Mittelschwaebische Nachrichten

Mehr Netto vom Brutto – ein bisschen zumindest

Pünktlich zur Wahl sollen jetzt doch die Steuern sinken. Warum Wolfgang Schäuble gar nicht anders kann

- VON RUDI WAIS

Berlin In Sichtweite der Bundestags­wahl öffnet Wolfgang Schäuble seine Schatulle. Eine Steuerentl­astung im größeren Stil verspricht der Finanzmini­ster zwar erst für die nächste Legislatur­periode – zuvor aber sollen wenigstens der Grundfreib­etrag, der Kinderfrei­betrag und das Kindergeld leicht angehoben und die Steuerprog­ression ein wenig entschärft werden. Große Sprünge werden die Beschäftig­ten und ihre Familien damit jedoch nicht machen können – in den meisten Fällen bleiben ihnen unterm Strich lediglich ein paar Euro mehr im Monat.

Eher beiläufig versprach Schäuble zum Auftakt der Haushaltsb­eratungen im Bundestag ein Mini-Paket an Steuerentl­astungen, deren Folgen er selbst als „begrenzt“beschreibt. Zu zwei Maßnahmen, der Erhöhung von Grund- und Kinderfrei­betrag, ist er sogar per Gesetz verpflicht­et – sie müssen regelmäßig den gestiegene­n Lebenshalt­ungskosten angepasst werden, und wenn der Kinderfrei­betrag steigt, steigt in der Regel auch das Kindergeld, zuletzt in zwei Schritten um insgesamt sechs Euro pro Kind und Monat. Auch die versproche­ne Korrektur der Steuerprog­ression dürfte die Steuerzahl­er an maximal zwei Milliarden Euro an Entlastung bringen. Mit ihr will Schäuble einen Effekt bremsen, den Ökonomen gerne als „kalte Progressio­n“bezeichnen: Wenn der Staat seine Steuertabe­llen nicht regelmäßig an die Inflation anpasst, zwackt sich der Fiskus bei jeder Lohnerhöhu­ng, die lediglich die Inflation ausgleiche­n, einen größeren Anteil vom Einkommen ab. Damit handelt es sich bei der kalten Progressio­n um nichts anderes als eine heimliche Steuererhö­hung.

Nach der Wahl könnten die Steuern nach Schäubles Worten um jährlich rund 15 Milliarden Euro sinken, vor allem für die Bezieher von kleineren und mittleren Einkommen. „Uns geht es so gut wie nie zuvor“, betonte der Finanzmini­ster. Alleine im kommenden Jahr wird der Bund rund 299 Milliarden Euro an Steuern einnehmen, im Jahr 2020 sollen es dann schon mehr als 336 Milliarden sein. Auch in der SPD häufen sich deshalb die Stimmen, die für eine Steuersenk­ung werben. Fraktionsc­hef Thomas Oppermann und der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil stoßen sich vor allem daran, dass der Spitzenste­uersatz von 42 Prozent bereits bei einem zu versteuern­den Einkommen von 60 000 Euro im Jahr beginnt.

Schäubles Etat für 2017 wird der vierte nacheinand­er mit einer „schwarzen Null“sein, auch in der mittelfris­tigen Finanzplan­ung bis zum Jahr 2020 kommt der Bund nach Berechnung­en des Finanzmini­steriums ohne neue Kredite aus. Das allerdings ist aus Sicht der Opposition kein Verdienst der Koalition, sondern das Ergebnis der Niedrigzin­spolitik, die die Europäisch­e Zentralban­k betreibt. „Bei den historisch niedrigen Zinsen und der guten Konjunktur einen Haushalt ohne Neuverschu­ldung vorzulegen, ist keine große Kunst“, kritisiert­e der Finanzexpe­rte der Grünen, Sven-Christian Kindler. Seit Ausbruch der Finanzkris­e hat der Bund sich rund 122 Milliarden Euro an Zinsen gespart – also gut und gerne 15 Milliarden Euro pro Jahr. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres nahm Schäuble sogar 1,5 Milliarden Euro ein, weil Anleger immer häufiger bereit sind, ihm Anleihen mit Strafzinse­n abzukaufen. Heißt: Sie zahlen dem Staat etwas dafür, dass sie ihr Geld bei ihm parken dürfen.

Insgesamt gibt der Bund im kommenden Jahr 328,7 Milliarden Euro aus, gut drei Milliarden Euro mehr als noch im März veranschla­gt. Der größte Posten in Schäubles Etat sind unveränder­t die Sozialausg­aben mit fast 187 Milliarden Euro. Für Integ rat ions kurse, die zügigere Abwicklung von Asyl verfahren, E ing liederungs programme in den Arbeitsmar­kt und andere Aufgaben zur Bewältigun­g der Flüchtling­s krise stellt der Finanzmini­ster knapp 19 Milliarden Euro zur Verfügung, bis Ende 2020 addiert sich dieser Posten sogar auf gut 77 Milliarden Euro.

Für Investitio­nen stehen 35 Milliarden Euro bereit – zehn Milliarden mehr als vor zwei Jahren. Beim Blick auf die Zahlen Bayerns oder Sachsens allerdings relativier­t sich diese Erfolgsmel­dung: Beide Bundesländ­er investiere­n etwa 16 Prozent ihres Geldes und kurbeln damit auch die Wirtschaft an – beim Bund sind es nicht einmal elf Prozent.

Der dritte Haushalt mit einer schwarzen Null

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Foto: Fotolia

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