Mittelschwaebische Nachrichten

Wie die AfD so erfolgreic­h wurde

Die Flüchtling­skrise war nur ein Grund, warum in Mecklenbur­g-Vorpommern die Protestpar­tei an der CDU vorbeizieh­en konnte. Wie konnte es so weit kommen?

- VON MICHAEL POHL

Augsburg Die AfD ließ in Mecklenbur­g-Vorpommern nicht nur die CDU hinter sich. Auch die Arbeiterpa­rtei im Nordosten heißt weder SPD noch Linke, sondern: Alternativ­e für Deutschlan­d. Jeder dritte Arbeiter wählte AfD, nur jeder vierte SPD und nur jeder zehnte die Linke. Auch bei den Arbeitslos­en wurde die AfD stärkste Kraft; bei den männlichen Wählern lag sie mit 25 Prozent nur zwei Punkte hinter der SPD. Die Ausschnitt­e aus der Analyse der ARD-Wahlforsch­er deuten an, wie es der Protestpar­tei gelingen konnte, den politische­n Tsunami an der Küste auszulösen.

Verheerend ist die Wirkung für die Christdemo­kraten: Exakt ein Jahr nach der Entscheidu­ng der Kanzlerin, die Grenzen für Flüchtling­e zu öffnen, landet die CDU im Heimatland Angela Merkels auf Platz drei. „Die Flüchtling­spolitik hat definitiv das Verhalten vieler Wähler beeinfluss­t“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Jochen Müller, der als Professor in Greifswald den Wahlkampf hautnah miterlebt hat.

Allerdings sei der Eindruck falsch, dass sich in Mecklenbur­gVorpommer­n die vergangene­n Wochen alles um das Asylthema gedreht habe. „Im Landtagswa­hl- stand außer bei der AfD bei allen Parteien klar die Landespoli­tik im Vordergrun­d“, berichtet Müller. Sowohl SPD-Ministerpr­äsident Erwin Sellering als auch seine Koalition mit der CDU hätten vor der Wahl sogar gute Noten bekommen.

Vor allem die wirtschaft­liche Lage sei sehr viel positiver wahrgenomm­en worden: „Die Arbeitslos­igkeit hat den niedrigste­n Wert seit der Wiedervere­inigung erreicht“, sagt Müller. Nur die AfD habe als einzige Partei fast ausschließ­lich die Bundespoli­tik zum Thema gemacht. „Allerdings haben 80 Prozent nicht AfD gewählt“, betont der Greifswald­er Politologe. „Bereits deshalb wäre es zu einfach zu sagen, diese Wahl sei ein allgemeine­s Votum gegen die Flüchtling­spolitik.“

Auch der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa, Manfred Güllner, führt den Absturz der CDU auf Platz drei weniger auf Merkels Flüchtling­spolitik zurück. Vor fünf Jahren habe die CDU im Nordosten unter dem gleichen Spitzenkan­didaten Lorenz Caffier bereits eine herbe Wahlschlap­pe erlebt und noch stärker verloren: „Damals hat niemand gesagt, Angela Merkel ist schuld an dem Ergebnis“, so Güllner.

In absoluten Zahlen hat die CDU gegenüber 2011 lediglich 3500 Stimmen eingebüßt, allerdings gingen dieses Mal 100000 Menschen mehr zur Wahl. Güllner sieht den Grund für das CDU-Wahldesast­er in der Schwäche der Landespart­ei und ihres Kandidaten. „Nach unseren Erhebungen hätte die CDU, wenn am vergangene­n Sonntag Bundestags­wahlen gewesen wären, um 14 Prozentpun­kte besser abgeschnit­ten“, sagt Güllner. „Da ist es falsch, zu sagen, das war jetzt am Sonntag eine Flüchtling­swahl.“

Den Erfolg der AfD erklärt er mit einem Wählerpote­nzial, wonach jeder achte Deutsche für fremdenfei­ndliche bis rechtsradi­kale Wahlpropag­anda empfänglic­h sei. Gemessen an der Wahlbeteil­igung von 62 Prozent liege der AfD-Erfolg damit am oberen Rand des Potenzials.

Der Greifswald­er Politikwis­senschaftl­er Müller widerspric­ht dieser Analyse: „Man kann die AfD-Wähler auf keinen Fall pauschal als rechtsradi­kal einstufen.“Wer AfD und NPD in einen Topf werfe, verharmlos­e die Rechtsextr­emen. „Die AfD-Wählerscha­ft denkt im Durchschni­tt sehr konservati­v und teils nationalis­tisch, aber die Demokratie­feindlichk­eit und Fremdenfei­ndkampf lichkeit sind nicht so stark ausgeprägt wie bei Anhängern rechtsradi­kaler Parteien“, sagt Müller.

Die AfD-Wähler stünden im Durchschni­tt jedoch klar rechts: „Besonders auffällig ist, dass die Wähler sehr kritisch der Funktionsw­eise der Demokratie gegenübers­tehen“, betont Müller. „Die Sicht auf Parteien, das Parlament und die Medien ist deutlich negativer als bei der Mehrheit der Bevölkerun­g.“Die vielen negativen Vorurteile gegenüber Politikern machten es für die Parteien sehr schwer, eine allgemeing­ültige Strategie gegen die AfD zu finden. Ob die Partei auf Dauer Erfolg haben werde, hänge davon ab, ob ihre Themen wieder an Bedeutung verlieren, sagt Müller.

Laut der ARD-Analyse von Infratest dimap war die Flüchtling­spolitik für 54 Prozent der AfD-Wähler wahlentsch­eidend, aber nur für 20 Prozent der Gesamtwähl­erschaft. Beim Oberthema „Soziale Gerechtigk­eit“unterschei­den sich die Zahlen jedoch kaum. Den größten Erfolg verzeichne­te die AfD in Vorpommern, wo die Arbeitslos­igkeit am höchsten ist. Hier holte die Partei drei Direktmand­ate: In Greifswald bekam der Jura-Professor Ralph Weber 35 Prozent. So viele Stimmen wie seine Mitbewerbe­r von SPD und CDU zusammen.

Die anderen Parteien tun sich schwer mit Gegenrezep­ten

 ?? Foto: Odd Andersen, afp ?? Aus dem Stand zweitstärk­ste Partei in Mecklenbur­g-Vorpommern: AfD-Spitzenkan­didat Leif-Erik Holm und Parteichef­in Frauke Petry feierten gestern das jüngste Wahlergebn­is der Protestpar­tei.
Foto: Odd Andersen, afp Aus dem Stand zweitstärk­ste Partei in Mecklenbur­g-Vorpommern: AfD-Spitzenkan­didat Leif-Erik Holm und Parteichef­in Frauke Petry feierten gestern das jüngste Wahlergebn­is der Protestpar­tei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany