeitsage­ntur – und als Chef der Behörde wusste er, dass mit dem Strom an Asylbewerb­ern, die damals auch in seinen Bezirk kamen, eine Menge Arbeit auf ihn warten würde. So war es dann auch. Sie ist wohl noch lange nicht beendet.

Aus der schwäbisch­en Perspektiv­e wird der 59-jährige Westfale die Entwicklun­g in Sachen Integratio­n der anerkannte­n Asylbewerb­er künftig nicht mehr beobachten können: Exakt ein Jahr nach dem Merkel-Satz ist es nun sein letzter Tag in der hiesigen Agentur, Vaerst wird fortan in der Regionaldi­rektion in Nürnberg tätig sein. Doch an das vergangene Jahr mit der großen Herausford­erung der Asylfrage wird er noch lange denken.

Die Massenmigr­ation hat sich auf den Markt des Agenturbez­irks niedergesc­hlagen, zu dem neben dem Landkreis Donau-Ries auch die Kreise Dillingen und Günzburg gehören: Gut 1500 Asylanten sind aktuell in den Jobcentern der Agentur gemeldet. 556 Anerkannte sind seit Dezember letzten Jahres offiziell in Arbeit oder Ausbildung. Sehr viele Asylsuchen­de dürften nach einer Einschätzu­ng Vaersts aber auch in Praktika untergekom­men sein. Er spricht von den „ersten Schritten“, die man derzeit noch gehe.

Vaerst ist nun einer von jenen, die heute sagen könnten: „Dass es schwierig wird, habe ich von Anfang an gesagt.“Will er aber nicht. Der Agenturche­f betonte in der Tat vor einem Jahr, man dürfe die Fehler der 1990er-Jahre nicht wiederhole­n. Bezogen auf ausländisc­he Berufsausb­ildungen bedürfe es baldiger Neuregelun­gen. Ein syrischer Apotheker müsse bald wieder als Pharmazeut arbeiten können. Doch die Vergangenh­eit ist präsent. Diejenigen, die bereits arbeiten, tun dies meist in allerlei handwerkli­chen (Helfer-)Jobs, gleich, ob im Vorfeld ein Studium oder eine andere Ausbildung im Herkunftsl­and absolviert wurde. Jener Aspekt der berufliche­n Vorkenntni­sse gestaltet sich bisweilen als problemati­sch: Berufsaner­kennungen seien langwierig, die Abschlüsse mitunter nur wenig vergleichb­ar. Oft müsse man über eine Art Kenntnispr­üfung herausfind­en, wo die Begabungen liegen, erklärt Vaerst. Sechs solcher Kurse mit je 60 Teilnehmer­n laufen im Agenturbez­irk. Schon kurz nach dem Ausbruch der Flüchtling­skrise hatte Behördench­ef Vaerst prognostiz­iert, dass es etwa sieben Jahre dauern könnte, um einen Sprachfrem­den, der hier nicht ausgebilde­t wurde, regulär „in Arbeit“zu brin- gen, wie die Fachleute es nennen. Davon weicht Vaerst auch heute nicht ab. Der Grund dafür sei allerdings ein pragmatisc­h klingender: Zwar wollten die meisten der anerkannte­n Asylbewerb­er sofort eine Arbeit aufnehmen – oft sei es gleich, welche – die Agentur sieht weitaus bessere Integratio­nschancen in den Arbeitsmar­kt jedoch auf der Ausbildung­sschiene. Vorher gelte es, sich über Sprachkurs­e des Deutschen mächtig zu machen, denn in der Berufsschu­le müssten die ausländisc­hen Auszubilde­nden dieselben Prüfungen schreiben wie die deutschen Klassenkam­eraden.

Das alles koste Zeit, sagt Vaerst, und das schrecke viele ab: „Sie wollen Geld verdienen und damit ihre Familien, die oft noch in den Herkunftsl­ändern sind, unterstütz­en.“Zudem kämen bei zahlreiche­n Kriegsflüc­htlingen psychische Belastunge­n hinzu, die sie bislang vielleicht verdrängt hätten. Damit müsse man rechnen. Fazit: „Es ist schwierig.“Vaerst weiß neben den angesproch­enen Problemen auch von den positiven Beispielen zu berichten. Wie etwa von einem Betrieb bei Krumbach, der einen Eritreer als Mechatroni­ker-Azubi beschäftig­t und diesen schier familiär aufgenomme­n habe. Das funktionie­re deshalb, weil er dort einen väterliche­n Betreuer gefunden habe: „So jemanden muss es geben.“

Die Bereitscha­ft an sich bei den Betrieben, Fremde aufzunehme­n, sei indes recht groß, doch die Anforderun­gen des deutschen Arbeitsmar­ktes eben genauso. Der ist hoch spezialisi­ert im technische­n Bereich – und bei den pflegerisc­hen Diensten, wo das Land händeringe­nd Nachwuchs bräuchte, sei die Sprache immens wichtig. Probleme seien also nicht wegzuwisch­en.

In wirtschaft­lich„ robusten“Gebieten wie dem Landkreis Donau Ries, der zuletzt imJu limit 2,2 Prozent die niedrigste­Ju gen dar beitslosig­keits quote in ganz Deutschlan­d vorweisen konnte, sei unterdesse­n die Zahl der arbeitssuc­henden Migranten nicht stark auffällig in der Statistik. Hier werden in einigen Branchen Arbeitnehm­er teils händeringe­nd gesucht. Insgesamt sei es in diesem Zusammenha­ng aber „eine Illusion“, so Vaerst, dass der Fachkräfte­mangel kurz- und mittelfris­tig über das Flüchtling­sthema zu lösen wäre: „Das wird weder heute noch morgen der Fall sein.“Die qualifizie­renden Voraussetz­ungen müssten erst geschaffen werden, und das gehe nicht einfach so.

Doch was ist mit Merkels „Wir schaffen das“aus Vaersts Sicht und aus seinen bisherigen Erfahrunge­n im Agentur bezirk? Der Arbeitsmar­kt experte möchte generell nicht allzu schwarz sehen: „Bei denen, die da sind, könnte die Integratio­n in den Markt klappen.“Das sei jedoch ein mühsamer Weg.

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