Mittelschwaebische Nachrichten
Wie die AfD so erfolgreich wurde
Die Flüchtlingskrise war nur ein Grund, warum in Mecklenburg-Vorpommern die Protestpartei an der CDU vorbeiziehen konnte. Wie konnte es so weit kommen?
Augsburg Die AfD ließ in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur die CDU hinter sich. Auch die Arbeiterpartei im Nordosten heißt weder SPD noch Linke, sondern: Alternative für Deutschland. Jeder dritte Arbeiter wählte AfD, nur jeder vierte SPD und nur jeder zehnte die Linke. Auch bei den Arbeitslosen wurde die AfD stärkste Kraft; bei den männlichen Wählern lag sie mit 25 Prozent nur zwei Punkte hinter der SPD. Die Ausschnitte aus der Analyse der ARD-Wahlforscher deuten an, wie es der Protestpartei gelingen konnte, den politischen Tsunami an der Küste auszulösen.
Verheerend ist die Wirkung für die Christdemokraten: Exakt ein Jahr nach der Entscheidung der Kanzlerin, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, landet die CDU im Heimatland Angela Merkels auf Platz drei. „Die Flüchtlingspolitik hat definitiv das Verhalten vieler Wähler beeinflusst“, sagt der Politikwissenschaftler Jochen Müller, der als Professor in Greifswald den Wahlkampf hautnah miterlebt hat.
Allerdings sei der Eindruck falsch, dass sich in MecklenburgVorpommern die vergangenen Wochen alles um das Asylthema gedreht habe. „Im Landtagswahl- stand außer bei der AfD bei allen Parteien klar die Landespolitik im Vordergrund“, berichtet Müller. Sowohl SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering als auch seine Koalition mit der CDU hätten vor der Wahl sogar gute Noten bekommen.
Vor allem die wirtschaftliche Lage sei sehr viel positiver wahrgenommen worden: „Die Arbeitslosigkeit hat den niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung erreicht“, sagt Müller. Nur die AfD habe als einzige Partei fast ausschließlich die Bundespolitik zum Thema gemacht. „Allerdings haben 80 Prozent nicht AfD gewählt“, betont der Greifswalder Politologe. „Bereits deshalb wäre es zu einfach zu sagen, diese Wahl sei ein allgemeines Votum gegen die Flüchtlingspolitik.“
Auch der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, führt den Absturz der CDU auf Platz drei weniger auf Merkels Flüchtlingspolitik zurück. Vor fünf Jahren habe die CDU im Nordosten unter dem gleichen Spitzenkandidaten Lorenz Caffier bereits eine herbe Wahlschlappe erlebt und noch stärker verloren: „Damals hat niemand gesagt, Angela Merkel ist schuld an dem Ergebnis“, so Güllner.
In absoluten Zahlen hat die CDU gegenüber 2011 lediglich 3500 Stimmen eingebüßt, allerdings gingen dieses Mal 100000 Menschen mehr zur Wahl. Güllner sieht den Grund für das CDU-Wahldesaster in der Schwäche der Landespartei und ihres Kandidaten. „Nach unseren Erhebungen hätte die CDU, wenn am vergangenen Sonntag Bundestagswahlen gewesen wären, um 14 Prozentpunkte besser abgeschnitten“, sagt Güllner. „Da ist es falsch, zu sagen, das war jetzt am Sonntag eine Flüchtlingswahl.“
Den Erfolg der AfD erklärt er mit einem Wählerpotenzial, wonach jeder achte Deutsche für fremdenfeindliche bis rechtsradikale Wahlpropaganda empfänglich sei. Gemessen an der Wahlbeteiligung von 62 Prozent liege der AfD-Erfolg damit am oberen Rand des Potenzials.
Der Greifswalder Politikwissenschaftler Müller widerspricht dieser Analyse: „Man kann die AfD-Wähler auf keinen Fall pauschal als rechtsradikal einstufen.“Wer AfD und NPD in einen Topf werfe, verharmlose die Rechtsextremen. „Die AfD-Wählerschaft denkt im Durchschnitt sehr konservativ und teils nationalistisch, aber die Demokratiefeindlichkeit und Fremdenfeindkampf lichkeit sind nicht so stark ausgeprägt wie bei Anhängern rechtsradikaler Parteien“, sagt Müller.
Die AfD-Wähler stünden im Durchschnitt jedoch klar rechts: „Besonders auffällig ist, dass die Wähler sehr kritisch der Funktionsweise der Demokratie gegenüberstehen“, betont Müller. „Die Sicht auf Parteien, das Parlament und die Medien ist deutlich negativer als bei der Mehrheit der Bevölkerung.“Die vielen negativen Vorurteile gegenüber Politikern machten es für die Parteien sehr schwer, eine allgemeingültige Strategie gegen die AfD zu finden. Ob die Partei auf Dauer Erfolg haben werde, hänge davon ab, ob ihre Themen wieder an Bedeutung verlieren, sagt Müller.
Laut der ARD-Analyse von Infratest dimap war die Flüchtlingspolitik für 54 Prozent der AfD-Wähler wahlentscheidend, aber nur für 20 Prozent der Gesamtwählerschaft. Beim Oberthema „Soziale Gerechtigkeit“unterscheiden sich die Zahlen jedoch kaum. Den größten Erfolg verzeichnete die AfD in Vorpommern, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist. Hier holte die Partei drei Direktmandate: In Greifswald bekam der Jura-Professor Ralph Weber 35 Prozent. So viele Stimmen wie seine Mitbewerber von SPD und CDU zusammen.
Die anderen Parteien tun sich schwer mit Gegenrezepten