Mittelschwaebische Nachrichten
Spanner profitiert von Gesetzeslücke
Ein 50-Jähriger Mann beobachtet eine Frau in der Umkleidekabine eines Neu-Ulmer Hallenbades und landet vor Gericht – aber nicht wegen seines unsittlichen Verhaltens
Neu-Ulm Gerade als sich die Frau in der Umkleidekabine eines Neu-Ulmer Hallenbads die Unterhose anzieht, trifft sie der Schlag: Die 30-Jährige entdeckt einen Mann, der unter der Kabinenwand zu ihr nach oben blickt. „Ich habe geschrien, sofort meine Kleider von der Wand gerissen und mir vor den Körper gehalten“, sagt die Ulmerin. Der Vorfall ist nun fünf Monate her. Nun musste sich der Spanner, ein verheirateter, dreifacher Vater, vor Gericht verantworten – allerdings nicht, weil er die Frau beim Umziehen beobachtet hatte.
Denn offensichtlich nutzte der Mann eine Gesetzeslücke. Demnach haben ihm nur Beleidigungen gegenüber dem Bademeister, der den 50-Jährigen zur Rede stellen wollte, den juristischen Ärger eingebracht. „Hätte er den Bademeister nicht angegangen, wäre er jetzt nicht hier“, sagt Jürgen Hasler, stellvertretender Direktor des Neu-Ulmer Amtsgerichts.
„Das Besondere an diesem Fall ist, dass der eigentlich gravierende Sachverhalt gar nicht strafbar ist.“Denn wie auch Oberstaatsanwalt Markus Schroth erklärt, verstößt Spannen nicht gegen das Strafgesetz. Erst wenn derjenige auf sich aufmerksam mache – beispielsweise durch Foto- oder Videoaufnahmen – habe das juristische Folgen: Dann spricht man von der „Verletzung des höchst persönlichen Lebensbereichs“. Ein Jahr Freiheitsstrafe könnten dem Täter in so einem Fall blühen. Die 30-jährige Ulmerin kann das nicht fassen: „Ich war sauer, dass meine Anzeige abgelehnt wurde.“Vor Gericht schildert sie den Ablauf an jenem Tag im Februar dieses Jahres: „Ich habe schon am Umkleideschrank gesehen, wie er mich beobachtet.“Daher sei sie extra in eine Kabine am Ende der Reihe gegangen. Doch der Mann sei ihr gefolgt und in die Nachbarumkleide gegangen. „Als ich gesehen habe, wie er unter der Wand durch geschaut hat, hab’ ich sofort losgeschrien“, schildert die 30-jährige Verwaltungsangestellte. „Dann habe ich gegen seine Kabinentür gehämmert und geschrien, er soll rauskommen.“Der Mann habe ihr gesagt, er suche etwas. Dem Richter schildert er am Verhandlungstag jedoch, er wollte in der Umkleidekabine Alkohol trinken, außerdem habe er die Klamotten gewechselt. „Klamotten? Da waren keine in der Kabine“, sagt die Frau in der Verhandlung. Er habe sich lediglich die Badehose vor sein Glied gehalten. Dass er dann den herbeieilenden Bademeister beleidigt hat, gibt der Angeklagte zu. Alles, was vorhergegangen sein soll, bestreitet der Mann aus dem südlichen Landkreis Heidenheim jedoch.
Das Gericht nahm ihm das aber nicht ab, denn die acht Vorstrafen des 50-Jährigen sprechen eine andere Sprache: Neben Trunkenheit im Verkehr, Diebstahl und Körperverletzung wurde er bereits zweimal verurteilt, weil er während Zugfahrten vor Frauen onaniert hat. Solche exhibitionistischen Handlungen würden „immer mal wieder“angezeigt, sagt Oberstaatsanwalt Schroth. Opfer von Spannern haben juristisch jedoch keine Chance, dass ihre Anzeige durchgeht.
Im Falle des 50-jährigen Spanners im Neu-Ulmer Hallenbad machte Richter Hasler seine Meinung deutlich – jedoch gegenüber dem Gesetzgeber, „der ja gerade Lücken im Sexualstrafrecht schließen möchte und daher auch diese Fälle berücksichtigen sollte. So etwas sollte strafrechtlich abgeurteilt werden können“. Doch mit der Strafe, die das Gericht nun aussprach, wird zumindest der 50-Jährige nun gut bedient sein: Wegen Beleidigung gegenüber dem Bademeister und aufgrund seiner einschlägigen Vorstrafen wurde der Mann zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt – mit stattlichen fünf Jahren Bewährungszeit. Und nicht nur das: Der 50-Jährige muss 2000 Euro an den Notruf für Frauen in Neu-Ulm bezahlen, alle zwei Monate eine Alkoholkontrolle besuchen sowie Termine mit seinem Bewährungshelfer wahrnehmen.
Auch wenn damit wohl der äußerste Strafrahmen einer Beleidigung ausgeschöpft wurde, an den Auswirkungen, die der Vorfall auch heute noch auf die 30-Jährige hat, wird sich so schnell nichts ändern: „Ich versuche, viel darüber zu reden, um das zu verarbeiten“, sagt die Frau vor Gericht. „Aber ins Hallenbad gehe ich seitdem nicht mehr.“