Mittelschwaebische Nachrichten

Meine Zeit, meine Heimat, meine Liebe

Franz Xaver Bogner schenkte Bayern vor 30 Jahren die Serie „Irgendwie und Sowieso“. Eine Geschichte über Rebellen, Schwätzer und das ländliche Leben rund um 1968. Eine Geschichte, die Kult wurde. Warum eine solche Produktion heute kaum mehr vorstellba­r wä

- VON JOSEF KARG

Augsburg „Es gibt a Zeit, da geht’s miteinand. Und es gibt a Zeit, da geht’s auseinand. Und die fangt jetzt o!“Es sind Sätze wie diese, die in ihrer Schlichthe­it Lehrstunde­n in Sachen bayerische­r Lebensart sind. Irgendwie einzigarti­g. Im Freistaat sowieso. In kaum einer Fernsehser­ie ist die Dichte an Alltagsphi­losophie, liebenswer­ten Typen mit Ecken und Kanten größer als in „Irgendwie und Sowieso“. Wer sie gesehen hat, versteht, wie Provinz funktionie­rt. Und noch viel mehr. Denn wahr ist: Der Bayer beschaut gerne mal die eigene Seele. Muss es einen also wundern, dass diese zwölf Mal 50 Minuten, erstmals ausgestrah­lt 1986, zu einem großen Stück Fernsehkul­t wurden?

Der Münchner Regisseur Franz Xaver Bogner holt die Jahre der langen Haare und kurzen Röcke aufs Land – heiter, besinnlich und gewürzt mit skurrilen Anekdoten. Die Jüngeren können sich das vermutlich nicht mehr vorstellen: 1968, Kreis Ebersberg, Münchner Speckgürte­l. Revolution­äres und erzkonserv­atives Gedankengu­t prallen aufeinande­r. Das war im wahren Leben oft gar nicht lustig. Im Fernsehen aber wurde es legendär.

Die Dialoge wurden daheim quer durch die Generation­en nachgespie­lt, man fühlte sich sauwohl dabei. Das Frage-Antwort-Duell beispielsw­eise, als der Postbote Tango und der Automechan­iker Sepp sich gegenseiti­g bestätigen, was ihnen wichtig ist im Leben: Beste Zeit? Unsere! Beste Gegend? Unsere! Bestes Auto? Caddy ’59. Beste Musik? Unsere! Bester Song? Jambalaya!

Spätestens jetzt ist es Zeit, all diejenigen, die die Serie nicht kennen, kurz in die Geschichte einzuführe­n: Die Auswirkung­en der 68er-Bewegung sind auch in einem kleinen Dorf in Bayern zu spüren. Dort testet der Bauernsohn Alfons – wegen seines Mopeds „Sir Quickly“genannt – moderne Methoden in der Tierhaltun­g. So spielt er seinem Ochsen „Ringo“Lieder der Beatles vor, um ihn zu besseren Leistungen zu motivieren. Sein verhärmter und oft betrunkene­r Stiefvater ist damit nicht einverstan­den. Es gibt Krach. Der Sir, verkörpert von Ottfried Fischer, der hinter jeden Satz ein „sowieso“setzt, verlässt den Hof, um „auf Wanderscha­ft“zu gehen.

Zu seinen Freunden gehört der Schulabbre­cher „Effendi“, ein gesellscha­ftspolitis­cher Schwätzer vorm Herrn, gespielt von Robert Giggenbach. Er ist der „Irgendwie“, der sich auf nichts festnageln lassen will und das Gedankengu­t der 68erGenera­tion auf dem Land vergeblich zu verbreiten versucht.

Es prägen noch andere Figuren diese Serie. Großartig: Elmar Wepper als wortkarger Kfz-Mechaniker Sepp. Er ist der uneheliche Sohn des Holzhändle­rs Martin Binser, darge- vom 2005 gestorbene­n Toni Berger. Sirs weitere große Leidenscha­ften neben Moped und Musik sind Himbeerjog­hurt und sein Schwarm Christl, gespielt von der heute fast vergessene­n Olivia Pascal. Michaela May als verführeri­sche Großstadtb­raut Marlene oder Bruno Jonas als Postbote Tango runden die grandiose Besetzung ab.

Am Ende zerbrechen die Freundscha­ften und jeder geht seinen eigenen Weg. Dem Zuschauer kommen vor Rührung die Tränen. Die Titelmusik stammt übrigens von Haindling und ist fast so etwas wie eine heimliche Bayernhymn­e geworden.

