Mittelschwaebische Nachrichten
Das kommt Europa spanisch vor
Die Spanier verzweifeln an ihren Politikern. Seit 250 Tagen gibt es keine gewählte Regierung. Das ist auch für die EU verheerend
Madrid Der einstige europäische Musterschüler Spanien wird immer mehr zum großen Sorgenkind der EU: Seit 250 Tagen dümpelt die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Euro-Zone ohne gewählte Regierung vor sich hin. Und mangels klarer Mehrheiten im Parlament sieht es nicht so aus, als ob sich an dieser Geisterfahrt bald etwas ändern wird. Es könnte sogar sein, dass König Felipe demnächst schon wieder Neuwahlen ansetzen muss – zum dritten Mal innerhalb eines Jahres. Nur, werden Spaniens Bürger dann endlich für klare Machtverhältnisse sorgen? Von den Spitzenpolitikern, die sich als unfähig erwiesen, eine Koalition auszuhandeln, sind derzeit jedenfalls keine Lösungen zu erwarten.
Vorerst letztes Kapitel des politischen Dauerdramas ist das Scheitern des Konservativen Mariano Rajoy im Parlament. Der frühere Regierungschef und momentane provisorische Ministerpräsident, der ein neues Kabinett bilden wollte, fiel in gleich zwei Vertrauensabstimmungen durch. Das gleiche Schicksal war vor einem halben Jahr dem sozialistischen Oppositionsführer Pedro Sánchez widerfahren. Andere Regierungskandidaten sind im zersplitterten Parlament, in dem weder der rechte noch der linke Block eine eindeutige Mehrheit hat, nicht in Sicht.
Das südeuropäische Schwergewicht, das sich noch immer nicht völlig aus der Schulden- und Wirtschaftskrise befreit hat, droht wieder abzustürzen. Mangels stabiler Regierung wurde dieses Jahr noch kein einziges Gesetz verabschiedet: Keine Reformen, keine Sparbeschlüsse, nicht einmal ein Haushaltsentwurf für 2017. Ein Stillstand, der auch für die EU zum großen Problem werden und die ohnehin schon angeschlagene Euro-Zone weiter schwächen könnte.
Die Folgen des Machtvakuums sind jetzt schon sichtbar: Der Staat hat Investitionen in neue Straßen, Schulen oder Krankenhäuser gestoppt. Die Privatwirtschaft schiebt Investitionen im Inland auf, weil die Rahmenbedingungen unkalkulierbar sind. Spaniens Schuldenberg wird immer größer, das Haushaltsdefizit ist außer Kontrolle. Die Bürger sind empört über eine politische Elite, die nicht in der Lage ist, eine der schlimmsten politischen Krisen in der 40-jährigen Demokratiegeschichte zu lösen. Die Zeitung La Vanguardia dürfte mit ihrer Forderung, die Parteiführer „nach Hause zu schicken“vielen Menschen aus der Seele sprechen. Wenn nun zum dritten Mal in zwölf Monaten Wahlen angesetzt würden, sei dies eine Verhöhnung der Bürger, schrieb das zweitgrößte Blatt der Nation.
Auch der Krisennachbar Portugal bereitet Brüssel Kopfzerbrechen. Dort gibt es zwar eine gewählte Regierung, die seit zehn Monaten von dem Sozialisten António Costa angeführt wird. Dieser hat aber der bisherigen von Brüssel diktierten Sparpolitik den Krieg erklärt und macht reihenweise frühere Beschlüsse und Reformen rückgängig. Wohin das führt, wird man in einigen Monaten sehen, wenn die EU-Kontrolleure wieder einmal die portugiesische Schuldenbilanz durchleuchten.
Die offiziellen Meldungen zum Wirtschaftswachstum in Südeuropa sind jedenfalls mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Denn in Spanien wie in Portugal zieht vor allem der historische Tourismusboom den Karren. Beide Länder, die derzeit als sichere Reiseziele gelten, profitieren von der aktuellen Terrorangst der Europäer. Experten warnen allerdings vor der nächsten Wirtschaftskrise in Südeuropa: Der neue Crash könne dann kommen, wenn die „Urlaubsblase platzt“.