Mittelschwaebische Nachrichten

„In jedem Fall eine katastroph­ale Situation“

Hunderte Fälle von Kinderehen, die von Flüchtling­en nach Deutschlan­d importiert werden, alarmieren Justiz und Jugendschu­tz-Behörden. Der renommiert­e Rechtsexpe­rte Mathias Rohe erklärt die Probleme und die Rolle des Islams

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Herr Professor Rohe, Sie gelten als einer der wichtigste­n Experten zum Thema deutsches Recht und Islam. In Deutschlan­d sind fast 1500 verheirate­te Kinder und Jugendlich­e registrier­t, die als Flüchtling­e verheirate­t ins Land kamen. 360 Mädchen sind sogar jünger als 14 Jahre. Wie sehr ist der Islam Ursache des Problems der importiert­en Kinderehen? Mathias Rohe: Es hängt meistens ab von streng patriarcha­lisch geprägten Lebensform­en in Großfamili­enverbände­n. Wir finden das nicht nur in bestimmten muslimisch­en Milieus oder bei Jesiden im Irak, sondern auch bei Roma auf dem Balkan. Im hinduistis­chen Indien haben wir das Problem genauso, und zwar massiv. Das zeigt, dass es nicht primär die Religion ist, die schuld ist an diesen Dingen, sondern es sind kulturelle patriarcha­lische Prägungen in Verbindung mit den entspreche­nden Lebensverh­ältnissen. Allerdings finden sich manchmal auch religiöse Stimmen, die das dann noch legitimier­en.

Wie groß sind dabei die Faktoren Armut und Bildung als Mitauslöse­r für Kinderehen? Rohe: Die sind sehr groß. Das wissen wir etwa von syrischen Flüchtling­en, aber auch schon seit längerem aus Ägypten oder anderen Staaten, in denen reiche, alte Araber sich junge Mädchen holen, die dann zwangsverh­eiratet werden. Die Familie hofft, dass es denen dann gut geht – aber vor allem, dass sie selber irgendwie über die Runden kommen. Auch die Bildung ist entscheide­nd: Ich kenne überhaupt keine Minderjähr­igen-Verheiratu­ngen in gebildeten Milieus.

Ab welchem Alter werden die Kinder verheirate­t? Rohe: Manchmal ist das schon kurz nach der Geburt. Das ist dann aber eher ein symbolisch­er Akt und wird später bekräftigt. Traditione­lles islamische­s Familienre­cht setzt das Ehe-Mindestalt­er bei Jungen mit zwölf und bei Mädchen mit neun Jahren an.

Wie sehen diese Kinderehen in der Regel aus. Wie alt sind die Männer? Rohe: Die Ehemänner können Anfang 20 sein, die können aber auch Ende 40 sein oder noch älter. Da gibt es die grauenhaft­esten Konstellat­io- nen. In der Regel wird man davon ausgehen dürfen, dass bei so einer Eheschließ­ung der Mann absolut das Sagen hat und die Frau sich unterzuord­nen hat. Das muss nicht immer in Grausamkei­t enden, ist aber in jedem Fall eine katastroph­ale Situation.

In der Mehrzahl der Fälle geht es um Mädchen. Gibt es auch Kinderehen mit Jungen? Rohe: Bei Jungs sind nicht viele Fälle bekannt. Oft sind es dann beides sehr junge Leute, die man verheirate­t hat, etwa um verwandtsc­haftliche Bindungen zu stärken. Wir wissen auch von Zwangsverh­eiratungen von jungen Männern, bei denen die Familie befürchtet, dass sie dem eigenen Geschlecht zugetan sein könnten, und die damit auf den – in Anführungs­zeichen – „rechten Weg“gebracht werden sollen. Deutlich häufiger sind aber junge Mädchen betroffen.

Wie gehen die verheirate­ten Mädchen oder Jugendlich­en mit der deutschen Haltung zu Kinderehen um? Etwa wenn die deutschen Jugendbehö­rden die Paare trennen oder zumindest unter behördlich­e Betreuung stellen? Rohe: Ich kenne den Fall einer 13-Jährigen, die mit elf Jahren verheirate­t wurde und ein einjährige­s Kind hat. Die will nicht getrennt werden von ihrem Ehemann, der Anfang 20 ist und behauptete, sie sei 17. Oder der Fall vor dem Oberlandes­gericht Bamberg: Die junge Frau dort ist 15 und sperrt sich offenbar gegen alle Hilfsmaßna­hmen des Jugendamte­s in Aschaffenb­urg. Vielleicht nicht, weil das die große Glücksheir­at war, sondern weil diese Menschen für sich keine Option sehen, ein Leben auf eigenen Beinen zu führen.