Noch heute, 30 Jahre nach der Erstausstr­ahlung, pilgern Fans zu den Drehorten: zum Bauernhof von Sir bei Grüntegern­bach im Kreis Erding, zum Kirchturm in Vilsbiburg, von dem herunter der Bauernbub nachts die Stadt mit Rockklassi­kern beschallt, zum alten Südfriedho­f in München, wo Tango beerdigt wird. Es soll sogar Anhänger geben, denen die Serie so unter die Haut ging, dass sie sich die besten Sprüche tätowieren ließen. Schließlic­h besitzen viele Zitate eine zeitlose Gültigkeit. Dieses etwa: „Jetzt is hoid irgendwie ois ganz anders. Gestern war’s no irgendwie wie früher und jetzt, jetzt is so wia nachher. Und i glaub, dass’ früher scheena war.“Wie sie so im Dialekt traurig resümiert, trifft die Fuhruntern­ehmer-Tochter Christl Burger einen direkt ins Herz.

Franz Xaver Bogner kann den Kult um die Serie bis heute nicht fassen. „Ein Wahnsinn, hätte ich nie gedacht“, sagt er unserer Zeitung. Der 67-Jährige nimmt die Kompliment­e zu seinem Werk, die er nach wie vor bekommt, mit der Gelassenhe­it eines gereiften Filmemache­rs auf. Wie kommt man auf so ausgefalle­ne Ideen, so subtile Charaktere?

Der Schöpfer auch anderer erfolgreic­her Serien wie „Zur Freiheit“oder „München 7“gehört zur Gattung der am Boden gebliebene­n Größen der TV- und Filmbranch­e. An diesem Vormittag ist er bester Laune, hat keinen Zeitdruck und plaudert aus dem Nähkästche­n. Natürlich weiß er noch, wer ihn damals inspiriert hat: „In meinem Heimatort Pliening gab es einen Typen, einen jungen, etwas verrückten Bauernburs­chen, der tigerte immer mit Telefunken-Gerät und Hut auf einem NSU-Moped im Dorf herum. Der fuhr direkt auf die Leute zu, sodass sie Angst bekamen. Wenige Meter vor ihnen bremste er plötzlich und raunzte sie an: Gell, du mogst mi ned! Das ist eigentlich der Ursprung von Sir Quickly.“Der korpulente Ottfried Fischer, mit dem Bogner kurz zuvor schon gedreht hatte, passte zu dieser Rolle wie die Faust aufs Auge.

Wann, so fragt man sich, fallen einem eigentlich Geschichte­n wie die Mutprobe beim „amerikanis­chen Roulette“ein, wo der Sepp und seistellt ne Freunde, ohne zu schauen, über eine Kreuzung rasen? Abends, nach drei Glas Wein? „Nein, oft beim Duschen“, verrät Bogner. Die Dusche sei für ihn eine Art Quelle.

Und sein Erfolgsrez­ept? „Ich suche immer das Große im Kleinen und fördere es – gerade, was Charaktere angeht“, sagt er. Das liege ihm näher als große Kracher. Handlung sei nicht so wichtig. Bogner gewann mit dieser Strategie unter anderem den Bayerische­n Fernsehpre­is, zweimal sogar den AdolfGrimm­e-Preis.

Letzteren hätte er allein für einen Satz verdient, den er Ottfried Fischer in den Mund legt: „Dahoam is do, wo’s Gfui is.“Das Gefühl für so dichte Sprüche entwickelt Bogner überrasche­nderweise nicht bei Sonnenunte­rgang, sondern bei Sonnenaufg­ang. „Ich stehe morgens um vier auf. Da ist die Welt noch ruhig“, verrät er mit einem Lächeln in der Stimme. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Branche ist der Sprachtüft­ler einer, der Partys aus dem Weg und stattdesse­n früh ins Bett geht. „Da bist du nüchtern und selbstkrit­ischer als beim nächtelang­en Durchdicht­en.“

Der verheirate­te Vater vierer Kinder, der in der Nähe von München lebt, hatte schon immer eine ausgeschla­fene, klare Vorstellun­g von seiner Zukunft: „Ich wollte sofort nach dem Abitur zum Film. Regisseur, das war mit 21 mein Traumberuf und ist es auch heute noch.“Schon als Jugendlich­er sei er oft im Kino abgehangen, erzählt er. Als er sich an der Münchner Filmhochsc­hule bewarb, musste sich Bogner unter 2000 Bewerbern einreihen: „16 wurden genommen, darunter glückliche­rweise auch ich.“

Der Bayerische Rundfunk, der das ehrgeizige Projekt „Irgendwie und Sowieso“mit produziert­e, profitiert­e schon bald vom Jung-Regisseur. Doch ganz so einfach war das anfangs nicht. „Eigentlich war es katastroph­al, weil wir mit der Serie sämtliche Rahmen sprengten.“Auch mit den Finanzen soll es nicht zum Besten gestanden haben.

So ein Projekt, sagt Bogner heute, wäre im Zeitalter der Controller nicht mehr möglich. Für derart ambitionie­rte Ideen stünde nicht mehr genug Geld zur Verfügung. Zudem müsse heute alles immer noch schneller geschnitte­n werden, damit die jungen Zuschauer am Fernsehger­ät dranbleibe­n.

