Mittelschwaebische Nachrichten

Notaufnahm­en klagen über zu viele Patienten

Neues System soll in dringenden Fällen schneller helfen. Vorbild in der Region

- VON JULIA SEWERIN UND SEBASTIAN RICHLY

Augsburg/Berlin Viele Notaufnahm­en sind überlastet, weil immer mehr Menschen wegen nicht akuter Probleme sich an die Kliniken wenden. Rund 25 Millionen Patienten versorgen die 1600 deutschen Notaufnahm­en pro Jahr – Tendenz steigend, berichtet die Vorsitzend­e des Ersatzkass­enverbande­s, Ulrike Elsner. Jeder dritte Notfallpat­ient könne aber bedenkenlo­s in einer normalen Arztpraxis behandelt werden. Der Verband fordert eine Reform.

Das Problem sieht Elsner in der Struktur der Notfallver­sorgung: „Die undurchsic­htigen Öffnungsze­iten und Anlaufstel­len der Ärzte sind ebenso ein Problem wie die unklare Aufgabente­ilung zwischen ambulanter und stationäre­r Versorgung.“Das sei ein Dilemma für Patienten: „Sie wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen, und gehen dann im Zweifel in die Notaufnahm­e.“

Der Kassenverb­and fordert die flächendec­kende Einrichtun­g zentraler Anlaufstel­len an Kliniken. Sie sollen die Patienten je nach Dringlichk­eit an die richtige Stelle verweisen. Ziel dieser sogenannte­n Portalprax­en sei, abzuklären, ob es sich um eine Bagateller­krankung oder einen Notfall handelt. Die Portalprax­en sollen den Notaufnahm­en vorgelager­t werden, sodass dort nur echte Notfälle landen. Weniger dringende Fälle sollen von Hausoder Fachärzten behandelt werden.

Viele Kassenärzt­liche Vereinigun­gen lehnen eine flächendec­kende Einführung solcher „Portale“jedoch ab. Sie haben die Sorge, dass die Praxen Patienten verlieren, weil Menschen mit akuten Beschwerde­n nur noch dorthin gehen. Die badenwürtt­embergisch­e Kassenärzt­liche Vereinigun­g forderte gestern stattdesse­n eine Gebühr für Patienten, die mit nur leichten Beschwerde­n in die Notaufnahm­en drängen.

Das Modell der Portalprax­en wird bereits seit einem Jahr an den Kliniken Augsburg und Bobingen praktizier­t. Die Notaufnahm­en werden dabei von Bereitscha­ftspraxen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern (KVB) unterstütz­t. Sie decken die normale hausärztli­che Versorgung an Wochenende­n und abends ab und sollen Patienten übernehmen, die nicht in die Notaufnahm­e gehören – und das ohne lange Wartezeite­n. „Es ist eine Entlastung“, sagt Markus Wehler, Chefarzt am Augsburger Klinikum.

Der Leiter der Notaufnahm­e kritisiert aber, dass es keinen gemeinsame­n Steuerpunk­t gibt, von dem aus die Patienten entweder in die

Ein Drittel der Fälle bräuchte keine Behandlung in Klinik

Notaufnahm­e oder in die Bereitscha­ftspraxis weitergesc­hickt werden. Außerdem fordert er, dass diese Praxen rund um die Uhr besetzt sind. Mit 1300 Patienten in Augsburg und 400 Patienten in Bobingen pro Monat sind die Praxen allerdings noch lange nicht ausgelaste­t: „Wir haben noch Kapazitäte­n“, sagt Manuel Holder von der KVB.

Laut einer Studie des Augsburger Klinikums wendet sich die Hälfte der Patienten an die Notaufnahm­e, weil sie sich im Krankenhau­s besser behandelt fühlten. Ein weiteres Drittel wollte sich in der Notaufnahm­e eine zweite Meinung einholen, wie eine Patientenb­efragung von 2015 ergab. Die Menschen wüssten außerdem, dass sie im Krankenhau­s das vollständi­ge Paket in ein paar Stunden bekommen, während sie bei Fachärzten wochenlang warten müssten, sagt Wehler.

Auch das Klinikum Kempten zählt mehr Fälle. Seit Eröffnung der zentralen Notaufnahm­e vor drei Jahren stieg die Patientenz­ahl um rund ein Drittel: „Die Notaufnahm­e ist phasenweis­e deutlich überfüllt“, sagt Christine Rumbucher, Sprecherin des Klinikverb­undes Kempten-Oberallgäu. »Kommentar

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