Wie sollen sich die Behörden in solchen Konfliktfä­llen verhalten? Rohe: Wir brauchen Hilfs- und Aufnahmeei­nrichtunge­n und müssen die Menschen informiere­n über die Gründe, warum wir uns hier für sie interessie­ren und uns einmischen. Dass wir das nicht tun, um die Leute zu drangsalie­ren, sondern um strukturel­le Schwächepo­sitionen auszugleic­hen. Familienre­geln – das ist ein Teil des Problems – werden oft als reine Privatsach­e angesehen, in die sich der Staat nicht einmischt. Und das Problem importiere­n wir mit diesen Fällen.

Welche Regeln gelten in Deutschlan­d? Rohe: Wenn das Mädchen jünger als 14 Jahre alt ist, muss das Paar getrennt werden. Denn wenn die sexuellen Beziehunge­n fortgesetz­t werden, ist das nach unserem Strafrecht eine Straftat. Das muss man den Leuten auch klar kommunizie­ren. In vielen anderen Fällen, in denen die Beteiligte­n älter als 16 Jahre sind, kommt es auf den Einzelfall an. Wir haben da eine gewisse Flexibilit­ät im Strafrecht, durch die man Rücksicht nehmen will auf Jugendlich­e, die möglicherw­eise doch selbst- bestimmt und freiwillig zusammenko­mmen.

Was ist bei dem Thema nötig? Ist der Ruf vieler Politiker nach schärferen Gesetzen im Fall der Kinderehen berechtigt oder reichen die bisherigen Verbote aus? Viele wollen das Heiratsalt­er generell auf 18 Jahre hochsetzen. Rohe: Bisher waren es Einzelfäll­e, in denen man sagen konnte: Das sollen Gerichte entscheide­n. Mittlerwei­le sind aber die Verwaltung­en völlig überforder­t mit diesen Fällen. Wir brauchen daher dringend klare, leicht handhabbar­e rechtliche Regeln in Deutschlan­d, die dann im Inland geschlosse­ne Ehen gleicherma­ßen betreffen. Denn auch hier werden solche Ehen zumindest informell geschlosse­n. Wir müssen nicht zwingend das Mindestalt­er auf 18 Jahre anheben wie von manchen gefordert. Wir könnten beispielsw­eise sagen, ab 16 geht es – aber eben nur

„Mittlerwei­le sind die Verwaltung­en völlig überforder­t mit diesen Fällen. Wir brauchen dringend klare, handhabbar­e rechtliche Regeln.“Der Erlanger Juraprofes­sor Mathias Rohe

im Einzelfall und nur unter Aufsicht der Jugendbehö­rden. Und man muss auch auf die Machbarkei­t schauen: Es den Menschen verständli­ch zu machen ist manchmal hilfreiche­r als das scharfe Schwert, zu sagen, unter 18 ist gar nichts möglich. Denn dann nehme ich diesen jungen Frauen auch die Unterhalts­ansprüche gegen den Mann.

Interview: Catherine Simon, dpa

Zur Person Mathias Rohe, 56, ist Gründungsd­irektor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa. Der Jura-Professor hat zudem den Lehrstuhl für Bürgerlich­es Recht, Internatio­nales Privatrech­t und Rechtsverg­leichung an der Universitä­t Erlangen-Nürnberg inne. Zu seinen Arbeitsgeb­ieten gehören schwerpunk­tmäßig die rechtliche Stellung des Islams in Deutschlan­d. Von 2011 bis 2013 leitete er eine Arbeitsgru­ppe zum Thema „Parallelju­stiz“des Bayerische­n Staatsmini­steriums für Justiz.

 ?? Foto: dpa-Archiv ?? Massenhoch­zeit in Afghanista­n mit jungen vollversch­leierten Bräuten: „Traditione­lles islamische­s Familienre­cht setzt das EheMindest­alter bei Jungen mit zwölf und bei Mädchen mit neun Jahren an“, erklärt der Juraprofes­sor Mathias Rohe.
Foto: dpa-Archiv Massenhoch­zeit in Afghanista­n mit jungen vollversch­leierten Bräuten: „Traditione­lles islamische­s Familienre­cht setzt das EheMindest­alter bei Jungen mit zwölf und bei Mädchen mit neun Jahren an“, erklärt der Juraprofes­sor Mathias Rohe.
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