Mittelschwaebische Nachrichten
Die Spitzen der Experten
Jens Lehmann hat sich mit seiner Götze-Kritik den Ärger Löws zugezogen. Freunde waren beide noch nie
Augsburg Das Verhältnis zwischen Jens Lehmann und Joachim Löw war noch nie besonders freundschaftlich. Auch im Sommermärchen 2006, mit Lehmann als Nummer 1 im Tor und Löw als Assistent von Jürgen Klinsmann, war es eher professionell. Später, als Löw Bundestrainer wurde und er den damals 38-jährigen Lehmann durch einen jüngeren Torhüter ersetzen wollte, kippte die Beziehung. Lehmann räumte das Tor nur widerwillig. Als Löw bereits mit Enke, Adler und Neuer experimentierte, brachte sich Lehmann wieder ins Spiel. Bis der Bundestrainer grantig wurde: „Jens Lehmann ist kein Thema“, zog er einen Schlussstrich unter das Thema.
So schlecht aber wie nach dem deutschen 3:0-Sieg gegen Norwegen war das Verhältnis der beiden noch nie. Ort des jüngsten eiszeitlichen Treffens war das RTL-Fernsehstudio. Während Lehmann sprach, blickte Löw eine Armlänge neben ihm demonstrativ geradeaus.
Was war geschehen? RTL-Experte Lehmann hatte Mario Götze deutlich kritisiert. „Ich habe keinen Sprint gesehen, ich habe nichts gesehen. Wenn andere reinkommen…, die tun was. Bei Mario Götze habe ich schon seit längerem nicht mehr das Gefühl“, kanzelte der 46-Jährige den Dortmunder ab.
Lehmann ist bekannt für klare Ansagen. Das hat ihm schon als Torhüter bei Schalke, Dortmund oder dem FC Arsenal häufig Kritik eingetragen. Auch deshalb hat ihn RTL engagiert. Der Moderator, im vorliegenden Fall Florian König, soll die Gespräche lenken, der Experte soll Hintergründe und Urteile liefern. Das ist der immer weiter um sich greifende Trend für Sportberichterstattung im Fernsehen. Das gilt nicht nur für Fußball. Viele ehemalige Spitzenathleten hoffen auf einen Job vor der Kamera. Je größer der Name, desto besser die Aussichten. Es geht für die Sender um Aufmerksamkeit und Markenbildung. Rhetorische oder gar journalistische Kompetenzen sind zunächst nachrangig. Eine fundierte Ausbildung besitzt kaum jemand. Wichtiger ist die Vorstellung, dass Experten wie Lehmann noch den engen Kontakt zu Trainern und Spielern haben.
Tatsächlich sind sie ähnlich weit davon entfernt wie die Zuschauer. Bei aller deutlichen Kritik, wie sie der abgetretene Altmeister Günter Netzer im Gespann mit Gerhard Delling zelebriert hat, ist die verblümte Schonung einzelner Spieler unausgesprochene Regel. Wer dagegen verstößt, wie vor etlichen Jahren Mehmet Scholl mit seiner Spitze gegen Mario Gomez („bewegt sich so wenig, dass man Sorge hat, er liegt sich wund“), bekommt heftig Gegenwind.
Mag die Öffentlichkeit dem Kritiker wie im Fall Götze inhaltlich auch zustimmen, die Form gefällt selten. Dann formiert sich der DFB zur Rache. Vorneweg der Bundestrainer. Löw hatte Götze gegen Finnland und Norwegen nominiert, obwohl BVB-Trainer Thomas Tuchel den Dortmund-Rückkehrer für Einsätze bei den Schwarz-Gelben noch nicht als ausreichend fit bezeichnet hatte. Macht Löw die Nationalelf wieder einmal zum Übungsfeld für einen Problemspieler? Ein Vorwurf, dem der Bundestrainer schon häufig ausgesetzt war, wenn er Bankdrücker aus ihren Vereinen in die DFB-Auswahl berufen hat. Auch bei Lehmann schwingt er mit.
Löw aber reagiert nicht darauf. Es ist Strategie des mediengeschulten Bundestrainers, Kritik der TVExperten Kahn, Scholl oder Lehmann ins Leere laufen zu lassen, direkte Antworten zu vermeiden. Also reagiert er erst auf Nachfrage des Moderators zur Leistung Götzes: „Es ist offensichtlich, dass er ein bisschen Zeit braucht …, um wieder das zu bringen, was man von ihm erwartet.“Und Götze selbst? Fand die Kritik „interessant“. Auch er ist im Umgang mit Medien geschult.