Mittelschwaebische Nachrichten

Die Piraten vor dem Kentern

Fünf Jahre nach ihrem Sensations­erfolg in Berlin steht die Partei vor einem Scherbenha­ufen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Sie treten wieder an. Und zwar nicht nur für das Berliner Abgeordnet­enhaus, das Landesparl­ament der Hauptstadt, sondern auch für die Parlamente in den zwölf Bezirken der Metropole. An Kandidaten jedenfalls herrscht kein Mangel. Und ihre Plakate hängen unübersehb­ar in der ganzen Stadt. Allein das ist für die Berliner „Piraten“schon ein Erfolg. Denn vor kurzem noch sah es so aus, als würde die Partei, die vor fünf Jahren an der Spree einen Sensations­erfolg feierte, aus dem Stand mit 8,9 Prozent der Stimmen in Fraktionss­tärke ins Abgeordnet­enhaus einzog und der etablierte­n Konkurrenz das Fürchten lehrte, kentern und sang- und klanglos untergehen.

Doch rechtzeiti­g vor der Wahl am kommenden Sonntag sind die „Piraten“ wieder aufgetauch­t und mischen den eher laut- und lustlosen Wahlkampf mit ihren frechen Sprüchen und schrillen Plakaten auf. In Umfragen dümpeln sie allerdings bei drei Prozent. Doch die Kurve zeigt nach oben. Zu Beginn des Jahres waren ihre Werte kaum mehr messbar. Vor allem in den links-alternativ geprägten Bezirken Friedrichs­hain-Kreuzberg, Pankow oder Schöneberg, wo viele Studenten, Künstler, Kreative und Hipster zu Hause sind und wo bereits drei Prozent der Stimmen zum Einzug in die Bezirksver­ordnetenve­rsammlunge­n reichen, könnten etliche Mandate in den Rathäusern drin sein.

An der schwierige­n Situation ihrer Partei sind die „Piraten“allerdings selber schuld. Nach dem Triumph bei den Wahlen folgten öffentlich ausgetrage­ner Streit und Personalqu­erelen. Den Ruf einer „Chaostrupp­e“, in der jeder macht, was er will, und keiner den Kurs vorgibt, bekam die Fraktion nicht mehr los. „Fünf Jahre währte ihre Fahrt – und ständig ging einer über Bord“, höhnte der Berliner Tagesspieg­el über die bunte Truppe. Sieben Mitglieder der 15-köpfigen Fraktion traten im Laufe der Legislatur­periode aus der Partei aus, unter ihnen auch Martin Delius, der sich als Vorsitzend­er des Untersuchu­ngsausschu­sses zum Berliner Pannenflug­hafen im Parlament wie in der Öffentlich­keit große Anerkennun­g erwarb, schon seit längerem die Linke unterstütz­t und wenige Tage vor der Wahl offiziell Mitglied der Linken wurde. Die Partei habe nie eine wirkliche Basis gehabt, analysiert er selbstkrit­isch, die Piraten wären „nie politisch“gewesen. „Die internen Streitigke­iten verliefen nie an unterschie­dlichen inhaltlich­en Auffassung­en, sondern immer auf persönlich­er Ebene.“

Ähnlich sieht es auch Christophe­r Lauer, von 2012 bis 2013 Fraktionsc­hef, der 2014 die Partei verließ, zeitweise den „Springer“-Verlag beriet und mit einem Übertritt zur SPD liebäugelt. Er klagte schon früh über die mangelnde Profession­alität der Partei und ihrer Mitglieder.

Gleichwohl bedauern nicht nur Lauer, sondern auch viele Beobachter der politische­n Szene Berlins das sich abzeichnen­de Ausscheide­n der „Piraten“aus dem Landesparl­ament. „Es gibt Themen, die artikulier­t so keine andere Partei“, sagt Lauer. Immer wieder prangerten die Abgeordnet­en den sprichwört­lichen „Berliner Filz“an, setzten mit mehr als 2000 Anträgen sowie parlamenta­rischen Anfragen die Große Koalition unter Druck und prangerten lautstark die Missstände in der Berliner Verwaltung an. Viel ändern konnten sie allerdings nicht. So fällt denn auch die Bilanz von Ex-Pirat Martin Delius nach fünf Jahren Parlaments­arbeit reichlich desillusio­niert aus: „Diesen Berliner Senat kann man nur mit aller Gewalt dazu bringen, sich zu öffnen und ein Mindestmaß an Transparen­z zuzulassen.“

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Foto: dpa Die Piraten sind bekannt für ihre ungewöhnli­chen Wahlplakat­e.

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