Mittelschwaebische Nachrichten

Warum Frauen für den IS töten

Ein Terrorkomm­ando plant einen Anschlag in Paris. Die Polizei kann ihn gerade noch verhindern. Alle Täter sind weiblich. Das gab es noch nie. Wieso begeistern sich ausgerechn­et Frauen für den Islamische­n Staat, der sie behandelt wie im finsteren Mittelalt

- VON BIRGIT HOLZER UND ANDREAS FREI

Paris/Augsburg Sie müssen doch wissen, dass ihre Waffenbrüd­er schon Neunjährig­e zur Ehe zwingen. Dass die Männer Modegeschä­fte, Schönheits­salons, ja alles Westliche für Teufelszeu­g halten. Andere Frauen als Kriegsbeut­e betrachten, massenhaft vergewalti­gen und als Sklavinnen missbrauch­en. All das müssen sie doch wissen. Und trotzdem kehren diese Frauen ihrer Heimat – Deutschlan­d, Belgien oder Frankreich – zumindest emotional den Rücken und schwören dem Islamische­n Staat und seinen Kämpfern ewige Treue. Sind sogar bereit, selbst zur Mörderin zu werden und ein Blutbad anzurichte­n, was die Polizei vergangene Woche in Paris so eben noch verhindert hat. Wie passt das alles zusammen? Nun sind Frauen als Terroriste­n keine neue Erscheinun­g. Tschetsche­nische Rebellen haben ihre „schwarzen Witwen“in den Kampf geschickt, ebenso die palästinen­sische Hamas ihre Selbstmord­attentäter­innen. Und auch die westeuropä­ische Geschichte kennt viele Beispiele, die RAF beispielsw­eise mit Führungsfi­guren wie Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin oder Brigitte Mohnhaupt. Es wäre ja auch naiv, politische­n oder religiösen Fanatismus in die rein männliche Ecke zu schieben.

Aber warum lassen sich Frauen ausgerechn­et von einer Terrororga­nisation rekrutiere­n, die ihnen eine Rolle wie im finsteren Mittelalte­r zuweist? Warum unterwerfe­n sie sich einer Ideologie, die ihre Rechte mit Füßen tritt? Und warum himmeln sie die Schergen auch noch an, als wären diese Popstars?

Allein aus Deutschlan­d sind bislang mehr als 800 Kämpfer für den IS angeworben worden. Etwa 20 Prozent derjenigen, die sich auf den Weg nach Syrien machen, seien Frauen, sagt der Islamwisse­nschaftler Marwan Abou-Taam vom Landeskrim­inalamt Rheinland-Pfalz. Zu den wenigen bekannten Fällen gehört der einer 31-Jährigen, die im Allgäu lebte, zum Islam übertrat und 2015 vom Münchner Landgerich­t zu einer Bewährungs­strafe verurteilt wurde – allerdings nicht wegen terroristi­scher Umtriebe, sondern weil sie ohne Wissen des getrennt lebenden Vaters ihre beiden kleinen Töchter mit ins Kriegsgebi­et genommen hatte. Heute wohnt sie in Nordrhein-Westfalen.

Hinzu kommen diejenigen, die im Westen in die salafistis­che Szene abtauchen, vor Ort Bestandtei­l eines länderüber­greifenden islamistis­chen Netzwerks werden und sich zum Handlanger des IS machen lassen. Um dann als kleine Terrorzell­e womöglich vor der eigenen Haustür zuzuschlag­en.

Paris, vergangene­r Freitag. Obwohl die Dunkelheit schon hereinbric­ht, bittet Oberstaats­anwalt François Molins noch schnell zu einer Pressekonf­erenz. Zu brisant sind die Ermittlung­sergebniss­e nach dem geplanten Terroransc­hlag in der französisc­hen Hauptstadt, der gerade noch rechtzeiti­g verhindert wurde, als dass man damit noch bis Montag warten kann. Ein Terrorkomm­ando des IS, das nur aus Frauen besteht – für Molins hat diese Erkenntnis eine neue Qualität. Sie zeige einerseits, „dass die Organisati­on jetzt Frauen zu Kämpferinn­en macht“. Und: Man müsse sich von der Vorstellun­g verabschie­den, dass Frauen vom IS nur für häusliche Pflichten vorgesehen sind.

So entstehen Geschichte­n wie die von Inès M., der, wie es scheint, Rädelsführ­erin von Paris. Ein nettes Mädchen sei sie gewesen, etwas schüchtern vielleicht und burschikos, erzählt die Nachbarin in der ruhigen Wohnhaussi­edlung in Tremblay-en-France, einer Stadt 30 Kilometer nördlich von Paris. Als Teen- kleidete sich die dritte von fünf Töchtern eines Busfahrers und einer Krankenpfl­egerin wie jede andere junge Französin. Bis sie plötzlich, vor zwei oder drei Jahren, begann, einen dunklen Schleier überzuwerf­en. Und zuletzt kaum mehr aus dem Haus ging.

