Mittelschwaebische Nachrichten
„Ich habe meine Propaganda nie selbst geglaubt“
Stefan Petzner war lange engster Vertrauter und Wahlkampfmanager von Jörg Haider. Heute berät der Österreicher Gegner der FPÖ und entlarvt die Methoden der Rechtspopulisten
Sie waren jahrelang einer der engsten Vertrauten des österreichischen Populisten Jörg Haider. Heute stehen Sie der FPÖ sehr kritisch gegenüber und haben ein Buch über Strategien gegen Rechtspopulisten geschrieben. Überrascht Sie der Erfolg der AfD? Stefan Petzner: Nein, ich bin verwundert über die Hysterie, die derzeit in Deutschland herrscht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich hier eine eindeutig rechtspopulistische Partei etabliert, die teilweise auch rechtsextreme Tendenzen hat. Dieser Trend wird sich fortsetzen, auch bei der Bundestagswahl. Wenn es 2017 noch mal zu einer Großen Koalition kommt, mit der AfD als lautstärkster Oppositionspartei, wäre das das Schlimmste, was den etablierten Parteien passieren könnte.
Verschwindet die AfD wieder, wenn sich die Flüchtlingskrise entspannt? Petzner: Das ist ein Irrglaube. Der entscheidende Punkt für den Erfolg der AfD ist, dass in Deutschland aus einem historischen Komplex heraus über 20 Jahre lang die Probleme im Bereich Zuwanderung und Integration negiert und ignoriert wurden. Wer diese Probleme thematisiert hat, wurde automatisch in die rechte Ecke gestellt. Das rächt sich jetzt. Die Flüchtlingskrise war der berühmte Tropfen, nun bricht die aufgestaute Proteststimmung voll auf.
Ist der Erfolg der AFD mit dem der FPÖ in Österreich vergleichbar? Petzner: Die AfD und die FPÖ sind Zwillinge. Sie sind vom Stil, der Rhetorik, ihrer Kampagnenführung und auch bei den Inhalten fast deckungsgleich. Bei der FPÖ begann das in Österreich Mitte der achtziger Jahre mit Haider. Inzwischen sind die Rechtspopulisten ein realpolitischer Faktor im Parlament und führen in Umfragen mit zehn Prozent Vorsprung. Deutschland erlebt das Gleiche mit Verzögerung. Es ist spannend zu sehen, wie hier die etablierten Parteien im Umgang mit der AfD eins zu eins die Fehler wiederholen, wie sie in Österreich mit der FPÖ gemacht wurden.
Welche Fehler machen die Parteien im Umgang mit der AfD? Petzner: Etwas Besseres als die Reaktionen von CDU und SPD auf die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern konnte der AfD gar nicht passieren. Die etablierten Parteien sagen, das Wahlergebnis sei eine Katastrophe, und machen dann genauso weiter wie bisher. Das ist absolut das falsche Signal. In Bayern hat Ministerpräsident Horst Seehofer mit seiner Kritik recht, dass die Menschen die Politik nicht mehr verstehen und die CDU es verlernt hat, die Menschen mit ihrer Politik mitzunehmen.
Welche Rolle spielt Fremdenfeindlichkeit bei den Wahlergebnissen? Petzner: Rechtspopulistische Parteien arbeiten extrem mit Feindbil- dern. Dafür bietet sich alles Fremde an. Doch dahinter steckt ein Spiel mit vorhandenen Ängsten breiter Schichten: Verlustängsten. Ängste vor dem eigenen Abstieg, um persönlichen Wohlstand, vor Verlust des Arbeitsplatzes, vor Armut im Alter und so weiter. Für all diese Ängste bieten Rechtspopulisten Zuwanderer und Flüchtlinge als Projektionsflächen an. Sie spielen damit und bieten den Leuten ein Ventil für Frust, Wut und Schuldzuweisungen. Es geht also um soziale Fragen, um die ungelöste Verteilungs-Frage.
