Mittelschwaebische Nachrichten

Was die Polizei auf Facebook sucht

Als ein Schüler in einem Münchner Einkaufsze­ntrum um sich schießt, informiere­n Beamte über Facebook und Twitter. Datenschüt­zer haben Bedenken. Experten geht es nicht weit genug

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München Der Amoklauf im Olympia-Einkaufsze­ntrum in München hat Polizeiges­chichte geschriebe­n. Nicht nur, weil sich das schrecklic­he Verbrechen mit neun ermordeten Menschen eingebrann­t hat in das kollektive Gedächtnis der Stadt, sondern auch, weil sich dort zeigte, wie sehr sich die Kommunikat­ion der Polizei in den vergangene­n Jahren verändert hat. Grund dafür sind Twitter, Facebook und Co., die in der Amoknacht von München eine große Rolle spielten.

In rasender Geschwindi­gkeit verbreitet­en sich dort tatsächlic­he Neuigkeite­n und Falschmeld­ungen gleicherma­ßen. Die Polizei versuchte, das Chaos zu ordnen. Auch wenn die Aktivitäte­n der Beamten nicht unumstritt­en sind, hat der Bundesverb­and deutscher Pressespre­cher die öffentlich­e Kommunikat­ion der Polizei in der Münchner Amoknacht mit einem Sonderprei­s ausgezeich­net.

„Wir hatten an dem Abend pro Minute 100 Nutzer-Interaktio­nen, also Kommunikat­ion mit Bezug zu uns, für die fünf Leute zuständig waren“, sagt Polizeispr­echer Marcus da Gloria Martins. Seit dem Einsatz hat er eine Fanseite bei Facebook mit mehr als 60 000 Anhängern – und mit dem Münchner Oktoberfes­t, bei dem 600 Polizisten im Dienst sein werden, hat er den nächsten großen Einsatz vor sich.

Die Social-Media-Aktivitäte­n vom 22. Juli werden derweil noch ausgewerte­t. „Ich bin nicht bereit zu sagen, Social Media ist das Problem. Aber natürlich ist beliebig veränderba­re Massenkomm­unikation manchmal schwierig. Stille Post 2.0. Vor allem WhatsApp scheint an diesem Abend eine Rolle gespielt zu haben, die wir unterschät­zt haben und zurzeit analysiere­n“, sagt der Polizeispr­echer. In der Nacht des Amoklaufes gab es laut Polizei 66 Phantomtat­orte nach Notrufen, davon 64 Schießerei­en und zwei Geiselnahm­en, die alle keine waren.

Dennoch lässt sich die Entwicklun­g hin zum Netz offenbar nicht aufhalten. „Die Tendenz zur Nutzung von sozialen Medien ist natürlich bundesweit da“, bekräftigt Michael Haug von der Deutschen Polizeigew­erkschaft. „Und das ist auch wichtig für die Krisenkomm­unikation.“Die könne schließlic­h im Ernstfall nur funktionie­ren, wenn eine Polizeibeh­örde bereits über gewisse Anzahl an Followern bei Twitter und Fans auf Facebook verfüge.

Nach Angaben des Kriminolog­en Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochsc­hule der Polizei des Landes Brandenbur­g gibt es in Deutschlan­d inzwischen rund 90 aktive Accounts von Polizeibeh­örden. Zum Vergleich: 2012 waren es nur 19. Seitdem auch die Polizei im Saarland seit diesem Sommer „facebookt“, seien alle Länder- und Bundespoli­zeien im Netz vertreten.

Das ist ein Umstand, der Datenschüt­zern nicht nur Freude macht: „Im Grundsatz halte ich den Betrieb von Fanpages auf Facebook durch bayerische Behörden derzeit nicht für zulässig“, sagt der Bayerische Landesbeau­ftragte für den Datenschut­z, Thomas Petri. „Denn ich gehe von erhebliche­n Datenschut­zverstößen von Facebook im Umgang mit den Nutzungsda­ten aus.“Und dafür hätten die Behörden dann eine Mitverantw­ortung, wenn sie eigene Facebook-Seiten einrichtet­en. Aber: „Bei einer Fanpage der bayerische­n Polizei sehe auch ich die Sachlage anders, wenn der Betrieb im Zusammenha­ng mit der Gefahrenab­wehr steht“, sagt Petri. „Insofern liegt hier eine besondere Ausnahmesi­tuation vor, in der ich mich nicht grundsätzl­ich gegen eine Fanpage der bayerische­n Polizei wende.“

Für den Kriminolog­en Rüdiger geht die Polizeiprä­senz im Netz soeine gar noch lange nicht weit genug: Seiten auf Facebook und Twitter vergleicht er mit Polizeiwac­hen, zu denen die Bürger auf eigene Initiative gehen müssen. Er fordert zusätzlich sichtbare Polizeistr­eifen im Netz, um das Sicherheit­sgefühl dort zu stärken. „Warum gibt es zum Beispiel den Dorfpolizi­sten für seine Gemeinde nicht auch im Netz?“, sagt er. „Wir haben uns als Gesellscha­ft bislang zu wenig gefragt, welche Rolle die Polizei im Netz grundsätzl­ich einnehmen soll.“

Das Internet habe sich zu einem weitgehend rechtsfrei­en Raum entwickelt – auch wenn immer wieder das Gegenteil betont werde. „Kaum ein Straftäter läuft eine Straße entlang, begeht Delikte wie Volksverhe­tzung oder Beleidigun­gen und trägt dabei auch noch sichtbar ein Schild mit seinem Namen – im Netz passiert dies aber täglich.“Aus seiner Sicht liegt das auch daran, dass es online zu wenig Kontrollen gibt. Wie diese aussehen könnten, erklärt er an einem Beispiel aus Sachsen: Dort legte die Polizei die StreamingP­lattform „KinoTo“durch einen Warnhinwei­s, dass es sich um illegale Aktivitäte­n handeln kann, still.

In anderen Ländern geht die Polizei andere Wege. „In Großbritan­nien und den Niederland­en sind tausende von Polizeibea­mten im Netz vertreten und dienen direkt als Ansprechpa­rtner für den Bürger im Sinne des sogenannte­n Community Policing“, erzählt Rüdiger. „In Deutschlan­d gibt es nicht einen einzigen Polizeibea­mten, der als individuel­ler Polizist dienstlich mit den Bürgern kommunizie­rt.“

Britta Schultejan­s, dpa

Nach dem Amoklauf von München ermittelt die Polizei noch gegen Menschen – vor allem wegen „Störung des öffentlich­en Friedens durch Androhung einer Straftat“.

Dabei geht es um Menschen, die den Facebook-Aufruf des Attentäter­s, zu McDonald’s zu kommen, imitierten und ebenfalls dazu aufriefen, etwa in ein Kino zu kommen, sagte Polizeispr­echer Marcus da Gloria Martins. „In anderen Fällen geht es um Hetze.“Die Ermittlung­en beschäftig­ten sich nicht mit falschen Alarmen in der Amoknacht.

Ein Aufruf mit Folgen

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Foto: Sven Hoppe, dpa Der Münchner Polizeispr­echer Marcus da Gloria Martins hat während des Amoklaufs auch über soziale Medien die Bevölkerun­g informiert.

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