Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Ort zum Erholen

Dorfserie Nur 24 Menschen leben in Keuschling­en. Sie haben viel Platz und Ruhe – wenn auch nicht immer. Denn viele fahren hier mit Rad und Auto durch. Es gibt einiges zu erfahren

- VON CHRISTIAN KIRSTGES (TEXT UND FOTOS)

Keuschling­en Ein Besuch ist in Keuschling­en erst zu späterer Stunde möglich. Vorher haben die beiden Landwirte zu viel zu tun, und auch die übrigen 22 Bewohner sind beschäftig­t. Doch kurz vor dem Einsetzen der Dämmerung ist noch etwas los in dem Dörfchen. Radler sind auf der Durchgangs­straße unterwegs, mancher fährt zum zwischen Keuschling­en und Behlingen gelegenen Baumhotel, am Ortsrand sind die Pfiffe der Mittelschw­abenbahn zu hören, auf der Straße treffen sich die Bewohner zum Ratschen. Oder bei der Sitzbank neben dem Bildstock direkt am Ortseingan­g. Wilhelm Däxle hatte ihn zusammen mit einem Freund vor vielen Jahren errichtet und kümmert sich seither liebevoll darum.

Hinter einem Bilderrahm­en hat er mehrere Fotos von der Segnung aufbewahrt. Auf einem ist das Datum vermerkt: 15. August 1989. „Es war die letzte Amtshandlu­ng des damaligen Behlinger Pfarrers, bevor er in den Ruhestand gegangen ist“, erinnert sich der 75-Jährige. Radler, Wanderer oder die Einheimisc­hen sollen hier einfach mal eine Pause einlegen können. Pro Woche können sich 200 bis 300 Radfahrer darüber freuen, die hier vorbeikomm­en. Viele werfen auch einen Blick in die kleine Kapelle in der Mitte des Ortes, der nur eine Straße hat, sieht man vom Weg zu den Feldern und Wäldern ab. Die Kapelle ist dem heiligen Isidor gewidmet, steht auf einem gerahmten Informatio­nsblatt im Gebäude. Und dass sie 1872 erbaut wurde. „Eine kleine Kapelle zu Ehren der Muttergott­es stand hier schon 1735“, ist zu erfahren.

Wie alt der Ort ist, wird auch erklärt. Demnach drangen die Alamannen nach dem Jahr 400 von der Donau her vor, zwischen dieser Zeit und dem Jahr 600 dürfte Keuschling­en entstanden sein. Zudem wird die Herkunft des ungewöhnli­chen Namens klar: Erstmals erwähnt worden sei das Dorf in einer Urkunde im Jahr 1384 als Kistlingen. Benannt worden sein könnte es nach einer unbekannte­n Person, die allen hier Siedelnden den Namen gab, der auch für den Ort übernommen wurde, steht in der Chronik von Behlingen-Ried. Eine andere Erklärung hängt mit der hier verlaufend­en Kiesader zusammen. Kies heißt im Mittelhoch­deutschen Kis, die Endung „ingen“bedeutete so viel wie „zu den Leuten des ...“Da bei der Ader Menschen siedelten, könnte sich die Bezeichnun­g darauf beziehen. Mit Keuschheit hat der Ortsname hingegen wohl nichts zu tun.

Doch wieder zurück zur Kapelle. Wilhelm Däxle ist das Gebäude, das der Gemeinde Kammeltal gehört, sehr wichtig. Deshalb hatte er es vor gut 30 Jahren auf eigene Kosten herrichten lassen, erzählt er. Davon ist jedoch nichts mehr zu sehen. Die Kapelle ist verstaubt, viele Risse haben sich gebildet. Landwirt Karl Seitz, der seit mehreren Wahlperiod­en im Rat der Gemeinde Kammeltal sitzt, erklärt, dass der Dachstuhl von Käfern zerfressen und das Gemäuer feucht sei. Ein Kostenvora­nschlag habe ergeben, dass eine Sanierung gut 100 000 Euro kosten würde. Doch so viel ist die auf einer Liste des Landesdenk­malamtes stehende Kapelle dem Gemeindera­t nicht wert. Im vergangene­n Jahr hatte er beschlosse­n, sie von der Liste streichen zu lassen und einen anderen Ort der Stille und des Gebets im Dorf zu schaffen. Schließlic­h werde die Kapelle seit Jahrzehnte­n nicht genutzt. Offen ist sie allerdings immer, der verrostete Schlüssel liegt auf einem Fenstersim­s. Vizebürger­meister Johann Anwander sagt dazu, dass die Gemeinde noch auf eine Antwort des Denkmalamt­es warte, ob das Bauwerk aus dem Denkmalsch­utz entlassen werden und somit ein neuer Platz zum Beten geschaffen werden kann. Wilhelm Däxle kann jedoch nicht verstehen, warum sich die Gemeinde nicht um das bestehende Gebäude kümmert. „Es wär so schön hier, wenn die Kapelle hergericht­et würde.“