Aber in Deutschland ist die wirtschaftliche Lage so gut wie lange nicht... Petzner: Deutschland hat, oberflächlich betrachtet, ein Jobwunder und niedrige Arbeitslosigkeit. Auch USPräsident Barack Obama hat die Arbeitslosigkeit gesenkt. Doch warum hat Donald Trump so viel Erfolg? Deutschland, Europa und die USA verzeichnen seit vielen Jahren eine negative Reallohnentwicklung – gerade auch beim Mittelstand. Unter dem Strich haben sehr viele Menschen immer weniger in der Tasche. Es geht nach unten, das löst diese Verlustängste aus. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit ist die ungelöste Hauptfrage unserer Zeit, die zu Spaltungstendenzen führt: In Großstädten wie Köln oder Berlin gibt es inzwischen richtige Gettos. Da hat man lange weggeschaut, da sind Parallelgesellschaften entstanden. Die Menschen erleben im Unterschied zur Politik diese Probleme im täglichen Leben. Sie haben das lange stillschweigend ertragen, doch mit der Flüchtlingskrise explodieren diese Probleme um ein Vielfaches.
Was lässt sich gegen einen Aufstieg von Rechtspopulisten tun? Petzner: Zunächst muss die Politik die Probleme offensiv ansprechen, und dann auch lösen. Sich kümmern! Kanzlerin Angela Merkel bleibt genau das schuldig. Sie sagt immer nur: „Wir schaffen das.“Aber sie sagt nicht, wie. Sie erfüllt genau das von der AfD geschürte Vorurteil, die da oben in Berlin kümmern sich nicht um die da unten. Seehofer macht das besser und spricht die Probleme offen an. Ohne den Kurs der CSU stünde die AfD in Bayern sehr viel stärker da. Es wäre falsch, den Stil der AfD zu kopieren, man muss die sachliche Auseinandersetzung suchen. Weniger mit der Partei als mit ihren Themen. Man muss den Wählern klarmachen, Rechtspopulisten bieten keine Lösungen und haben keinen Gestaltungswillen, geschweige denn die Kompetenz und das Personal.
Sie kritisieren, dass zu viel über die AfD geredet wird. Ist das so? Petzner: Nehmen Sie die jüngste Wahlberichterstattung: Da ging es nur um die AfD. Das war ein Fest für die Partei. Oder als ein Herr Höcke in einer Talkshow ein Deutschland-Fähnchen über seinen Stuhl hängte, da haben die Medien tagelang darüber geschrieben. Sie fallen genau auf die Taktik der Rechtspopulisten rein, mit gezielten Provokationen und Tabubrüchen möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren. Dazu gehört auch die Koketterie mit rechtsextremen Positionen.
Sie haben dieses Spiel als Wahlkampfchef jahrelang selbst betrieben... Petzner: Ich habe mich immer als Liberalen gesehen. Aber es war mein Job als Wahlkampfmanager, Parteisprecher und Spindoctor, Wahlen zu gewinnen. Und wir haben mit Haider alle Wahlen gewonnen. Auch ich habe damals Slogans gemacht, die mit der nationalsozialistischen Vergangenheit kokettiert haben. Aber anstößig wäre es für mich nur gewesen, wenn ich meiner eigenen Propaganda geglaubt hätte. Das habe ich in dieser Hinsicht nie getan. Ich habe diese Techniken nicht aus eigener Überzeugung angewandt, sondern weil ich wusste, dass sie beim Wähler funktionieren. Das klingt kalt. Aber um zu gewinnen, galt für mich, der Zweck heiligt die Mittel. Wahlkampf ist wie Krieg, und der ist nie sauber und anständig. Heute mache ich solche Sachen nicht mehr.
Sie wurden bekannt, als Sie bei Haiders Tod von Ihrem „Lebensmensch“sprachen. Heute hassen Sie das Wort, weil es Ihnen viel Ärger eingebracht hat... Petzner: Das Wort ist in einer emotionalen Ausnahmesituation entstanden, in der ich einmal nicht funktioniert habe und mir dadurch sehr geschadet habe. Ich würde es niemals wiederholen und muss damit leben. Aber dafür ist es 2008 in Österreich zum Wort des Jahres gewählt worden, und es wurde sogar in den Duden aufgenommen. Das muss man auch erst mal schaffen.
Interview: Michael Pohl
Zur Person Stefan Petzner war von 2004 bis zum Tod Jörg Haiders 2008 dessen Wahlkampfchef und Berater. Heute hat der 35-Jährige eine PR-Agentur und berät unter anderem die liberale Partei „Neos“. 2015 erschien sein Buch: „Haiders Schatten: An der Seite von Europas erfolgreichstem Rechtspopulisten.“