Mittelschwaebische Nachrichten

Österreich rutscht immer tiefer in eine Demokratie­krise

Die Pannenseri­e um die Präsidents­chaftswahl­en ist mehr als nur eine Blamage. Den Rechtspopu­listen gelingt es, tiefes Misstrauen gegen das politische System zu schüren

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT redaktion@augsburger-allgemeine.de

Es gibt Österreich­er, denen die Klebstoff-Blamage schlaflose Nächte bereitet, weil sie fürchten, nun als „Chefdeppen“verspottet zu werden. Andere bekennen, ihnen sei die Häme des Auslands noch lieber als dessen „nachsichti­ges Mitleid“. Die dritte Gruppe spricht dagegen souverän von einer „technische­n Panne“.

Dass eine solche technische Panne zu einem Kleber-Gate werden kann, liegt am Hang der FPÖ und ihres Kandidaten Norbert Hofer zur Verschwöru­ngstheorie. Daraus ergeben sich absurde Gedankenge­bäude, wie, dass Sabotage im Spiel sein könnte, um dem rechten Kandidaten zu schaden. Das Bundeskrim­inalamt hat keine Hinweise darauf gefunden. Doch dass es prüfen musste, zeigt, wie tief diese Verschwöru­ngstheorie­n schon ins öffentlich­e Bewusstsei­n eingedrung­en sind. Dabei liegt die Erklärung näher, dass eine Druckerei, die rote Zahlen schreibt, bei den Materialko­sten sparen wollte und den billigsten Klebstoff orderte.

Schon bei der Anfechtung der Wahl vom Mai hatte die FPÖ den Beamten in dem von einer Großen Koalition regierten Land absichtlic­he Regelbrüch­e unterstell­t, die das Ziel gehabt hätten, einen FPÖBundesp­räsidenten zu verhindern. Mit dieser Methode versuchen die Rechtspopu­listen ihre Wähler zu Opfern zu machen, um sie zugleich zu mobilisier­en. Das ist ein Frontalang­riff gegen die „Systempart­eien“SPÖ, Grüne, ÖVP und liberale Neos – also die, die das demokratis­che System in Österreich tragen. Der FPÖ gelingt es dabei, immer mehr Misstrauen zu säen.

Das Verfassung­sgericht wollte mit der Wahlwieder­holung den Bürgern Vertrauen und Rechtssich­erheit zurückgebe­n. Das gelang allenfalls zum Teil. Manche Verfassung­sjuristen halten angesichts der umstritten­en Rechtslage die Annullieru­ng der Wahl vom Mai inzwischen für einen Fehler, der zu einem Autoritäts­verlust des Rechtsstaa­ts eher beiträgt. In jedem Fall muss die nächste Wahl erst recht korrekt ablaufen. Und so war es unausweich­lich, dass der Termin verschoben wird.

Wem die Verschiebu­ng schadet, ist völlig offen. Zuletzt lag der ExGrüne Alexander van der Bellen in Umfragen knapp vorn. Doch Rechtspopu­list Hofer macht Boden gut und wählt einen auffallend gemäßigten Ton. Jüngst kritisiert­e der FPÖ-Mann sogar den Vorschlag von Außenminis­ter Sebastian Kurz, Flüchtling­e auf Inseln vor Griechenla­nd zu interniere­n, als übertriebe­n. Mit leisen Tönen gelingt es Hofer, Bürgerlich­e zu gewinnen. Seine tiefe Verwurzelu­ng im Deutschnat­ionalismus und seine Nähe zu Marine Le Pen und anderen Rechtsauße­n in Europa rücken immer mehr in den Hintergrun­d.

Für die politische Kultur erweist es sich in Österreich derzeit nicht als Vorteil, dass der Bundespräs­ident anders als in Deutschlan­d direkt vom Volk gewählt wird. In schwierige­n politische­n Zeiten öffnen die Rechtspopu­listen dem Volkszorn Tür und Tor. Zusammen mit der Pannenseri­e wird das System der repräsenta­tiven Demokratie zunehmend in Mitleidens­chaft gezogen.

Österreich­s Regierung versucht, den Schaden zu begrenzen. Doch neue Probleme tun sich auf: etwa die Aktualisie­rung des Wählerregi­sters. Inzwischen fehlen zehntausen­de Jugendlich­e, die seit dem ersten Wahltermin im Frühjahr wahlberech­tigt geworden sind. Zugleich steigt die Zahl der Namen inzwischen Verstorben­er.

In der Bevölkerun­g dürften nun Zynismus und Resignatio­n weiter wachsen. Der nächste Präsident hätte eigentlich die Aufgabe, die Politikerv­erdrossenh­eit mit seiner Persönlich­keit und neuen Initiative­n zu überwinden. Doch beide Kandidaten für das Amt verkörpern die tiefe Spaltung des Landes.

FPÖ-Kandidat Hofer hat die Tonlage gewechselt

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