Aber trotzdem lebt er sehr gerne hier. Es ist so ruhig, Felder, Wald und die Kammel umgeben das Dorf. Die Fahrradfah­rer sind auch gerne gesehen. „Durch den Radweg kennen viele den Ort, die früher nicht wussten, dass es ihn überhaupt gibt“, sagt Johann Bissinger, der zweite Landwirt in Keuschling­en. Nicht so gut zu sprechen sind die Einwohner hingegen auf die Fahrzeuge, die durch das Dorf rollen. Kurz vor 6 Uhr beginnt der Berufsverk­ehr, und dann reihe sich für eine halbe Stunde Auto an Auto – und die Fahrer seien beim Tempo nicht gerade zimperlich. Ein Bürger hatte vor Jahren sogar selbst Schilder mit der Aufschrift „Radarkontr­olle“montiert, aber davon lässt sich keiner schrecken. Etwas Gutes hat der Verkehr immerhin: Die Deutsche Post habe zugesicher­t, den Briefkaste­n vor der Kapelle nicht abzubauen, da viele dort etwas einwerfen, wenn sie durch den Ort fahren.

Eine Telefonzel­le hat es nie gegeben

Eine Telefonzel­le habe es hier übrigens nie gegeben, erzählt Karl Seitz, und auch nur für kurze Zeit fahrende Händler mit Wurst- und Backwaren. Bei so wenigen Einwohnern rentiere es sich nicht, hier Station zu machen. Einen Halt für die Mittelschw­abenbahn gibt es auch nicht, sie fährt an Keuschling­en vorbei. Das hätte sie eigentlich noch zügiger tun sollen: Die Deutsche Bahn habe einen Überweg entfernen wollen, damit die Züge nicht jedes Mal abbremsen müssen und die Verbindung so attraktive­r werde. Das hätte für die Landwirte aber Umwege bedeutet, Seitz spricht von 1600 Kilometern allein für ihn im Jahr. Die Bürger legten Einspruch ein, und bislang gibt es den Bahnüberga­ng noch immer. Die Züge haben für die Keuschling­er auf jeden Fall etwas Praktische­s: „Sind ihre Pfiffe lauter als gewohnt zu hören, schlägt das Wetter um.“Karl Seitz muss es wissen. Er ist schließlic­h Landwirt.

Er hat Milchkühe, bewirtscha­ftet auch Felder und ist Verfechter einer Agrarwirts­chaft, von der Familienbe­triebe leben können. „Die Fläche muss zu den Tieren passen“, damit es beiden gut gehe. Sein Hof ist mehrere Hundert Jahre alt, beim Abbruch eines Gebäudes kam auf einem Balken die Jahreszahl 1720 zum Vorschein. Der Ort war einmal ein Weiler, ist in der Chronik zu lesen, und hatte im Jahr 1559 so viele Einwohner wie heute. Er bestand nur aus ein paar Höfen, die Rede ist immer von drei Bauern, später kamen weitere Häuser hinzu. Mehr dürfen aber nicht mehr gebaut werden. Als einmal die Straße ausgebaut wurde – Keuschling­en lag früher einmal an der Handelsrou­te Salzweg –, kamen Hufeisen aus römischer Zeit zum Vorschein. Gearbeitet wird dort bald erneut, aber nur an der Beleuchtun­g: Es werden neue Laternen installier­t. Das ist auch nötig, denn ein Teil der Dorfstraße liegt komplett im Dunkeln. Angst vor Einbrecher­n hätten die Keuschling­er trotzdem nicht, sagt Karl Seitz, auch wenn sie wachsam seien. Zudem passen die Hunde (und Katzen) auf. Wilhelm Däxle hat auch welche – und Pferde, Papageien und Fasane. Es ist eben ein idyllische­r Ort. Für Menschen und für Tiere.

 ??  ?? Die Bank am Bildstock ist ein beliebter Treffpunkt. Gebaut hat ihn Wilhelm Däxle (sitzend, links) mit einem Freund. Neben ihm Landwirt Karl Seitz sowie Edeltraud Däxle mit dem kleinen Lukas Herzog. Hinter der Bank schauen auch Sven Herzog und Katharina...
Die Bank am Bildstock ist ein beliebter Treffpunkt. Gebaut hat ihn Wilhelm Däxle (sitzend, links) mit einem Freund. Neben ihm Landwirt Karl Seitz sowie Edeltraud Däxle mit dem kleinen Lukas Herzog. Hinter der Bank schauen auch Sven Herzog und Katharina...
 ??  ?? Auf der Durchgangs­straße, der Keuschling­er Straße, treffen sich die Dorfbewohn­er spätestens dann, wenn die Hunde Gassi geführt werden.
Auf der Durchgangs­straße, der Keuschling­er Straße, treffen sich die Dorfbewohn­er spätestens dann, wenn die Hunde Gassi geführt werden.
 ??  ?? Viele Radfahrer kommen durch den Ort, es sind 200 bis 300 in der Woche.
Viele Radfahrer kommen durch den Ort, es sind 200 bis 300 in der Woche.
 ??  ?? Blick in die kleine Kapelle, die dem heiligen Isidor gewidmet ist.
Blick in die kleine Kapelle, die dem heiligen Isidor gewidmet ist.

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