Mittelschwaebische Nachrichten
Wie lange müssen wir arbeiten?
Die Bevölkerung wird älter. Auf der Suche nach Lösungen reden Forscher in Augsburg nicht nur über eine Rente mit 69. Manche wollen den festen Renteneintritt sogar ganz abschaffen
Augsburg Die Bevölkerung in Deutschland wird im Schnitt immer älter. In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer weniger Kinder geboren. Und immer weniger Arbeitnehmer müssen in Zukunft für immer mehr Rentner aufkommen. Die Probleme, die der gesellschaftliche Wandel mit sich bringt, sind Politik und Wissenschaft längst klar. Auf einem Kongress an der Universität Augsburg suchen derzeit Forscher nach Auswegen. Mancher Vorschlag auf der Jahrestagung des renommierten Vereins für Socialpolitik mit rund 800 angemeldeten Teilnehmern und rund 500 Vorträgen mutet dabei radikal an.
Dabei räumen die Forscher zuerst mit dem Vorurteil auf, dass eine älter werdende Bevölkerung und sinkende Geburtenraten immer ein Nachteil sind. Im Gegenteil, meint der Ökonom David E. Bloom von der US-Universität Harvard. Eine höhere Lebenserwartung und sinkende Geburtenraten wirken sich gerade in Entwicklungsländern anfangs positiv auf das Wachstum aus, sagt er. Dann entwickeln sich die Länder und kommen wirtschaftlich voran. Bestes Beispiel seien die asiatischen Tigerstaaten – zum Beispiel Singapur. Doch in Deutschland greifen diese Effekte längst nicht mehr, zu lange hält der sogenannte demografische Wandel bereits an, zu lange ist die Geburtenrate schon niedrig. Bald könnten also die Nachteile überwiegen. Was tun?
Für den Ökonomen Christoph M. Schmidt ist die Alterung der Bevölkerung in Deutschland „unaufhaltsam“, wie er auf der Tagung sagte. Der Chef der Wirtschaftsweisen, welche die Bundesregierung beraten, geht davon aus, dass die Bevölkerung in Deutschland von derzeit über 80 Millionen Menschen bis zum Jahr 2060 um zehn bis 25 Prozent schrumpft. Deutschland werden also Millionen Bürger fehlen. Selbst wenn Frauen mehr Kinder bekämen, würde das kaum helfen, meint der Chef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Denn bis der Effekt spürbar ist, sei der demografische Wandel längst im Gang.
Um die Alterung abzufedern und das Rentensystem zu stabilisieren, führt aus Sicht des Wirtschaftswei- sen wenig daran vorbei, dass die Arbeitnehmer länger arbeiten. Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel den Vorstoß der Bundesbank für ein Rentenalter von 69 Jahren statt wie bald mit 67 als „bekloppt“bewertet hat, bedauerte Schmidt. Auch er schlägt vor, die Lebensarbeitszeit an die steigende Lebenserwartung zu koppeln. Mit anderen Worten: Wenn wir länger leben, können wir auch länger arbeiten. Viele der heutigen Arbeitnehmer würde dies aber gar nicht treffen, beruhigt er. „Es geht um die Generation der ab 1990 Geborenen mit ganz anderen Berufsbildern.“
Aber es geht noch radikaler. Das feste Rentenalter gleich ganz abzuschaffen, das fordert der österreichische Forscher Wolfgang Lutz. „Wenn wir immer besser gebildet und gesünder sind, können wir arbeiten, solange wir wollen“, sagte er. „Warum also kann man nicht das gesetzliche Renteneintrittsalter ganz abschaffen und ein flexibles System einführen?“, meinte der Fachmann der Wirtschaftsuniversität Wien.
Ob es so weit kommt, ist ungewiss. Skeptisch reagierte jedenfalls der Vertreter der Bundesregierung. Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke befürchtet aber, dass die Diskussion „Jung gegen Alt“in den kommenden Jahren an Schärfe gewinnt. Die Regierung suche deshalb in einem Ausschuss nach Wegen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer kleineren, älteren und durch Einwanderer immer „bunteren“Gesellschaft zu wahren.