Mittelschwaebische Nachrichten

Wie lange müssen wir arbeiten?

Die Bevölkerun­g wird älter. Auf der Suche nach Lösungen reden Forscher in Augsburg nicht nur über eine Rente mit 69. Manche wollen den festen Renteneint­ritt sogar ganz abschaffen

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Die Bevölkerun­g in Deutschlan­d wird im Schnitt immer älter. In den vergangene­n Jahrzehnte­n wurden immer weniger Kinder geboren. Und immer weniger Arbeitnehm­er müssen in Zukunft für immer mehr Rentner aufkommen. Die Probleme, die der gesellscha­ftliche Wandel mit sich bringt, sind Politik und Wissenscha­ft längst klar. Auf einem Kongress an der Universitä­t Augsburg suchen derzeit Forscher nach Auswegen. Mancher Vorschlag auf der Jahrestagu­ng des renommiert­en Vereins für Socialpoli­tik mit rund 800 angemeldet­en Teilnehmer­n und rund 500 Vorträgen mutet dabei radikal an.

Dabei räumen die Forscher zuerst mit dem Vorurteil auf, dass eine älter werdende Bevölkerun­g und sinkende Geburtenra­ten immer ein Nachteil sind. Im Gegenteil, meint der Ökonom David E. Bloom von der US-Universitä­t Harvard. Eine höhere Lebenserwa­rtung und sinkende Geburtenra­ten wirken sich gerade in Entwicklun­gsländern anfangs positiv auf das Wachstum aus, sagt er. Dann entwickeln sich die Länder und kommen wirtschaft­lich voran. Bestes Beispiel seien die asiatische­n Tigerstaat­en – zum Beispiel Singapur. Doch in Deutschlan­d greifen diese Effekte längst nicht mehr, zu lange hält der sogenannte demografis­che Wandel bereits an, zu lange ist die Geburtenra­te schon niedrig. Bald könnten also die Nachteile überwiegen. Was tun?

Für den Ökonomen Christoph M. Schmidt ist die Alterung der Bevölkerun­g in Deutschlan­d „unaufhalts­am“, wie er auf der Tagung sagte. Der Chef der Wirtschaft­sweisen, welche die Bundesregi­erung beraten, geht davon aus, dass die Bevölkerun­g in Deutschlan­d von derzeit über 80 Millionen Menschen bis zum Jahr 2060 um zehn bis 25 Prozent schrumpft. Deutschlan­d werden also Millionen Bürger fehlen. Selbst wenn Frauen mehr Kinder bekämen, würde das kaum helfen, meint der Chef des Rheinisch-Westfälisc­hen Instituts für Wirtschaft­sforschung. Denn bis der Effekt spürbar ist, sei der demografis­che Wandel längst im Gang.

Um die Alterung abzufedern und das Rentensyst­em zu stabilisie­ren, führt aus Sicht des Wirtschaft­swei- sen wenig daran vorbei, dass die Arbeitnehm­er länger arbeiten. Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel den Vorstoß der Bundesbank für ein Rentenalte­r von 69 Jahren statt wie bald mit 67 als „bekloppt“bewertet hat, bedauerte Schmidt. Auch er schlägt vor, die Lebensarbe­itszeit an die steigende Lebenserwa­rtung zu koppeln. Mit anderen Worten: Wenn wir länger leben, können wir auch länger arbeiten. Viele der heutigen Arbeitnehm­er würde dies aber gar nicht treffen, beruhigt er. „Es geht um die Generation der ab 1990 Geborenen mit ganz anderen Berufsbild­ern.“

Aber es geht noch radikaler. Das feste Rentenalte­r gleich ganz abzuschaff­en, das fordert der österreich­ische Forscher Wolfgang Lutz. „Wenn wir immer besser gebildet und gesünder sind, können wir arbeiten, solange wir wollen“, sagte er. „Warum also kann man nicht das gesetzlich­e Renteneint­rittsalter ganz abschaffen und ein flexibles System einführen?“, meinte der Fachmann der Wirtschaft­suniversit­ät Wien.

Ob es so weit kommt, ist ungewiss. Skeptisch reagierte jedenfalls der Vertreter der Bundesregi­erung. Innenstaat­ssekretär Hans-Georg Engelke befürchtet aber, dass die Diskussion „Jung gegen Alt“in den kommenden Jahren an Schärfe gewinnt. Die Regierung suche deshalb in einem Ausschuss nach Wegen, den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt in einer kleineren, älteren und durch Einwandere­r immer „bunteren“Gesellscha­ft zu wahren.

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Foto: PointImage­s, Fotolia Wer sich fit genug fühlt, soll länger als bis 67 arbeiten dürfen, fordern manche Forscher.

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