Mittelschwaebische Nachrichten
Die Alpen als Abenteuerspielplatz?
(Fortsetzung von der vorigen Seite)
„Als anfangs einmal die Rede von einem Flying Fox am Osterfelderkopf war, haben wir uns explizit dagegen ausgesprochen“, sagt Bucher.
Die Zugspitzbahn, die die Plattform gebaut hat, zieht ebenfalls eine positive Bilanz. Gleich im ersten Jahr hat sich die Gästezahl verdoppelt. Und auch im sechsten Jahr sei die Nachfrage danach ungebrochen, sagt Verena Lothes, Pressesprecherin der Zugspitzbahn. Für die Bergbahn, die der Gemeinde GarmischPartenkirchen gehört und die 300 Menschen beschäftigt, hat sich der AlpspiX längst gerechnet. Lothes sagt auch: „Eine Eventisierung des Berges war und ist nie unser Ziel gewesen. Vielmehr möchten wir auch Menschen das Erlebnis Berg ermöglichen, die vielleicht nicht in der Lage wären, so etwas zu erleben.“Sie weist darauf hin, dass durch die Plattform und den Bau zweier Erlebniswege der Gästestrom noch mehr kanalisiert werden konnte. Er beschränke sich auf das ohnehin bereits erschlossene Gebiet.
Auch dieser Hinweis ist wichtig, um den Bau solcher künstlichen Attraktionen richtig einzuschätzen. Sie entstehen nicht in Berggebieten, die zuvor menschenleer und unerschlossen gewesen sind. Im Gegenteil, sie werden an Orte gebaut, an denen es schon lange Wintersport gibt, an denen nun auch im Sommer die Auslastung der großen Seilbahnen weiter gesteigert werden soll. Die Bergattraktionen wirken nun wie Magnete. Sie konzentrieren die Menschen in Gebieten. An Gipfeln, die nicht per Seilbahn zu erreichen sind, die vielleicht auch nur auf schwierigen Steigen zu erreichen sind, findet der Wanderer ein Naturerlebnis.
Wiewohl nicht verschwiegen werden darf, dass dieser Trend zum Aufrüsten, zum Ausbauen nicht nur an den großen Orten in den Alpen zu beobachten ist. Im Kleinen findet das mittlerweile auch unten in den Tälern und oben an den Berghütten statt. Ohne eine kleine Attraktion hat man es schwer, ob nun die Sommerrodelbahn, der Streichelzoo, der Alpinpflanzenweg, ob nun der Hochseilgarten, der Klettersteig, die gut gesicherten neuen Alpinkletterrouten. Aber auch da gilt es, abzuwägen. Sagt zum Beispiel Thomas Bucher vom Alpenverein: „Bei Klettersteigen ist es nicht so, dass sie gleich von vornherein Unsinn sind.“ Aus Mitgliederbefragungen wisse der Verein, dass über 45 Prozent der mehr als eine Million Mitglieder Klettersteige gehe. Die Nachfrage ist gewaltig. Um die Alpenvereinshütten besser auszulasten, seien Klettersteige also sinnvoll.
Dann kommt noch ein anderer Aspekt hinzu, der längst vergessen ist, weil er mit der Geschichte des Alpinismus zu tun hat. Denn so schlimm die Auswüchse des Tourismus einem als Besucher vorkommen mögen, so sehr kann man das verstehen, wenn man diese andere Seite sieht. Zermatt zum Beispiel. Auch so ein Hotspot, ein Weltdorf in den Alpen. Aber vor 200 Jahren hätte man dort nicht leben wollen. Vor 200 Jahren endete in dem Dorf buchstäblich die Welt. Eingerahmt von 4000 Meter hohen Bergriesen mussten die 350 Menschen in Zermatt von dem leben, was die Bergwelt hergab. Und das war wenig. Bergbauer zu sein, bedeutete Überlebenskampf. Das bekam auch der Nachwuchs zu spüren. Die Höfe wurden nur an die ältesten Söhne weitergegeben, die übrigen Kinder mussten sehen, wo sie blieben. Die Erträge waren gering, auch wenn jede noch so kleine Fläche landwirtschaftlich genutzt wurde.
Heute wirbt Zermatt mit Gourmet-Küche, dem höchst gelegenen Restaurant Europas, einem ganzjährig befahrbaren Skigebiet und mit seiner größten Attraktion, dem Matterhorn. Unter den 126 Hotels in Zermatt finden sich fünf FünfSterne-Häuser. Zum Vergleich: In Schwabens größter Stadt Augsburg gibt es kein einziges Fünf-SterneHotel. Zermatt boomt, in Zermatt leben heute fast 6000 Menschen.
Aber bei all diesen verständlichen Gründen bleibt letztlich ein Unbehagen zurück. Wenn die Berge nur noch als Kulisse für Actionevents dienen, dann hat der Mensch den Bezug zu der großartigen alpinen Landschaft verloren. Mitten im Rummel – „die Stöcke bitte vor dem Körper“– wirkt das Zugspitzpanorama eben nur wie eine perfekte dreidimensionale Fototapete. Dass dieses Unbehagen ganze Ortschaften befallen hat, das zeigt der Zusammenschluss der Bergsteigerdörfer. Dem technischen Wettrüsten zeigen sie die kalte Schulter. Stattdessen werben sie mit nachhaltigem und sanftem Tourismus für sich und schreiben den Naturschutz groß. Eine wunderbare Antwort.