Mittelschwaebische Nachrichten
Eine Kirchendecke zum Niederknien
Verspielte Reliefs und außergewöhnliche Farben machen das Gewölbe der Mindelheimer Jesuitenkirche zu etwas ganz Besonderem
Mindelheim Wer die Jesuitenkirche betritt, blickt unweigerlich nach oben. Bögen schwingen über dem Besucher hinweg, Hunderte weißer Blüten und Schnörkel ranken sich an der gelb-apricot-farbenen Decke und umrahmen die sieben Stuckmedaillons, die das Leben der Gottesmutter Maria darstellen. Trotz all der Verzierungen ist die Kirche alles andere als kitschig. Filigran fügen sich Decke, Altäre, Bänke und Emporen ineinander. Das älteste Gotteshaus Mindelheims empfängt seine Besucher mit eleganter Freundlichkeit – und das wohl gewollt: „Ich kann mir vorstellen, dass die Jesuiten diese Farben bewusst gewählt haben“, sagt Mindelheims Kulturamtsleiter Christian Schedler. „Sie wirken positiv aufs Gemüt.“Mariae Verkündigung, so der Name der Kirche, wird hier erlebbar.
Es sind nicht nur die Farben, die so besonders sind. „Absolut außergewöhnlich machen die Kirche auch der Verzicht auf Deckenfresken und die Reliefs, die stattdessen verwendet wurden“, erklärt Schedler. Er hat noch mehr über das Gotteshaus in der Unterallgäuer Kreisstadt zu erzählen: Hier hat Martin Luther wohl eine Messe zelebriert. Hier begannen die Jesuiten im Jahr 1618 die älteste Großkrippe Schwabens aufzubauen und von hier aus breitete sich dieses Brauchtum über Schwaben bis nach Württemberg aus. Bis heute sind die mehr als 80 rund einen Meter hohen Krippenfiguren, die von Advent bis Lichtmess in der Jesuitenkirche zu sehen sind, eine Attraktion.
Doch auch übers Jahr ist das Gotteshaus einen Besuch wert. Wie bei einem dreidimensionalen Wimmelbild entdeckt man immer wieder neue Symbole in dem barocken Kirchenraum und der angebauten Xaveriuskapelle im Stil des frühen Rokokos. Dort sind die damals bekannten vier Weltteile dargestellt. Bunte Stuckblüten ragen besonders weit aus der Wand heraus. Der Altar der Kapelle scheint aus Marmor zu sein – und ist doch aus farbigen Stuckmassen modelliert. „Man erkennt’s nur daran, dass es besser aussieht als echter Marmor“, sagt Kunstexperte Schedler und weist aufs nächste Detail hin: Über dem Altar ist ein goldener Krebs zu sehen, der ein Kreuz hält. Der Überlieferung nach hat das Tier dem Heiligen Franz Xaver einst sein Kruzifix zurückgebracht, das er im Meer verloren hatte.
Die Jesuitenkirche gibt es schon deutlich länger als die 1690 angebaute Kapelle. Im Jahr 1263 wurde das Kloster der Augustiner-Eremiten vom benachbarten Bedernau in die Stadt Mindelheim verlegt. Weil sich die Pfarrkirche außerhalb der Stadtmauern befand, ist Mariae Verkündigung das älteste Gotteshaus der Stadt. Und nicht nur das: „Das Kloster war ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor“, weiß Schedler: Einheimische hatten Arbeit, Auswärtige ließen Geld in der Stadt. Unter den Besuchern waren auch Persönlich- keiten wie Johann Staupitz, Seelenführer Martin Luthers in Wittenberg, sowie – wahrscheinlich – der Reformator selbst. Überliefert ist ein Besuch im Frühjahr 1511, als sich Luther gerade auf dem Rückweg von Rom befand. Bis ins Ende des 17. Jahrhunderts ist von der Lutherkapelle die Rede, in der er die Frühmesse gefeiert haben soll.
1450 wurde die Kirche abgebrochen und erneuert. Vom spätgotischen Neubau um 1450 ist noch der Chor bis zum Triumphbogen erhalten. Wer genau hinsieht, merkt den Übergang an den gelben Bögen, die im Chor nicht ganz so rund, sondern eher auf eine Spitze zulaufen. 1526 lösten sich die Augustiner-Eremiten aufgrund der Reformation auf.
Als Mindelheim 90 Jahre später bayerisch wurde, schickte Herzog Maximilian I. die Jesuiten in die Stadt, die relativ schnell begannen, die Kirche zu erneuern. „Eine Riesenaktion“nennt es Kulturamtsleiter Schedler: Das Langhaus wurde abgerissen und in der heutigen äußeren Form aufgebaut – jedoch mit flacher Kassettendecke. Weil die Kirche länger war als ihre Vorgängerin, musste die Stadtmauer nach Westen verschoben werden. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg konnten die Jesuiten die Innenausstattung angehen – beispielsweise das Chorgestühl.
Die Moden änderten sich und so folgte bereits 1721/22 die nächste radikale Neugestaltung. Der renommierte Jesuitenarchitekt Pater Joseph Guldimann riss Dach und Holzdecke herunter und baute das Gewölbe wie einen Baldachin in das vorhandene Langhaus ein. Die für die Statik nötigen Wandpfeiler und Querbögen gliedern das Gotteshaus zugleich. Wer von hinten nach vorne blickt, sieht mehrere Triumphbögen hintereinander: Hier zieht Christus ein, lautet die Botschaft. Dann kamen die Stuckateure: „Allumfassend“lautete der Gestaltungswille. Er wurde erfolgreich umgesetzt.
Bis 1736 erhielt die Kirche ihre Ausstattung mit Möbeln: Der linke Seitenaltar zeigt den Erzengel Raphael mit Tobias – er verdeutlicht das Prinzip des Schutzengels. Der rechte Seitenaltar ist Joseph gewidmet, dem Patron für einen guten Tod. Die Bilder im Chorraum zeigen einerseits die Familie Jesu und bitten andererseits um Schutz und Frieden für Gebiete von Mindelheim bis zum Heiligen Römischen Reich. Der Hochaltar – laut Schedler „eine riesige Theaterbühne“– zeigt die Verkündigung Mariae. Oben wachen unterschiedlich alte Engel, unten zeigt ein Bild Christus in der Kelter. Wie eine Weinrebe wird er unter dem Kreuz ausgepresst; um ihn herum die Sünden und zwei Engel.
„Es ist eine Kirche, die nach Ansicht der Jesuiten den Menschen mit allen Sinnen klarmachen soll, dass er erlöst ist“, sagt Christian Schedler. Liturgie, Predigt, Musik, Weihrauch gehörten im Barock untrennbar zusammen. Das Gesamterlebnis sollte den Menschen in Beschlag nehmen, sodass er seinen Sorgen entfliehen kann und merkt, dass es etwas Schöneres, Größeres gibt. In der Mindelheimer Jesuitenkirche hat man dieses Gefühl selbst dann, wenn gerade kein Gottesdienst ist.