Mittelschwaebische Nachrichten
Warum Frauen für den IS töten
Ein Terrorkommando plant einen Anschlag in Paris. Die Polizei kann ihn gerade noch verhindern. Alle Täter sind weiblich. Das gab es noch nie. Wieso begeistern sich ausgerechnet Frauen für den Islamischen Staat, der sie behandelt wie im finsteren Mittelalt
Paris/Augsburg Sie müssen doch wissen, dass ihre Waffenbrüder schon Neunjährige zur Ehe zwingen. Dass die Männer Modegeschäfte, Schönheitssalons, ja alles Westliche für Teufelszeug halten. Andere Frauen als Kriegsbeute betrachten, massenhaft vergewaltigen und als Sklavinnen missbrauchen. All das müssen sie doch wissen. Und trotzdem kehren diese Frauen ihrer Heimat – Deutschland, Belgien oder Frankreich – zumindest emotional den Rücken und schwören dem Islamischen Staat und seinen Kämpfern ewige Treue. Sind sogar bereit, selbst zur Mörderin zu werden und ein Blutbad anzurichten, was die Polizei vergangene Woche in Paris so eben noch verhindert hat. Wie passt das alles zusammen? Nun sind Frauen als Terroristen keine neue Erscheinung. Tschetschenische Rebellen haben ihre „schwarzen Witwen“in den Kampf geschickt, ebenso die palästinensische Hamas ihre Selbstmordattentäterinnen. Und auch die westeuropäische Geschichte kennt viele Beispiele, die RAF beispielsweise mit Führungsfiguren wie Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin oder Brigitte Mohnhaupt. Es wäre ja auch naiv, politischen oder religiösen Fanatismus in die rein männliche Ecke zu schieben.
Aber warum lassen sich Frauen ausgerechnet von einer Terrororganisation rekrutieren, die ihnen eine Rolle wie im finsteren Mittelalter zuweist? Warum unterwerfen sie sich einer Ideologie, die ihre Rechte mit Füßen tritt? Und warum himmeln sie die Schergen auch noch an, als wären diese Popstars?
Allein aus Deutschland sind bislang mehr als 800 Kämpfer für den IS angeworben worden. Etwa 20 Prozent derjenigen, die sich auf den Weg nach Syrien machen, seien Frauen, sagt der Islamwissenschaftler Marwan Abou-Taam vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz. Zu den wenigen bekannten Fällen gehört der einer 31-Jährigen, die im Allgäu lebte, zum Islam übertrat und 2015 vom Münchner Landgericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde – allerdings nicht wegen terroristischer Umtriebe, sondern weil sie ohne Wissen des getrennt lebenden Vaters ihre beiden kleinen Töchter mit ins Kriegsgebiet genommen hatte. Heute wohnt sie in Nordrhein-Westfalen.
Hinzu kommen diejenigen, die im Westen in die salafistische Szene abtauchen, vor Ort Bestandteil eines länderübergreifenden islamistischen Netzwerks werden und sich zum Handlanger des IS machen lassen. Um dann als kleine Terrorzelle womöglich vor der eigenen Haustür zuzuschlagen.
Paris, vergangener Freitag. Obwohl die Dunkelheit schon hereinbricht, bittet Oberstaatsanwalt François Molins noch schnell zu einer Pressekonferenz. Zu brisant sind die Ermittlungsergebnisse nach dem geplanten Terroranschlag in der französischen Hauptstadt, der gerade noch rechtzeitig verhindert wurde, als dass man damit noch bis Montag warten kann. Ein Terrorkommando des IS, das nur aus Frauen besteht – für Molins hat diese Erkenntnis eine neue Qualität. Sie zeige einerseits, „dass die Organisation jetzt Frauen zu Kämpferinnen macht“. Und: Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass Frauen vom IS nur für häusliche Pflichten vorgesehen sind.
So entstehen Geschichten wie die von Inès M., der, wie es scheint, Rädelsführerin von Paris. Ein nettes Mädchen sei sie gewesen, etwas schüchtern vielleicht und burschikos, erzählt die Nachbarin in der ruhigen Wohnhaussiedlung in Tremblay-en-France, einer Stadt 30 Kilometer nördlich von Paris. Als Teen- kleidete sich die dritte von fünf Töchtern eines Busfahrers und einer Krankenpflegerin wie jede andere junge Französin. Bis sie plötzlich, vor zwei oder drei Jahren, begann, einen dunklen Schleier überzuwerfen. Und zuletzt kaum mehr aus dem Haus ging.
