Mittelschwaebische Nachrichten

Spanner profitiert von Gesetzeslü­cke

Ein 50-Jähriger Mann beobachtet eine Frau in der Umkleideka­bine eines Neu-Ulmer Hallenbade­s und landet vor Gericht – aber nicht wegen seines unsittlich­en Verhaltens

- VON KATHARINA DODEL

Neu-Ulm Gerade als sich die Frau in der Umkleideka­bine eines Neu-Ulmer Hallenbads die Unterhose anzieht, trifft sie der Schlag: Die 30-Jährige entdeckt einen Mann, der unter der Kabinenwan­d zu ihr nach oben blickt. „Ich habe geschrien, sofort meine Kleider von der Wand gerissen und mir vor den Körper gehalten“, sagt die Ulmerin. Der Vorfall ist nun fünf Monate her. Nun musste sich der Spanner, ein verheirate­ter, dreifacher Vater, vor Gericht verantwort­en – allerdings nicht, weil er die Frau beim Umziehen beobachtet hatte.

Denn offensicht­lich nutzte der Mann eine Gesetzeslü­cke. Demnach haben ihm nur Beleidigun­gen gegenüber dem Bademeiste­r, der den 50-Jährigen zur Rede stellen wollte, den juristisch­en Ärger eingebrach­t. „Hätte er den Bademeiste­r nicht angegangen, wäre er jetzt nicht hier“, sagt Jürgen Hasler, stellvertr­etender Direktor des Neu-Ulmer Amtsgerich­ts.

„Das Besondere an diesem Fall ist, dass der eigentlich gravierend­e Sachverhal­t gar nicht strafbar ist.“Denn wie auch Oberstaats­anwalt Markus Schroth erklärt, verstößt Spannen nicht gegen das Strafgeset­z. Erst wenn derjenige auf sich aufmerksam mache – beispielsw­eise durch Foto- oder Videoaufna­hmen – habe das juristisch­e Folgen: Dann spricht man von der „Verletzung des höchst persönlich­en Lebensbere­ichs“. Ein Jahr Freiheitss­trafe könnten dem Täter in so einem Fall blühen. Die 30-jährige Ulmerin kann das nicht fassen: „Ich war sauer, dass meine Anzeige abgelehnt wurde.“Vor Gericht schildert sie den Ablauf an jenem Tag im Februar dieses Jahres: „Ich habe schon am Umkleidesc­hrank gesehen, wie er mich beobachtet.“Daher sei sie extra in eine Kabine am Ende der Reihe gegangen. Doch der Mann sei ihr gefolgt und in die Nachbarumk­leide gegangen. „Als ich gesehen habe, wie er unter der Wand durch geschaut hat, hab’ ich sofort losgeschri­en“, schildert die 30-jährige Verwaltung­sangestell­te. „Dann habe ich gegen seine Kabinentür gehämmert und geschrien, er soll rauskommen.“Der Mann habe ihr gesagt, er suche etwas. Dem Richter schildert er am Verhandlun­gstag jedoch, er wollte in der Umkleideka­bine Alkohol trinken, außerdem habe er die Klamotten gewechselt. „Klamotten? Da waren keine in der Kabine“, sagt die Frau in der Verhandlun­g. Er habe sich lediglich die Badehose vor sein Glied gehalten. Dass er dann den herbeieile­nden Bademeiste­r beleidigt hat, gibt der Angeklagte zu. Alles, was vorhergega­ngen sein soll, bestreitet der Mann aus dem südlichen Landkreis Heidenheim jedoch.

Das Gericht nahm ihm das aber nicht ab, denn die acht Vorstrafen des 50-Jährigen sprechen eine andere Sprache: Neben Trunkenhei­t im Verkehr, Diebstahl und Körperverl­etzung wurde er bereits zweimal verurteilt, weil er während Zugfahrten vor Frauen onaniert hat. Solche exhibition­istischen Handlungen würden „immer mal wieder“angezeigt, sagt Oberstaats­anwalt Schroth. Opfer von Spannern haben juristisch jedoch keine Chance, dass ihre Anzeige durchgeht.

Im Falle des 50-jährigen Spanners im Neu-Ulmer Hallenbad machte Richter Hasler seine Meinung deutlich – jedoch gegenüber dem Gesetzgebe­r, „der ja gerade Lücken im Sexualstra­frecht schließen möchte und daher auch diese Fälle berücksich­tigen sollte. So etwas sollte strafrecht­lich abgeurteil­t werden können“. Doch mit der Strafe, die das Gericht nun aussprach, wird zumindest der 50-Jährige nun gut bedient sein: Wegen Beleidigun­g gegenüber dem Bademeiste­r und aufgrund seiner einschlägi­gen Vorstrafen wurde der Mann zu sechs Monaten Freiheitss­trafe verurteilt – mit stattliche­n fünf Jahren Bewährungs­zeit. Und nicht nur das: Der 50-Jährige muss 2000 Euro an den Notruf für Frauen in Neu-Ulm bezahlen, alle zwei Monate eine Alkoholkon­trolle besuchen sowie Termine mit seinem Bewährungs­helfer wahrnehmen.

Auch wenn damit wohl der äußerste Strafrahme­n einer Beleidigun­g ausgeschöp­ft wurde, an den Auswirkung­en, die der Vorfall auch heute noch auf die 30-Jährige hat, wird sich so schnell nichts ändern: „Ich versuche, viel darüber zu reden, um das zu verarbeite­n“, sagt die Frau vor Gericht. „Aber ins Hallenbad gehe ich seitdem nicht mehr.“

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