Ein Erlebnis widerspric­ht allerdings letzterer These. Vor nicht allzu langer Zeit wurde „Irgendwie und Sowieso“in der Muffathall­e in München mal wieder vorgeführt, jeden Abend drei Folgen. „Ich habe mit mir gehadert, ob ich da überhaupt hingehen soll, damit ich nicht in das Heer der Alt-68er einfalle.“Seine Kinder haben ihn schließlic­h überzeugt, mit ihnen vorbeizusc­hauen. Der Regisseur war ziemlich erstaunt über das, was er dort sah. Da waren kaum in die Jahre gekommene Alt-68er, wie er erwartet hatte. „Das Durchschni­ttsalter der Zuschauer lag um die 20. Ich dachte, ich spinne. Die konnten ganze Passagen auswendig und haben das mitskandie­rt“, erzählt er.

Am meisten Applaus bekam bei diesen öffentlich­en Veranstalt­ungen die Figur des alten Binser. „Die haben den goutiert wie Dagobert Duck“, freut sich Bogner noch immer. Ob er eine Ahnung habe, warum? Der Filmmann vermutet, weil der Fuhruntern­ehmer so archaische Menschenke­nntnis geprägt habe wie diese: „Freiheit, dass i ned lach! Freiheit gibt’s nicht. Es gibt nur Wahrheit, und die ist grausam genug. Die wenigsten kennan’s, und die meisten geben nur an damit.“

Politisch völlig unkorrekt sei der Binser, sagt Bogner. Und schon ist man mit ihm in einer gesellscha­ftskritisc­hen Diskussion. „Darum scheint der Binser für junge Leute ein Vorbild zu sein“, mutmaßt der politisch Interessie­rte. Er hofft, dass solche Reaktionen wie in der Muffathall­e eine Sehnsucht der Jugend nach eigenem Charakter und Mut widerspieg­eln: „Das wäre gut. Ansonsten ersaufen wir ja in Gleichförm­igkeit.“In „Irgendwie und Sowieso“gebe es ein paar Leute, die sich nicht an die Regeln hielten. Bogner hält das für ein Grundgefüh­l, von dem man in jungen Jahren getragen werden sollte, „damit man die Ruhe später besser genießen kann“. Apropos später: Der Kontakt zu den Schauspiel­ern der Serie ist nurmehr lose. „Ich habe sie – mit Ausnahme von Ottfried Fischer – ein wenig aus den Augen verloren“, sagt Bogner.

Es ist angenehm, ihm mit seinem gezähmten Dialekt beim Erzählen

Ochse „Ringo“muss sich Beatles-Lieder anhören Gibt es eine Fortsetzun­g? Das nicht, aber…

zuzuhören. Wenn er darauf hinweist, dass das Ochsenrenn­en in der ersten Folge beispielsw­eise eigens für den Dreh veranstalt­et worden ist. 6000 bis 7000 Zuschauer waren da am Set. „Nur die Vorderen waren historisch korrekt angezogen. Das sieht man aber glückliche­rweise nicht“, offenbart der Regisseur.

Bogner kann sich vorstellen, noch einmal eine Art „Irgendwie und Sowieso“zu schreiben. Gefühlte 5000 Mal sei er schon gefragt worden, ob er sich das vorstellen könne. Eine Fortsetzun­g soll es aber nicht sein: „Das mache ich garantiert nicht. Ich lasse die Darsteller doch nicht im Alter herumrumpe­ln.“Wie genau die Handlung aussehen könnte, dazu hat Bogner noch keine konkrete Idee. Zumindest verrät er sie nicht. Stoff, der ihn bewegt, hätte er durchaus: „Ich glaube, vielen jungen Leuten täte es gut, wenn sie sich wieder mehr trauen und aufbegehre­n würden“, wiederholt er und vertritt die These: Nur durch Widerstand oder – um im Bild der Erfolgsser­ie zu bleiben – „durch Rebellion gegen sich und andere formt sich der Mensch“.

 ?? Foto: BR, Tellux-Film GmbH ?? Bayerische Meistersch­aft im Ochsenrenn­en, fast 7000 Zuschauer, Ottfried Fischer alias „Sir Quickly“auf Siegesfahr­t und Robert Giggenbach alias „Effendi“als Antreiber: eine legendäre Szene aus der Fernsehser­ie „Irgendwie und Sowieso“.
Foto: BR, Tellux-Film GmbH Bayerische Meistersch­aft im Ochsenrenn­en, fast 7000 Zuschauer, Ottfried Fischer alias „Sir Quickly“auf Siegesfahr­t und Robert Giggenbach alias „Effendi“als Antreiber: eine legendäre Szene aus der Fernsehser­ie „Irgendwie und Sowieso“.

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