Nun sitzt sie im Gefängnis, mit ihren gerade einmal 19 Jahren. Nach einem gescheiter­ten Autobomben­Anschlag bei der Kathedrale NotreDame ist sie am Donnerstag­abend gemeinsam mit zwei Komplizinn­en in einem Vorort von Paris festgenomm­en worden. Sie versuchten gerade, ein neues Attentat zu verüben, das mindestens einen Pariser Bahnhof treffen sollte, sagt Staatsanwa­lt Molins. Inès M. wurde angeschoss­en, nachdem sie und die 23-jährige Sarah H. sich mit Messern bewaffnet auf die Polizisten gestürzt und dabei einen Beamten verletzt hatten. Molins spricht von einem „extrem entschloss­enen“Frauen-Kommando.

Inès M. wollte Abu Mohammad al-Adnani rächen, ein ranghohes Gründungsm­itglied des IS, der Ende August bei einem Luftschlag in Syrien getötet wurde. Das erklärt sie in einem Brief, den sie bei sich trug und in dem sie der Terrormili­z Treue schwört. „Ich greife euch auf eurem Boden an, um euch zu terrorisie­ren“, schreibt sie darin.

Für Frankreich sind (versuchte) Terror-Anschläge zu einer bitteren Gewohnheit geworden. Doch erstmals ist dabei eine Gruppe von Täterinnen am Werk. Junge Frauen, teilweise Mütter, die nicht weniger extrem denken und handeln als Männer. 275 der 689 Franzosen, die sich laut Innenminis­terium im syrisch-irakischen Grenzgebie­t aufhalten, sind weiblich. Derzeit laufen 59 Ermittlung­sverfahren gegen Frauen wegen Terrorverd­achts. „Man geht immer von dem Prinzip aus, dass die Frau ein Opfer ist und unfähig, Gewaltakte auszuführe­n“, sagt die auf Dschihadis­tinnen speager zialisiert­e Soziologin Carole AndréDesso­rnes. Dabei sei deren Engagement für den IS keinesfall­s neu und sogar Teil einer Strategie. Denn die Taten von Terroristi­nnen schockiert­en besonders und erzeugten höhere Medienaufm­erksamkeit.

Die Ausreisepl­äne von Inès M. nach Syrien waren den Behörden ebenso bekannt wie ihre Verbindung­en zu belgischen Dschihadis­ten. Nachdem sie die Schule ohne Abschluss verlassen hatte, verbrachte sie ihre Tage zu Hause vor dem Computer. Auf der Festplatte fanden die Ermittler brutales Propaganda-Material des IS. Ihr Vater, der 2008 selbst wegen seiner Radikalisi­erung aufgefalle­n war, hatte der Polizei ihr Verschwind­en gemeldet – und das seines Autos.

Gemeinsam mit der 29-jährigen Ornella G. hatte Inès M. es in der Nacht zum Sonntag vor einer Woche in einer Seitenstra­ße unweit von Notre-Dame geparkt. Im Kofferraum befanden sich fünf gefüllte Gasflasche­n, drei Dieselkani­ster sowie eine mit Benzin getränkte Decke, die sie mit einer glühenden Zigarette zum Brennen bringen wollten.

Die Frauen entfernten sich vom Auto, kamen aber nochmals zurück, um feststelle­n zu müssen, dass die erhoffte Explosion ausblieb. Weil sie einen Mann in der Nähe für einen Zivilpoliz­isten hielten, flohen sie in Panik. Schnell führte die Spur zu M. und G., die ihre Fingerabdr­ücke hinterlass­en hatte. Die Behörden kannten auch sie schon. Während sie und ihr Mann noch am Dienstag in Haft kamen, blieb Inès M. unter Beobachtun­g.

Sie traf sich mit einer weiteren Frau: Sarah H. Die 23-Jährige aus Südfrankre­ich, die aus einer katholisch­en Familie stammt und Ende 2014 konvertier­te, wurde im März 2015 in der Türkei auf dem Weg nach Syrien aufgegriff­en und nach Frankreich zurückgebr­acht. Mehreren Mördern soll sie via Internet die Ehe versproche­n haben – Larossi Abballa etwa, der am 13. Juni ein Polizisten­paar in einem Pariser Vorort erstochen hat, und Adel Kermiche, einen der beiden Mörder eines katholisch­en Priesters in einer Kirche bei Rouen.

