Mittelschwaebische Nachrichten
Von Schäubles Steuerplänen hat die Union nicht viel
Deutschland geht es gut, das ja. Die nächste Wahl aber entscheiden keine höheren Freibeträge. Wird sie zu einem Plebiszit über die Flüchtlingspolitik?
Vertrauen, heißt es in der Werbung, ist der Anfang von allem. Es zu verspielen, kann Freundschaften kosten, Karrieren ruinieren und Kanzlerschaften ins Wanken bringen. Es wieder aufzubauen, dauert gefühlte Ewigkeiten, weil mit dem Vertrauensbruch ja etwas zu gären beginnt – ein Sud aus enttäuschten Erwartungen, aus persönlichem Groll, diffusen Ängsten und immer neuen Zweifeln.
Aus diesem Sud fischt die Alternative für Deutschland inzwischen Wahlergebnisse von 20 Prozent und mehr. Ihr Erfolg gründet auf verloren gegangenem Vertrauen und dem Gefühl vieler Menschen, dass die Flüchtlingskrise den anderen Parteien über den Kopf gewachsen ist. Eine Koalition, die vor allem mit sich selbst beschäftigt ist, eine Opposition, die keine politischen Gegenentwürfe formuliert, sondern die Tore am liebsten noch weiter öffnen würde, und mittendrin eine Kanzlerin, die keine Selbstzweifel kennt: Falls die Haushaltsdebatte des Bundestages, seit jeher die Bühne für eine Generalabrechnung mit der Arbeit der Regierung, gestern jemandem genutzt hat – dann der AfD. Ein Jahr vor der Wahl räumt Angela Merkel zwar ein, dass das Vertrauen der Wähler die wichtigste Währung in der Politik ist, aber sie unternimmt nichts, um eben jenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Wolfgang Schäubles Versuch, mit der Aussicht auf eine winzige Steuersenkung wenigstens etwas Stimmung für die Union zu machen, wirkt vor diesem Hintergrund rührend hilflos – zumal der Finanzminister ja kraft Gesetz dazu verpflichtet ist, den Grund- und den Kinderfreibetrag anzuheben, wenn die Preise steigen. Erfolgsmeldungen wie die von den niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit einem Vierteljahrhundert, den kräftig gestiegenen Renten und dem vierten ausgeglichenen Haushalt hintereinander dürften auf den Ausgang der Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres keinen allzu großen Einfluss haben. Sie wird, wenn nicht alles täuscht, zu einem Plebiszit über die deutsche Flüchtlingspolitik. Auf der einen Seite die etablierten Parteien, die mit Ausnahme der CSU die liberale Linie der Kanzlerin verteidigen – und auf der anderen Seite die AfD, deren Anziehungskraft inzwischen weit ins bürgerliche Milieu hinein reicht und die am Ende nur davon profitiert, wenn alle anderen mit dem Finger auf sie zeigen. In der Rolle der Paria fühlt eine Frau wie Frauke Petry sich erkennbar wohl.
Halt und Orientierung müsse die Politik den Menschen geben, findet die Kanzlerin. Im Moment jedoch ist sie selbst es, die Halt und Orientierung verliert. Ihre Koalition kann noch so viel Geld für Integrationskurse, schnellere Asylverfahren oder Eingliederungshilfen in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen – solange sie nicht genauer darauf achtet, wer da alles ins Land kommt, wer bleiben kann und wer wieder gehen muss, wird die Union die vielen zur AfD geflohenen Wähler nicht zurückgewinnen.
19 Milliarden Euro hat Schäuble alleine im kommenden Jahr für die Bewältigung der Flüchtlingskrise veranschlagt. Eine große, starke Volkswirtschaft wie die deutsche kann das verkraften, keine Frage. Was aber, wenn die Mehrheit der Flüchtlinge auf Jahre oder Jahrzehnte auf staatlicher Fürsorge angewiesen sein wird? Wenn Beschäftigte mit immer höheren Kassenbeiträgen für deren Gesundheitsversorgung bezahlen müssen? Wenn die Wirtschaft in die nächste Rezession schlittert? Im Streit um Angela Merkels Flüchtlingspolitik geht es keineswegs nur um kulturelle und religiöse Differenzen, um Burkas und Burkinis, es geht auch um handfeste materielle Fragen.
Deutschland werde Deutschland bleiben, mit allem, was uns lieb und teuer ist, hat die Kanzlerin versprochen. Wie teuer – das sagt sie nicht.
Es geht nicht nur um Burkas und Burkinis