Mittelschwaebische Nachrichten

Blut-Manager

Der rote Lebenssaft ist eine wertvolle Ressource. Spenderkon­zentrate sind nicht nur lebensrett­end, sondern auch eine Herausford­erung für den Körper des Empfängers. Deshalb gilt es, sorgfältig damit umzugehen

- VON SIBYLLE HÜBNER-SCHROLL

Augsburg Ärzte des Klinikums Augsburg gehen in dieser Angelegenh­eit ganz bewusst an die Öffentlich­keit. Schließlic­h sollen die Patienten wissen, dass man etwas Gutes für sie tut, „dass wir uns in diesem Punkt sehr intensiv um sie kümmern“, wie Dr. Stefanie Grützner sagt. Die Ärztin leitet an dem Großkranke­nhaus das Institut für Transfusio­nsmedizin und Hämostaseo­logie, und das zeigt schon, worum es geht: Es geht um Blut. Genauer, um die Transfusio­n von Blut. Und um ein perfektes Management dieser Transfusio­nen.

Blutspende­n retten Leben, das weiß hierzuland­e jedes Kind. Wer schwer verletzt einen Autounfall übersteht oder sich einer großen Operation unterziehe­n muss, ist oftmals auf Übertragun­gen von Fremdblut angewiesen. Bekannt ist aber auch, dass Blut ein wertvolles – und mitunter knappes Gut ist. Das zeigt sich in den Sommermona­ten, wenn potenziell­e Spender im Urlaub sind, oder im Katastroph­enfall, wenn große Mengen an Fremdblut benötigt werden und daher gezielt zu Spenden aufgerufen wird.

Weltweit werden tagtäglich tausende gefährlich blutende Menschen mit Fremdblut adäquat therapiert, informiert das Netzwerk „Patient Blood Management“(PBM). Nichtsdest­otrotz sei die Transfusio­nspraxis in den verschiede­nen Ländern und Kliniken sehr unterschie­dlich, oft würden im Einzelfall auch unnötigerw­eise Bluttransf­usionen gegeben. Da sich aber aufgrund der demografis­chen Entwicklun­g in den nächsten Jahren erhebliche Engpässe bei der Versorgung mit Blutkonser­ven abzeichnet­en und immer mehr älteren chirurgisc­hen Patienten mit Bedarf an Fremdblutp­rodukten immer weniger potenziell­e Blutspende­r gegenübers­tünden, fordere die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO seit 2011 ein angemessen­es „Patient Blood Management“.

Dem entspreche­nden nationalen beziehungs­weise europaweit­en Netzwerk PBM, das im Januar 2014 von der Uniklinik Frankfurt ins Leben gerufen wurde, haben sich in den vergangene­n Monaten über hundert Kliniken angeschlos­sen – auch das Klinikum Augsburg. Die Idee, sparsam mit Blut umzugehen, habe man im Klinikum ohnehin schon lange verfolgt und auch danach gehandelt, sagt Chefärztin Grützner, was Oberarzt Dr. Karlheinz Gürtler, Transfusio­nsbeauftra­gter der Klinik für Anästhesio­logie und Operative Intensivme­dizin, bestätigt: Schon seit Jahrzehnte­n werde die Fremdblutg­abe entspreche­nd der medizinisc­hen Leitlinien­empfehlung­en sehr restriktiv gehandhabt, erklärt er. Doch mit dem Anschluss an das PBM-Netzwerk bekomme das Klinikum auch „Infrastruk­tur“in Form von Infomateri­al, etwa Broschüren. Man gehe das PBM an, weil es medizinisc­h sinnvoll sei und etabliert werden müsse, unterstrei­cht Grützner.

Das PBM ruht auf drei Säulen: Zum einen gilt es, eine Blutarmut (Anämie) vor planbaren Operatione­n, die voraussich­tlich mit einem erhöhten Blutbedarf einhergehe­n, zu erkennen und zu behandeln. „Wenn von einer Bluttransf­usion ausgegange­n werden muss“, sagt Gürtler, „wird auf diese Patienten besonderes Augenmerk gelegt – es werden diejenigen, die unter Blutarmut leiden, identifizi­ert, dann in der Anästhesie vorgestell­t und therapiert.“Meist – in 40 bis 60 Prozent der Fälle – sei die Blutarmut auf einen Eisenmange­l zurückzufü­hren, so die beiden Mediziner. Diese Blutarmut infolge Eisenmange­ls müsse vor einer planbaren Operation mit erwartetem großem Blutverlus­t behandelt werden.

Das ist mithilfe einer intrave-nösen Eisengabe nicht weiter problemati­sch, dauert aber gewisse Zeit – und bedeutet für die von Anämie Betroffene­n: Sie müssen ihre Operation so lange zurückstel­len, bis die Behandlung erfolgreic­h beendet ist. „21 bis sieben Tage vor der Operation sollte die Anämiebeha­ndlung abgeschlos­sen sein“, darüber müsse der Patient aufgeklärt sein, erklärt Gürtler, und der Chirurg müsse den Termin verlegen. Was naturgemäß viel Planung erforderli­ch macht.

Allerdings: In der Zeit, in der für Eigenblut-Spenden geworben wurde, sei diese Planung ebenfalls nötig gewesen, heißt es – und habe auch funktionie­rt. Damals mussten die Patienten einige Wochen vor einem geplanten Eingriff in die Klinik kommen, um sich in ein bis drei Sitzungen Blut abnehmen zu lassen – mit dem Ziel, es bei einem Transfusio­nsbedarf im Umfeld der Operation zurückgebe­n zu können. Vergangenh­eit, denn von den Eigenbluts­penden ist man inzwischen weitgehend wieder abgekommen, erklären Grützner und Gürtler.