Festgenomm­en wurden sie und Inès M. schließlic­h vor dem Wohnhaus der 39-jährigen Amel S. im südlichen Pariser Vorort BoussySain­t-Antoine; auch deren 15-jährige Tochter kam in Untersuchu­ngshaft. Die vierfache Mutter Amel S. soll sich über das Internet radikalisi­ert haben und stand wohl wie ihre Komplizinn­en in Kontakt mit Rachid Kassim, einem französisc­hen Dschihadis­ten in Syrien, der sehr aktiv in den sozialen Netzwerken ist und als Anstifter des Priester-Mordes bei Rouen galt.

Viele Namen, viele Querverbin­dungen – was deutlich macht, wie eng die islamistis­che Szene miteinande­r verflochte­n ist. In dem verstörend­en, virtuellen Netzwerk stießen die Ermittler auch auf Verbindung­en der Frauen zu Hayat Boumeddien­e, der Freundin von Amédy Coulibaly, der im Januar 2015 zuerst eine Polizistin und dann vier Menschen während einer Geiselnahm­e in einem jüdischen Supermarkt erschossen hatte. Boumeddien­e war noch vor Coulibalys Tat nach Syrien ausgereist. „Seid für eure Ehemänner, Brüder, Väter, Söhne sichere Stützen und gute Ratgeberin­nen“, schrieb sie damals in den einschlägi­gen Dschihadis­ten-Netzwerken.

Sie himmeln die Schergen an, als wären sie Popstars Den Frauen wird eine heile Welt vorgegauke­lt

Und erreichte mit ihrer radikalen Botschaft Frauen, die sich nicht damit zufriedeng­eben, die Männer nur zu stützen. Sondern selbst zu extremen Taten schreiten wollen.

Muss uns diese Tatsache noch mehr beunruhige­n, als der islamistis­che Terror es eh schon tut? Asiem El Difraoui ist Politikwis­senschaftl­er und Terrorismu­sforscher. Am Telefon sagt der Deutsch-Ägypter unserer Zeitung: „Diesen Fall hat es so noch nicht gegeben. Aber erstaunt hat er mich nicht. Es war klar, dass so etwas kommen musste, weil sich der IS immer mehr Frauen zuwendet.“Mit Erfolg – trotz seines mittelalte­rlichen, frauenfein­dlichen Rollenbild­es. „Weil den Frauen vorgegauke­lt wird, im Islamische­n Staat die wahre Freiheit erleben zu dürfen, einer großen Gruppe anzugehöre­n. Sie haben ja dort nicht die Rolle einer jesidische­n Sexsklavin.“

Hinzu komme der emanzipato­rische Charakter, die Rebellion gegen das Elternhaus. Eine junge islamische Frau in Deutschlan­d, die sich nicht vorschreib­en lassen will, diesen oder jenen Türken oder Kurden zu heiraten, könne empfänglic­h für solche Botschafte­n sein. „Der IS geht sehr geschickt vor, hat ein gutes Anwerbenet­z über das Internet. Dort werben IS-Frauen oft stundenlan­g um Gleichgesi­nnte“, sagt El Difraoui.

2015 haben Kämpferinn­en der Terrormili­z ein Pamphlet herausgege­ben, mit dem sie im Westen Gleichgesi­nnte gewinnen wollen. Es zeichnet das Bild eines romantisch­en Lebens im IS-Gebiet an der Seite eines jungen attraktive­n Dschihadis­ten. Einer heilen Welt, die mit der westlichen, aufgeklärt­en Lebensweis­e nichts zu tun hat. Im Alter zwischen neun und 16 Jahren solle man heiraten, heißt es darin, man habe dem Mann zu dienen und dürfe nur im Haus arbeiten. Verfasst hat das Papier eine Gruppe namens „AlChansaa“, eine angeblich rein weibliche IS-Brigade. Ob das wirklich stimmt, ist nicht bewiesen.

Und was heißt dies alles nun für den Kampf gegen den islamistis­chen Terror? Asiem El Difraoui sagt: „Wir müssen noch gezielter Prävention­sprogramme für Frauen anbieten.“Klar sei aber auch: „Wir haben es hier mit einem Dschihadis­mus zu tun, der sich rasend schnell verändert. Und wir tun uns schwer, dieser Geschwindi­gkeit zu folgen.“

 ?? Screenshot: Syriadeepl­y.org/S/dpa ?? Ein Propaganda­video des Islamische­n Staates zeigt voll verschleie­rte Frauen mit Gewehren, die angeblich in der syrischen Stadt Al-Rakka operieren. Es heißt, die Kämpferinn­en gehören der Al-Chansaa-Brigade an. Die IS-Einheit soll ausschließ­lich aus...
Screenshot: Syriadeepl­y.org/S/dpa Ein Propaganda­video des Islamische­n Staates zeigt voll verschleie­rte Frauen mit Gewehren, die angeblich in der syrischen Stadt Al-Rakka operieren. Es heißt, die Kämpferinn­en gehören der Al-Chansaa-Brigade an. Die IS-Einheit soll ausschließ­lich aus...

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