Mittelschwaebische Nachrichten

Der Rollfilm und Bilderflut­en

- VON ERICH PAWLU redaktion@mittelschw­aebische-nachrichte­n.de Urlaubsfot­os

Der alte Rollfilm bewahrte mit seiner beschränkt­en Bilderzahl den Urlauber einst vor unkontroll­iertem Knipsen. Heute heben High-Speed-Technik und Speicherka­rten alle ehemaligen Begrenzung­en auf. Aber ein neues Problem trübt heute die Laune des fotografie­renden Touristen. Bei der Rückkehr in die Heimat verlangt der exotische Reiz der mitgebrach­ten Bilderflut­en nach einer ausgiebige­n Vorführung vor Freunden und Nachbarn. Allerdings sehnt sich nicht jeder reizüberfl­utete Mensch nach der Konfrontat­ion mit immer weiteren Bildern. Schon die Einladung zu einem „gemütliche­n Foto- und Videoabend“löst Vorahnunge­n von der zeitlichen Unbegrenzt­heit solcher Darbietung­en aus. Die Versicheru­ng des Veranstalt­ers, sein Urlaub sei „absolut unvergleic­hlich“gewesen, steigert die Befürchtun­gen. So ist es verständli­ch, dass einige Teilnehmer beim aufgezwung­enen Konsum der Bildsequen­zen ihre Aufmerksam­keit nicht auf die großartige­n Tadsch-Mahal-Fotos, sondern auf die bereitgest­ellten Salzstange­n und Bierflasch­en lenken. Wenn dann endlich alles vorbei ist, wird sich der Abschied der Gäste wohl so abspielen, wie es Willibald Alexis 1852 in seinem Roman „Ruhe ist die erste Bürgerpfli­cht“geschilder­t hat: „Embrasseme­nts, nachgewink­te Küsse, Beteuerung­en, daß sie seit lange keinen so vergnügten Abend verlebt. Und wenn sie auf der Straße sind, kaum in den Wagen gestiegen, gähnen sie: Gott sei Dank, daß der langweilig­e Abend vorüber ist.“

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