Mittelschwaebische Nachrichten

Fast tausend Jahre Geschichte ruhen auf diesen Pfeilern

Die einstige Abteikirch­e und heutige Pfarrkirch­e St. Johannes Evangelist hat unruhige Zeiten erlebt und bleibende Werte geschaffen

- VON STEFAN REINBOLD

„Von den Holzhey-Orgeln ist es die mit den meisten Originalte­ilen.“Ewald Schmid Organist und Altbürgerm­eister „Die Pfarrei war damals im Streit um die Kreuzigung­sgruppe gespalten.“Ewald Schmid Organist und Altbürgerm­eister

Ursberg Ewald Schmid läuft die steile Treppe zur Empore noch recht schnell hinauf. Für den 84-Jährigen ist es ein altbekannt­er Weg. Seit 54 Jahren spielt er in der Kirche St. Johannes Evangelist jeden Sonntag die Orgel. Ein Prunkstück. Johann Nepomuk Holzhey, einer der bedeutends­ten Orgelbauer des süddeutsch­en Barocks hat das ehrfurchtg­ebietende Instrument 1775 unter dem Dach am westlichen Ende des Mittelschi­ffs eingebaut. Im Februar 1776 hat er sein Werk vollendet. Ein erhabenes Gefühl für Schmid, am Spieltisch zu sitzen und in die Tasten zu greifen. „Von den HolzheyOrg­eln ist es die mit den meisten Originalte­ilen“, schwärmt Schmid. Das Besondere an der Orgel sei, dass man die Töne ganz unterschie­dlich gestalten kann. 26 Register stehen dem Organisten zur Verfügung. Vom wuchtig brummenden Prinzipalb­ass bis zum zarten Flöten der Schalmey. Schmid bedauert nur, dass er „seine Orgel“höchst selten als Zuhörer erlebt. Vom Spieltisch aus sei das Klangerleb­nis ein ganz anderes, versichert er. Besonders gern erinnert sich Schmid daher an das große Konzert mit den Augsburger Domsingkna­ben, mit dem die 1999 sanierte Orgel wieder eingeweiht worden war. Zu der Orgel pflegt Schmid ein besonderes Verhältnis. Frisch verhei- ratet, war Schmid – damals in der Augsburger Finanzverw­altung tätig – mit seiner Frau nach Stätzling gezogen, als der damalige Pfarrer von Ursberg mit einem besonderen Anliegen an Schmid herangetre­ten war. In der Heimatpfar­rei seiner Frau wurde ein Organist gesucht. Schmid ließ sich breit schlagen und willigte ein. Fast ein ganzes Jahr lang fuhr er jeden Sonntagmor­gen die rund 50 Kilometer von Stätzling nach Ursberg, bis er 1963 endgültig nach Oberrohr zog. Seither ist er der Orgel treu geblieben – auch, weil sich bislang kein Nachfolger aufgetan hat.

Neben der Orgel gibt es in der ehemaligen Klosterkir­che ein weiteres Prunkstück. Die spätromani­sche Kreuzigung­sgruppe aus der Zeit um 1220/30 herum hängt heute, eingerahmt von einem vergoldete­n Metallgerü­st, hoch über den Köpfen der Gemeinde im Chor der Kirche. Die überlebens­großen Holzfigure­n wurden einst als wundertäti­g verehrt und waren lange Zeit Ziel von Wallfahrte­n. Ihr ursprüngli­cher Platz lässt sich nicht mehr rekonstrui­eren. Bekannt ist, dass die Figurengru­ppe aus Kruzifix, Maria und Johannes Evangelist 1663 in eine Feldkapell­e, nahe der jetzigen Ölbergkape­lle auf dem Kloster- friedhof, gebracht wurde. 20 Jahre später wurde sie wieder auf den neuen Kreuzaltar der Klosterkir­che übertragen. Dort wechselte sie mehrfach den Platz, bis sie im Zuge der jüngsten Kirchenren­ovierung in den Jahren 1998 bis 2001, nach kontrovers geführten Diskussion­en, an ihren jetzigen Platz gelangte. „Die Pfarrei war gespalten“, erinnert sich Schmid, der damals Bürgermeis­ter der Gemeinde Ursberg war, an die Situation. Fakten schuf dann der damalige Geistliche Direktor und Pfarrer der Kirche, Monsignore Johann Wagner, der, in Absprache mit dem Bistum, das goldene Gestänge anfertigen und die Figurengru­ppe von der Decke pendeln ließ.

Warum die Diskussion­en damals so hart geführt wurden, erklärt sich vielleicht beim Blick auf die wechselvol­le Geschichte der Kirche.

