Mittelschwaebische Nachrichten
Der mit den Engeln tanzt
Der Maler Georg Bernhard ist jetzt 87. Etliche Bilder von früher sortiert er aus. Aber er schafft auch täglich noch Neues. Seinem Lebensthema bleibt er treu
Riederau/Augsburg Was für ein Beginn! Man geht mit dem Künstler ins Atelier und unversehens fällt der Satz: „Ich zerstöre meine Bilder.“Georg Bernhard sagt das ohne jede Emphase. Seit einem Jahr sortiert er aus, vor allem abstrakte Werke der 50er und 60er Jahre. Wie zum Beweis deutet er auf eine mit Grundierungsfarbe überpinselte Leinwand. Grau in Grau steht sie im Abseits.
Und warum das alles? Die Antwort lässt keinen Platz für Sentimentalitäten: „Es sammelt sich zu viel Gruscht an.“Wir stehen im Atelieranbau des Hauses in Riederau am Ammersee. Auf eineinhalbtausend Zeichnungen schätzt Bernhard den Bestand dort. Dazu kommen einige hundert Zeichnungen im (kleineren) Atelier der Augsburger Wohnung. Wohin mit alledem? Das muss einen jungen Mann nicht kümmern. Aber Bernhard ist 87! Er wisse ja nicht, wann er ins Gras beißen müsse... Auch das klingt eher beiläufig. Bernhard ist dabei, Bilder an Museen zu verschenken, ans H2 und ans Dommuseum in Augsburg, an die Schwäbische Galerie Oberschönenfeld... Auch privat zeigt er sich generös. Hauptsache, seine Kunst-„Kinder“kommen gut unter.
So wird Älteres und Jüngstes weggegeben. Doch Neues kommt hinzu. Denn Bernhard steht regelmäßig am Arbeitstisch, ihm gehen immer neue „Kinder“von der Hand. Es scheint, als könnte er es manchmal selbst nicht fassen, dass das Zeichnen „noch so viel Spaß“macht. Dabei meint „Spaß“nichts anderes als jenes Reservoir, das als künstlerischer Treibstoff nach Ausdruck verlangt. Schon hält Bernhard einem die am Ammersee geschnittene Rohrfeder hin, die mit dem Alter an Härte zulegt. Mit ihr lässt er die Linien an- und abschwellen, kratzt hörbar ins grobe Bütten: „Das ist sinnlich!“
Blatt für Blatt trägt er den Stapel seiner neuen (aquarellierten) Zeichnungen ab, weist auf die zuerst gesetzten Schraffuren, ihre Flächigkeit, die sogleich in Spannung gerät zu den Liniengespinsten der Figur, ihrer Doppelung und Verdreifachung. Allenthalben reißen Flügelformen die Körper aus der Senkrechten. Der Künstler bittet zum „Tanz der Engel“, wie viele Titel lauten. Hier hat einer sein Thema gefunden: die menschliche Figur. Sie steht und liegt, sie fällt und fliegt. Für dieses Mysterium suchte der langjährige Professor an der Augsburger Fachhochschule seine Studenten zu begeistern. Dem Körper rückt er in Bister, Sepia und Schwarz zu Leibe, er hat ihn in Öl und als Freskant Kirchenmauern eingeschrieben. Das Was, die Figur, stand beizeiten fest. Am Wie arbeitet Bernhard bis heute.
Jede Künstlerbiografie hat ihre wegweisenden Daten. Es war 1952, als der gebürtige Augsburger als Stipendiat nach Rom kam. Dort gingen schon Scharen deutscher Künstler die Augen auf – wie sollte es dem 23-Jährigen anders ergehen? Anfangs stand er noch zeichnend auf dem Forum Romanum. Dann offenbarte sich ihm Stück für Stück die römische und griechische Kunst, tat sich das Kunstparadies der Renaissance auf, nicht zu reden von den gezeichneten Wundern eines Piero della Francesca, eines Signorelli, Botticelli und Michelangelo, im Weiteren von den altdeutschen und niederländischen Meistern, von jenem schier unerschöpflichen Fundus aus Mythologie und Bibel, von Venus und Gilgamesch, von Dante und dem alttestamentlichen Propheten Habakuk .
Wer zählt all die Kirchen, deren Gestaltung und Ausstattung Bernhard in Regie genommen hat! Der Kirchenraum in St. Ludwig in Lindau-Aeschach (2001) und die Glasfenster für Kloster Maria Stern in Nördlingen (1984) sind ihm beson- ders ans Herz gewachsen. Fragt man ihn nach einer prägenden Persönlichkeit in Augsburg, fällt sofort der Name Monsignore Josef Kunstmann, „ein überragender intellektueller Mann“, der das Publikum in Vorträgen über Ostern und über Kunst gleichermaßen gefesselt habe. Kunstmann war von 1966 bis 1975 Bischöflicher Referent für sakrale Kunst in der Diözese Augsburg. Bernhard verschaffte er 1952/53 mit der Ausmalung der Bischofskapelle den ersten großen Auftrag.
Kunst, Kirche, Glaube: Beim Blick aus dem Riederauer Atelierfenster ins Grüne legt Bernhard ein überraschendes Bekenntnis ab. Nein, er wolle seine letzte Ruhe nicht unter einem Baum finden. „Ich wünsche mir ein christliches Begräbnis mit Sarg und Pfarrer!“Er schätze es, so Bernhard, dass es der Kirche noch um Herz und Seele gehe; dass sie der grassierenden „Hast du was, so bist du was“-Haltung entgegentrete.
Als das Gotteshaus in Riederau restauriert wurde, hat sich der Künstler eine alte Holzsäule samt Querbalken gesichert. Sie sind längst tragender Teil des Ateliers und gewiss ein gutes Omen dazu. Dann zieht er eine Totentafel hervor. Auf ihr hat Bernhard persönliche Freunde und Vertraute aufgelistet, darunter den früheren Augsburgefasst ger Bischof Josef Stimpfle. „Man wird einsamer.“Zugleich ist Bernhard sehr bewusst, welch große Stütze er in seiner (zweiten) Frau Brigitte und ihrer gemeinsamen Tochter Daniela hat.
Im Alter wächst der Raum der Erinnerung. Nicht zufällig hängen im Atelier zwei kleine Blumenstillleben der Mutter. Sie hat gern gezeichnet und gemalt und vor allem – in elender Zeit – dem zur Kunst strebenden Sohn keine Steine in den Weg gelegt. Das macht dankbar. Gern denkt der 87-Jährige auch an die Begegnung mit dem Maler Fritz Winter im nahen Dießen; an die einst jährlichen Künstlerbund-Ausstellungen in den großen deutschen Städten; an den Ankauf seines Gemäldes „Dreimal Figur“(1982) für die Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik.
Doch rasch geht der Blick wieder nach vorne – auf den nächsten Tag, an dem sich Bernhard nach der obligatorischen Morgengymnastik mit unvermindertem Spaß der Zeichnung widmen wird (untermalt mit Musik von Strauss oder Mahler). Neue Ausstellungen stehen im Herbst bevor, in Augsburg und Lindau. Und so macht der Künstler sich und sein Publikum weiter glücklich mit dem, was er mit der ihm eigenen humorvollen Untertreibung „das Zeug“nennt.