Mittelschwaebische Nachrichten
Müller im Mittelpunkt
Beim 3:0 in Norwegen findet der Münchner seine Treffsicherheit zurück. Sein Angriffspartner Mario Götze dagegen ringt weiter um seine Form
Oslo Waren es nun die vielen aufflackernden Blitzlichter oder die enthemmten Schreie, die den Mann mit der schneeweißen Kappe kurzzeitig verwirrten? Als Thomas Müller um kurz vor Mitternacht aus dem Ullevaal-Stadion in die skandinavische Nacht spazierte, geriet eine am Absperrgitter wartende Menge jugendlicher Verehrer derart in Aufregung, dass auch die Hauptperson im eigentlich so überschaubaren Oslo die Orientierung verlor.
Jedenfalls versuchte der deutsche Matchwinner allen Ernstes, zunächst in den norwegischen Bus einzusteigen. Dessen Türen waren allerdings schon verschlossen, erst dann bemerkte der Doppeltorschütze beim 3:0 in Norwegen seinen Irrtum und nahm als Vorletzter doch noch die Stufen zu den wirklichen Kollegen.
Auf dem Feld hatte der bald 27-Jährige instinktsicher mit links das 1:0 erzielt, per Kopf zum 3:0 getroffen und auch das 2:0 des Vereinskollegen Joshua Kimmich mustergültig vorbereitet.
„Du kannst dich vorbereiten, du kannst dranbleiben, manchmal hat man Glück und trifft eine richtige Entscheidung“, meinte Müller zu seiner Ausbeute lakonisch. „Die Mannschaft wollte, ich wollte – aber bei der Euro wollte ich auch“, fügte der Gute-Laune-Garant noch an, der nach eigener Aussage nie an seiner grundsätzlichen Qualität gezweifelt habe. Dass der Bayern-Star indes im ersten Länderspiel der jungen Saison gleich mal als Meister der vom Bundestrainer eingeforderten Effektivität auftrumpfte, war trotzdem nicht sofort zu erwarten.
Seit Oktober 2015 litt Müller unter einer ungewöhnlichen Torflaute im DFB-Dress – so lange hatte er zumindest in Pflichtspielen für das Nationalteam nicht mehr getroffen. Die gesamte EM inklusive.
Joachim Löw widersprach allerdings der gängigen Einschätzung, seine vielleicht wichtigste Offensivkraft habe zu diesem Zeitpunkt zu viele Spiele in den dünnen Beinen gehabt. „Er hatte keinen müden Eindruck gemacht; er hatte irgendwie das Pech an den Füßen kleben. Gegen Italien hat er dann auch im Elfmeterschießen verschossen. Das hat natürlich an ihm genagt.“
Nun trat er als Kontrastprogramm zu jener unglücklichen Nummer 13 auf, die sich bei der Endrunde in Frankreich umso ungeschickter anstellte, je näher sie dem Abschluss kam.
„Das wird ihm Auftrieb geben. Es ist ja wieder WM-Zeit, WMQualifikation. Da trifft er sowieso regelmäßig“, meinte Löw nonchalant. Wohl wahr. Und bei den WMTurnieren in Südafrika und Brasilien avancierte dieser Mann zum fünffachen Torschützen und Fanliebling.
In Oslo ist die Wiederbelebung geglückt: Müller klatschte auf dem Rasen nach Abpfiff vom schottischen Schiedsrichter bis hin zum norwegischen Schlussmann jeden ab, der ihm in den Weg kam. Nicht nur Löw wertet Müllers 34 Länderspieltore – damit ist er nach 79 Länderspielen bei der Hälfte seines Namensvetters Gerd angekommen – als starkes Zeichen.
Müller braucht es gerade dann als Vollstrecker, wenn dem eigentlichen Mittelstürmer die ureigene Aufgabe abgeht. Wie der immer noch um seine Form ringende Mario Götze, dem Löw beim Nationalteam ein ganz spezielles Therapieprogramm („Er wird noch ein paar Spiele brauchen“) gönnen konnte.
Gleichwohl: Ist der DortmundRückkehrer als Spitze wirklich eine Hilfe? Daran zweifelt selbst Müller. „Unser Stürmertyp Mario Gomez steht alleine da. Es wäre gut, da Alternativen zu haben.“Erst zum Wochenende hatte sich Müller in einem Interview um die Thematik vertiefende Gedanken gemacht. „Das ist ein grundsätzliches Problem in Deutschland. Im Laufe eines Spiels wäre es nicht schlecht, wenn man auch eine bulligere Variante bringen könnte. Aber man kann das auch nicht züchten oder im Planungsbüro bestellen.“Müller glaubt sogar: „Die Diskussion werden wir noch ein paar Jahre haben.“Es sei denn, Müller macht’s wieder selbst.