Graf Werner von Schwabegg und Balzhausen gründete der Überliefer­ung nach 1119 das Kloster Ursberg, das sich 1125 – angeblich durch Vermittlun­g des Ordensgrün­ders, des heiligen Norberts – zum Prämonstra­tenserorde­n bekannte. Die Grabplatte des Edlen liegt heute vor den Stufen zum Chor. In die Gründungsz­eit des Klosters fällt auch der erste, wohl noch relativ bescheiden­e Bau der damaligen Abteikirch­e. 1142 brannte die Kirche nieder und wurde unter dem zweiten Propst des Klosters, Grimo, wieder aufgebaut. 1224 brannte der Schirmvogt Albrecht von Nissen – eine Art Schutzaufs­icht – das Kloster samt Kirche nieder. Unter Aufsicht der Pröpste Burchard und Konrad von Lichtenau wurde der Kern der heute bestehende­n Kirche neu aufgebaut. Es handelte sich dabei wohl um eine dreischiff­ige romanische Basilika aus Sandstein. Unter Abt Wilhelm Sartor wurde 1414 damit begonnen, den Turm, der in romanische­r Zeit offenbar nicht ausgebaut war, zu erhöhen. Die Zeiten blieben allerdings rau. Während des Bauernkrie­ges 1525 verwüstete­n aufständis­che Bauern die Kirche. Lediglich der Turm und die Kreuzgrupp­e blieben unbeschädi­gt. Abt Thomas Mang kümmerte sich um den Wiederaufb­au. Während des Dreißigjäh­rigen Kriegs brannten die Schweden 1632 die Kirche nieder und plünderten das Kloster. Sie raubten die Turmkuppel samt Blech, Glocken und Turmkreuz. Zwischenze­itlich errichtete­n die Mönche auf dem nahegelege­nen Michelsber­g eine Notkirche, ehe in den Jahren 1667 bis 1670 der Wiederaufb­au der Abteikirch­e in der heutigen Form erfolgte. 1776 wurde die Kirche barockisie­rt. Aus dieser Zeit stammen auch die Fresken und Dekoration­smalereien Jakob Fröschles und Konrad Hubers. 1802 eröffnete ein bayerische­r Beamter den Mönchen, dass ihr Kloster aufgehoben werde. Fast der gesamte Besitz wurde veräußert und die Kirche zur Pfarrkirch­e.

 ?? Fotos: Stefan Reinbold ?? Beim Betreten der Kirche St. Petrus und Johannes Evangelist in Ursberg fällt der Blick auf die spätromani­sche Kreuzigung­sgruppe aus der Zeit um 1220/30. Das Mittelschi­ff der barockisie­rten, ursprüngli­ch romanische­n Basilika ist rund 15 Meter hoch....
Fotos: Stefan Reinbold Beim Betreten der Kirche St. Petrus und Johannes Evangelist in Ursberg fällt der Blick auf die spätromani­sche Kreuzigung­sgruppe aus der Zeit um 1220/30. Das Mittelschi­ff der barockisie­rten, ursprüngli­ch romanische­n Basilika ist rund 15 Meter hoch....
 ??  ?? Beeindruck­end ist die Orgel, die Johann Nepomuk Holzhey 1775/76 baute. Noch heute sind in der mechanisch­en Orgel viele Originalte­ile enthalten.
Beeindruck­end ist die Orgel, die Johann Nepomuk Holzhey 1775/76 baute. Noch heute sind in der mechanisch­en Orgel viele Originalte­ile enthalten.
 ??  ?? Der Turm der Pfarrkirch­e ist mit einer Höhe von 72 Metern weithin sichtbar.
Der Turm der Pfarrkirch­e ist mit einer Höhe von 72 Metern weithin sichtbar.
 ??  ?? Die spätromani­sche Kreuzigung­sgruppe ist das wichtigste Kunstwerk der Kirche.
Die spätromani­sche Kreuzigung­sgruppe ist das wichtigste Kunstwerk der Kirche.
 ??  ?? Ewald Schmid ist auch nach 54 Jahren als Organist noch immer beeindruck­t vom Klang der Holzhey-Orgel.
Ewald Schmid ist auch nach 54 Jahren als Organist noch immer beeindruck­t vom Klang der Holzhey-Orgel.
 ??  ?? Grabplatte des Gründers Werner von Schwabegg (links). Das Deckenfres­ko von Jakob Fröschle zeigt den heiligen Norbert und Mönche bei der Grundstein­legung.
Grabplatte des Gründers Werner von Schwabegg (links). Das Deckenfres­ko von Jakob Fröschle zeigt den heiligen Norbert und Mönche bei der Grundstein­legung.
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