Nun sitzt sie im Gefängnis, mit ihren gerade einmal 19 Jahren. Nach einem gescheiterten AutobombenAnschlag bei der Kathedrale NotreDame ist sie am Donnerstagabend gemeinsam mit zwei Komplizinnen in einem Vorort von Paris festgenommen worden. Sie versuchten gerade, ein neues Attentat zu verüben, das mindestens einen Pariser Bahnhof treffen sollte, sagt Staatsanwalt Molins. Inès M. wurde angeschossen, nachdem sie und die 23-jährige Sarah H. sich mit Messern bewaffnet auf die Polizisten gestürzt und dabei einen Beamten verletzt hatten. Molins spricht von einem „extrem entschlossenen“Frauen-Kommando.
Inès M. wollte Abu Mohammad al-Adnani rächen, ein ranghohes Gründungsmitglied des IS, der Ende August bei einem Luftschlag in Syrien getötet wurde. Das erklärt sie in einem Brief, den sie bei sich trug und in dem sie der Terrormiliz Treue schwört. „Ich greife euch auf eurem Boden an, um euch zu terrorisieren“, schreibt sie darin.
Für Frankreich sind (versuchte) Terror-Anschläge zu einer bitteren Gewohnheit geworden. Doch erstmals ist dabei eine Gruppe von Täterinnen am Werk. Junge Frauen, teilweise Mütter, die nicht weniger extrem denken und handeln als Männer. 275 der 689 Franzosen, die sich laut Innenministerium im syrisch-irakischen Grenzgebiet aufhalten, sind weiblich. Derzeit laufen 59 Ermittlungsverfahren gegen Frauen wegen Terrorverdachts. „Man geht immer von dem Prinzip aus, dass die Frau ein Opfer ist und unfähig, Gewaltakte auszuführen“, sagt die auf Dschihadistinnen speager zialisierte Soziologin Carole AndréDessornes. Dabei sei deren Engagement für den IS keinesfalls neu und sogar Teil einer Strategie. Denn die Taten von Terroristinnen schockierten besonders und erzeugten höhere Medienaufmerksamkeit.
Die Ausreisepläne von Inès M. nach Syrien waren den Behörden ebenso bekannt wie ihre Verbindungen zu belgischen Dschihadisten. Nachdem sie die Schule ohne Abschluss verlassen hatte, verbrachte sie ihre Tage zu Hause vor dem Computer. Auf der Festplatte fanden die Ermittler brutales Propaganda-Material des IS. Ihr Vater, der 2008 selbst wegen seiner Radikalisierung aufgefallen war, hatte der Polizei ihr Verschwinden gemeldet – und das seines Autos.
Gemeinsam mit der 29-jährigen Ornella G. hatte Inès M. es in der Nacht zum Sonntag vor einer Woche in einer Seitenstraße unweit von Notre-Dame geparkt. Im Kofferraum befanden sich fünf gefüllte Gasflaschen, drei Dieselkanister sowie eine mit Benzin getränkte Decke, die sie mit einer glühenden Zigarette zum Brennen bringen wollten.
Die Frauen entfernten sich vom Auto, kamen aber nochmals zurück, um feststellen zu müssen, dass die erhoffte Explosion ausblieb. Weil sie einen Mann in der Nähe für einen Zivilpolizisten hielten, flohen sie in Panik. Schnell führte die Spur zu M. und G., die ihre Fingerabdrücke hinterlassen hatte. Die Behörden kannten auch sie schon. Während sie und ihr Mann noch am Dienstag in Haft kamen, blieb Inès M. unter Beobachtung.
Sie traf sich mit einer weiteren Frau: Sarah H. Die 23-Jährige aus Südfrankreich, die aus einer katholischen Familie stammt und Ende 2014 konvertierte, wurde im März 2015 in der Türkei auf dem Weg nach Syrien aufgegriffen und nach Frankreich zurückgebracht. Mehreren Mördern soll sie via Internet die Ehe versprochen haben – Larossi Abballa etwa, der am 13. Juni ein Polizistenpaar in einem Pariser Vorort erstochen hat, und Adel Kermiche, einen der beiden Mörder eines katholischen Priesters in einer Kirche bei Rouen.
