Mittelschwaebische Nachrichten

Seehofer steht vor einem Dilemma mit historisch­er Dimension

Der CSU-Chef kann nur poltern und laut nach einer Kurskorrek­tur rufen. Ein noch härterer Gegenkurs zur CDU würde die Union an den Abgrund bringen

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger-allgemeine.de

Manchmal, wenn man in der Politik in einer Sackgasse steckt, muss man einen Kampf anzetteln, auch wenn man sich nicht sicher ist, ob man ihn gewinnen kann. Denn erst wenn der Kampf im Gang ist und alles in Bewegung gerät, ergibt sich manchmal eine Lösung.

Dieser Regel des römischen Staatsmann­s Cicero – hier zitiert nach dem britischen Autor Robert Harris – folgt CSU-Chef Horst Seehofer im Streit mit der CDU über die Flüchtling­spolitik. Er hat den Streit angezettel­t und befeuert ihn immer wieder aufs Neue, weil er die CSU in der vielleicht gefährlich­sten Zwickmühle ihrer Geschichte stecken sieht. Wie diese Serie von Scharmütze­ln endet, weiß er nicht.

Getrieben ist Seehofer von einer Horrorvisi­on: Dass sich bei der Bundestags­wahl im kommenden Jahr die rechtspopu­listische AfD deutschlan­dweit etablieren und in der Folge ein Jahr später auch die absolute Mehrheit der CSU in Bayern gefährden könnte. Oder mit Blick auf Deutschlan­d: Dass die Union insgesamt das Schicksal der SPD erleiden könnte, die erst durch den Aufstieg der Grünen, dann durch die Abspaltung der Linksparte­i zur 20-plus-x-Prozent-Partei geworden ist.

Doch der Blick auf Deutschlan­d ist aus Perspektiv­e der CSU zweitrangi­g. Ihr könnte, das geben die Parteiober­en in Hintergrun­dgespräche­n jederzeit zu, strategisc­h gar nichts Besseres passieren als eine rot-rot-grüne Regierung in Berlin. Damit nämlich wären ihr im Freistaat wieder 50 plus x Prozent sicher. Die absolute Mehrheit in Bayern wäre betoniert. Die CSU könnte „CSU pur“sein.

Dazu aber wird es, wie die Dinge im Moment liegen, vermutlich nicht kommen. Es droht nicht nur der Einzug der AfD in den Bundestag. Es droht auch eine Fortsetzun­g der Großen Koalition mit der SPD. Und da kann die CSU stänkern und drohen, mahnen und fordern, zetern und warnen, wie sie will. Am Ende sieht sie sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, die Bundesregi­erung gestützt und Kompromiss­e mitgetrage­n zu haben, obwohl sie – zum Beispiel in der Flüchtling­spolitik – eine viel härtere Gangart wollte.

Das ist die Sackgasse, in der Seehofer aktuell steckt. Das Dilemma hat für ihn eine historisch­e Dimension. Er ist überzeugt, dass der Aufstieg der Rechtspopu­listen nur mit einem Kurswechse­l der Bundesregi­erung zu verhindern ist. Sein Kampfwort in diesem Zusammenha­ng lautet: Obergrenze. Er muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die Bundeskanz­lerin, auch wenn sie in der Flüchtling­spolitik nun schon mehrfach Korrekture­n vorgenomme­n hat, ein öffentlich­es Bekenntnis zu einem solchen Kurswechse­l verweigert und eine Obergrenze strikt ablehnt.

Seehofer kann nicht mit Angela Merkel, er kann aber auch nicht ohne sie. Er kann aus seiner Sicht nur laut poltern und ins Land hinaus schreien: Wir wollen eine andere Politik! Doch auch das kann sich auf Dauer abnutzen. Deshalb fügt er, wenn auch noch recht leise, schon seit einiger Zeit hinzu: …zur Not auch ohne Merkel.

Das allerdings ist bisher eine leere Drohung. Von der CDU offen die Ablösung der Kanzlerin zu fordern oder – wenigstens symbolisch – einen eigenen CSU-Kanzlerkan­didaten ins Rennen zu schicken, würde die Union an den Rand des Abgrunds bringen. So tollkühn ist Seehofer dann doch nicht. Er weiß sehr genau: Wenn überhaupt, dann müsste die CDU von sich aus Konsequenz­en ziehen. Er weiß aber auch: In der CDU gibt es aktuell niemanden, der Merkel ersetzen könnte.

Es ist ein Krieg der Nerven. Alles ist in Bewegung. Eine Lösung aber ist nicht in Sicht.

Zur Not ohne Merkel? Das ist eine leere Drohung

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