Mittelschwaebische Nachrichten

Von Schäubles Steuerplän­en hat die Union nicht viel

Deutschlan­d geht es gut, das ja. Die nächste Wahl aber entscheide­n keine höheren Freibeträg­e. Wird sie zu einem Plebiszit über die Flüchtling­spolitik?

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Vertrauen, heißt es in der Werbung, ist der Anfang von allem. Es zu verspielen, kann Freundscha­ften kosten, Karrieren ruinieren und Kanzlersch­aften ins Wanken bringen. Es wieder aufzubauen, dauert gefühlte Ewigkeiten, weil mit dem Vertrauens­bruch ja etwas zu gären beginnt – ein Sud aus enttäuscht­en Erwartunge­n, aus persönlich­em Groll, diffusen Ängsten und immer neuen Zweifeln.

Aus diesem Sud fischt die Alternativ­e für Deutschlan­d inzwischen Wahlergebn­isse von 20 Prozent und mehr. Ihr Erfolg gründet auf verloren gegangenem Vertrauen und dem Gefühl vieler Menschen, dass die Flüchtling­skrise den anderen Parteien über den Kopf gewachsen ist. Eine Koalition, die vor allem mit sich selbst beschäftig­t ist, eine Opposition, die keine politische­n Gegenentwü­rfe formuliert, sondern die Tore am liebsten noch weiter öffnen würde, und mittendrin eine Kanzlerin, die keine Selbstzwei­fel kennt: Falls die Haushaltsd­ebatte des Bundestage­s, seit jeher die Bühne für eine Generalabr­echnung mit der Arbeit der Regierung, gestern jemandem genutzt hat – dann der AfD. Ein Jahr vor der Wahl räumt Angela Merkel zwar ein, dass das Vertrauen der Wähler die wichtigste Währung in der Politik ist, aber sie unternimmt nichts, um eben jenes Vertrauen zurückzuge­winnen.

Wolfgang Schäubles Versuch, mit der Aussicht auf eine winzige Steuersenk­ung wenigstens etwas Stimmung für die Union zu machen, wirkt vor diesem Hintergrun­d rührend hilflos – zumal der Finanzmini­ster ja kraft Gesetz dazu verpflicht­et ist, den Grund- und den Kinderfrei­betrag anzuheben, wenn die Preise steigen. Erfolgsmel­dungen wie die von den niedrigste­n Arbeitslos­enzahlen seit einem Vierteljah­rhundert, den kräftig gestiegene­n Renten und dem vierten ausgeglich­enen Haushalt hintereina­nder dürften auf den Ausgang der Bundestags­wahl im Herbst nächsten Jahres keinen allzu großen Einfluss haben. Sie wird, wenn nicht alles täuscht, zu einem Plebiszit über die deutsche Flüchtling­spolitik. Auf der einen Seite die etablierte­n Parteien, die mit Ausnahme der CSU die liberale Linie der Kanzlerin verteidige­n – und auf der anderen Seite die AfD, deren Anziehungs­kraft inzwischen weit ins bürgerlich­e Milieu hinein reicht und die am Ende nur davon profitiert, wenn alle anderen mit dem Finger auf sie zeigen. In der Rolle der Paria fühlt eine Frau wie Frauke Petry sich erkennbar wohl.

Halt und Orientieru­ng müsse die Politik den Menschen geben, findet die Kanzlerin. Im Moment jedoch ist sie selbst es, die Halt und Orientieru­ng verliert. Ihre Koalition kann noch so viel Geld für Integratio­nskurse, schnellere Asylverfah­ren oder Einglieder­ungshilfen in den Arbeitsmar­kt zur Verfügung stellen – solange sie nicht genauer darauf achtet, wer da alles ins Land kommt, wer bleiben kann und wer wieder gehen muss, wird die Union die vielen zur AfD geflohenen Wähler nicht zurückgewi­nnen.

19 Milliarden Euro hat Schäuble alleine im kommenden Jahr für die Bewältigun­g der Flüchtling­skrise veranschla­gt. Eine große, starke Volkswirts­chaft wie die deutsche kann das verkraften, keine Frage. Was aber, wenn die Mehrheit der Flüchtling­e auf Jahre oder Jahrzehnte auf staatliche­r Fürsorge angewiesen sein wird? Wenn Beschäftig­te mit immer höheren Kassenbeit­rägen für deren Gesundheit­sversorgun­g bezahlen müssen? Wenn die Wirtschaft in die nächste Rezession schlittert? Im Streit um Angela Merkels Flüchtling­spolitik geht es keineswegs nur um kulturelle und religiöse Differenze­n, um Burkas und Burkinis, es geht auch um handfeste materielle Fragen.

Deutschlan­d werde Deutschlan­d bleiben, mit allem, was uns lieb und teuer ist, hat die Kanzlerin versproche­n. Wie teuer – das sagt sie nicht.

Es geht nicht nur um Burkas und Burkinis

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