Festgenommen wurden sie und Inès M. schließlich vor dem Wohnhaus der 39-jährigen Amel S. im südlichen Pariser Vorort BoussySaint-Antoine; auch deren 15-jährige Tochter kam in Untersuchungshaft. Die vierfache Mutter Amel S. soll sich über das Internet radikalisiert haben und stand wohl wie ihre Komplizinnen in Kontakt mit Rachid Kassim, einem französischen Dschihadisten in Syrien, der sehr aktiv in den sozialen Netzwerken ist und als Anstifter des Priester-Mordes bei Rouen galt.
Viele Namen, viele Querverbindungen – was deutlich macht, wie eng die islamistische Szene miteinander verflochten ist. In dem verstörenden, virtuellen Netzwerk stießen die Ermittler auch auf Verbindungen der Frauen zu Hayat Boumeddiene, der Freundin von Amédy Coulibaly, der im Januar 2015 zuerst eine Polizistin und dann vier Menschen während einer Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt erschossen hatte. Boumeddiene war noch vor Coulibalys Tat nach Syrien ausgereist. „Seid für eure Ehemänner, Brüder, Väter, Söhne sichere Stützen und gute Ratgeberinnen“, schrieb sie damals in den einschlägigen Dschihadisten-Netzwerken.
Sie himmeln die Schergen an, als wären sie Popstars Den Frauen wird eine heile Welt vorgegaukelt
Und erreichte mit ihrer radikalen Botschaft Frauen, die sich nicht damit zufriedengeben, die Männer nur zu stützen. Sondern selbst zu extremen Taten schreiten wollen.
Muss uns diese Tatsache noch mehr beunruhigen, als der islamistische Terror es eh schon tut? Asiem El Difraoui ist Politikwissenschaftler und Terrorismusforscher. Am Telefon sagt der Deutsch-Ägypter unserer Zeitung: „Diesen Fall hat es so noch nicht gegeben. Aber erstaunt hat er mich nicht. Es war klar, dass so etwas kommen musste, weil sich der IS immer mehr Frauen zuwendet.“Mit Erfolg – trotz seines mittelalterlichen, frauenfeindlichen Rollenbildes. „Weil den Frauen vorgegaukelt wird, im Islamischen Staat die wahre Freiheit erleben zu dürfen, einer großen Gruppe anzugehören. Sie haben ja dort nicht die Rolle einer jesidischen Sexsklavin.“
Hinzu komme der emanzipatorische Charakter, die Rebellion gegen das Elternhaus. Eine junge islamische Frau in Deutschland, die sich nicht vorschreiben lassen will, diesen oder jenen Türken oder Kurden zu heiraten, könne empfänglich für solche Botschaften sein. „Der IS geht sehr geschickt vor, hat ein gutes Anwerbenetz über das Internet. Dort werben IS-Frauen oft stundenlang um Gleichgesinnte“, sagt El Difraoui.
2015 haben Kämpferinnen der Terrormiliz ein Pamphlet herausgegeben, mit dem sie im Westen Gleichgesinnte gewinnen wollen. Es zeichnet das Bild eines romantischen Lebens im IS-Gebiet an der Seite eines jungen attraktiven Dschihadisten. Einer heilen Welt, die mit der westlichen, aufgeklärten Lebensweise nichts zu tun hat. Im Alter zwischen neun und 16 Jahren solle man heiraten, heißt es darin, man habe dem Mann zu dienen und dürfe nur im Haus arbeiten. Verfasst hat das Papier eine Gruppe namens „AlChansaa“, eine angeblich rein weibliche IS-Brigade. Ob das wirklich stimmt, ist nicht bewiesen.
Und was heißt dies alles nun für den Kampf gegen den islamistischen Terror? Asiem El Difraoui sagt: „Wir müssen noch gezielter Präventionsprogramme für Frauen anbieten.“Klar sei aber auch: „Wir haben es hier mit einem Dschihadismus zu tun, der sich rasend schnell verändert. Und wir tun uns schwer, dieser Geschwindigkeit zu folgen.“