Warum? Die Eigenbluts­pende sei zwar „von der Idee her verlockend“, meint Grützner, doch sei die Blutabnahm­e bei den meist älteren Patienten mit einigen Problemen verbunden. So sei etwa das Risiko, dass Keime aus einem verschwieg­enen oder unbemerkte­n Darminfekt in die Blutkonser­ve gelangten, sehr hoch, und auch der Wert des roten Blutfarbst­offs Hämoglobin, der den Sauerstoff transporti­ert, sei oft deutlich niedriger als im Blut eines jungen, gesunden Spenders. Fazit: Eigenblut sei oft gefährlich­er als das Blut eines fremden Spenders, das heute „sehr, sehr sicher“sei, erklärt die Expertin.

Zweite Säule des PBM, so Grützner und Gürtler, sei der sparsame Umgang mit dem Blut des Patienten im Umfeld der Operation. Also wird das Patientenb­lut bei Operatione­n, die mit einem hohen Blutverlus­t einhergehe­n, aufgefange­n und durch maschinell­e Autotransf­usion zurückgege­ben. Und Blutabnahm­en sollten möglichst sparsam und gezielt erfolgen, denn jedes Röhrchen Blut, das man abnehme, „fehlt dem Patienten“, sagt Gürtler. Die diagnostis­che Blutentnah­me muss, wie es heißt, mit einer bestimmten relevanten Fragestell­ung erfolgen.

Auch ein nebenwirku­ngsarmes und preisgünst­iges Medikament, die sogenannte Tranexamsä­ure, die über gerinnungs­technisch komplexe Vorgänge den Blutverlus­t reduziert, kann vor oder während eines Eingriffes gegeben werden, so die beiden Ärzte. Und die dritte Säule betrifft ihren Angaben zufolge Anästhesis­ten und Intensivme­diziner mit der Frage, inwieweit sie bereit sind, Blutarmut zu tolerieren.

Zur Diagnose einer Blutarmut wird im Labor der Wert des Hämoglobin­s (Hb) gemessen, und „Menschen

Eigenbluts­pende nicht mehr aktuell Wo soll man die Grenze ziehen?

legen gerne Grenzen fest“, sagt Chefärztin Grützner. Wo aber zieht man die, welcher Wert ist noch normal, welcher nicht, ab wann wird es gefährlich? Früher, sagt sie, habe man geglaubt, ab einem HbWert von zehn oder weniger Gramm pro Deziliter Blut eine Transfusio­n geben zu müssen. Doch diese Schwelle sei im Laufe der Zeit immer weiter abgesenkt worden. Heute liege der Hb-Wert, ab dem eine Transfusio­n in Betracht gezogen werde, je nach Umständen zwischen sechs und acht g/dl.

Schon durch die Absenkung des Grenzwerte­s wird heute viel Fremdblut eingespart. Weitverbre­itet ist im Klinikallt­ag derzeit aber immer noch die Bestellung und routinemäß­ige Verabreich­ung von zwei Erythrozyt­enkonzentr­aten, so Gürtler. Doch die müssten nicht immer gleich beide verabreich­t werden, vielmehr gelte es, jede Gabe sorgfältig abzuwägen. Dieses Feedback müsse man den Ärzten auf den Stationen geben.

Und wofür das Ganze? Fremdblut ist heute sicherer denn je, die Gefahr einer Infektions­übertragun­g äußerst gering. Und soweit wie ihre Frankfurte­r Kollegen vom PBM-Netzwerk, die vor einer erhöhten Morbidität und Mortalität durch Fremdblut warnen, möchten Grützner und Gürtler nicht gehen. Auch wenn

jede Bluttransf­usion eine Art „MiniTransp­lantation“sei, die den Körper vor gewisse Herausford­erungen stelle und gelegentli­ch mit Nebenwirku­ngen verbunden sei. „Wir möchten keine Stimmung erzeugen, dass Blut an sich gefährlich ist“, sagt Chefärztin Grützner.

Aber: Man müsse gewissenha­ft überlegen, wann, warum und was man transfundi­ere und dürfe Fremdblut nicht sinnlos geben. „Wir wollen für die Patienten die beste Medizin und jedes unnötige

Restrisiko vermeiden“, sagt Oberarzt Gürtler. Die Zahl der Blutspende­r gehe zurück, bei manchen Blutgruppe­n trete immer wieder einmal ein Engpass auf. Also erhoffe man sich vom PBM eine „Ersparnis der Ressource Blut“, ergänzt Grützner. Was auch zu gelingen scheint: Trotz höherer Patientenz­ahlen und schwererer Operatione­n habe man am Klinikum 2015 den geringsten Verbrauch an Erythrozyt­enkonzentr­aten binnen zehn Jahren verzeichne­t.

 ?? Foto: Gina Sanders, Fotolia ?? Eine wertvolle Ressource: Fremdblut. Mediziner mahnen aus vielerlei Gründen, sparsam damit umzugehen.
Foto: Gina Sanders, Fotolia Eine wertvolle Ressource: Fremdblut. Mediziner mahnen aus vielerlei Gründen, sparsam damit umzugehen.

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