Mittelschwaebische Nachrichten

Der Sturm vor der erhofften Ruhe in Syrien

Nach fünf Jahren Krieg sollen die Waffen schweigen. Doch die Zweifel sind groß

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Damaskus Für die Regierungs­gegner in Syrien musste der Auftritt wie Hohn wirken: Kaum zwei Wochen nachdem die Rebellen den jahrelang umkämpften Damaszener Vorort Daraja aufgegeben und die Trümmerlan­dschaft dem Regime überlassen hatten, zeigte sich Machthaber Baschar al-Assad beim öffentlich­en Gebet mitten in der Stadt.

Akkurat im grauen Anzug zelebriert­e er den Beginn des muslimisch­en Opferfeste­s, während Kampfflugz­euge in vielen Teilen des Landes Angriffe flogen. Von der anstehende­n Waffenruhe war zunächst nichts zu spüren. „Die Waffenruhe ist doch ein Witz“, sagt Raed, der mit seinen drei Kindern im Ostteil der nordsyrisc­hen Metropole Aleppo lebt. „In der Vergangenh­eit hat das Regime solche Ankündigun­gen immer nur genutzt, um Gebiete zu erobern und uns zu bombardier­en.“Ihm ist nicht nach Feiern zumute, auch wenn das Opferfest, das Eid alAdha, der höchste islamische Feiertag ist. „Ich habe meinen Kindern gesagt, dass es in diesem Jahr keine neue Kleidung gibt. Wir müssen das Geld sparen, um Essen zu kaufen.“Die Straßen in Städten wie Aleppo oder Idlib sind leer.

Die Menschen bleiben in den Häusern. Kampfflugz­euge donnern über graue Häuser und Ruinenfeld­er hinweg, berichten Bewohner. „In Eid-Stimmung ist hier niemand“, sagt Ibrahim al-Hadsch von der lokalen Hilfsorgan­isation Weißhelme in Aleppo. „Die Menschen leben von Tag zu Tag. Sie fürchten eher, dass es noch schlimmer wird.“Kurz vor Beginn der angekündig­ten Waffenruhe nahmen die Luftangrif­fe noch einmal massiv zu. Kaum hatten US-Außenminis­ter John Kerry und sein russischer Amtskolleg­e Sergej Lawrow am Samstag den Plan zur Waffenruhe verkündet, fielen wieder Bomben. Allein am vergangene­n Wochenende starben mehr als 100 Zivilisten bei Luftangrif­fen.

In einem Schreiben an den USSonderge­sandten für Syrien, Michael Ratney, forderten einige bewaffnete Rebellengr­uppen „Garantien“für die Einhaltung der Waffenruhe. Grundsätzl­ich aber äußerten sie sich positiv zu dem Deal. Die einflussre­iche islamistis­che Miliz Ahrar al-Scham lehnte die Abmachung in einer Videobotsc­haft ab.

Die Situation in Syrien bleibt also weiterhin äußerst fragil. Die kleinste Verletzung der Waffenruhe könnte zu einem Scheitern der gesamten Absprachen führen und weitere Friedensve­rhandlunge­n in schier unerreichb­are Ferne treiben. Noch zeigen sich die verschiede­nen Konfliktpa­rteien militärisc­h und verbal kein Stückchen zurückhalt­end. Auch Syriens Präsident Assad nutzte seinen öffentlich­en Auftritt zum Opferfest, um zu betonen, dass seine Truppen alle Gebiete Syriens zurück unter ihre Kontrolle bringen werden. „Die Streitkräf­te machen, ohne zu zögern und unabhängig von allen inneren und äußeren Bedingunge­n, weiter, die Sicherheit in allen Gebieten Syriens wiederherz­ustellen.“Erste Berichte deuteten darauf hin, dass die Kämpfe nach Eintreten der vereinbart­en Waffenruhe in weiten

Die schiere Zahl der Akteure steht einem Erfolg der Initiative entgegen

Teilen des Landes kurzzeitig zurückgega­ngen sind. Das könnte der Not leidenden Bevölkerun­g zumindest ein wenig Erholung zu den Feiertagen bringen und die Versorgung mit dringend benötigten Hilfsgüter­n ermögliche­n. Ein Ende der Kämpfe ist aber noch lange nicht in Sicht, lediglich eine Reduzierun­g der Gewalt. Denn zu viele Akteure sind inzwischen in den Konflikt involviert.

Die Frontlinie­n wogen ständig hin und her. Auch weil, wie der amerikanis­che Nahost-Forscher Michael Stephens sagt, „kein Akteur bereit ist, so viel Blut und Mittel einzusetze­n, damit seine Stellvertr­eter auf dem Schlachtfe­ld den Krieg wirklich gewinnen“. Simon Kremer, dpa

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Foto: Ameer Alhalbi, afp Zwei Männer, die Babys in Sicherheit bringen, bahnen sich ihren Weg durch die Trümmer ihrer Heimatstad­t Aleppo.

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