Mittelschwaebische Nachrichten

Im Reich der Bier-Feinschmec­ker

Sebastian Priller hat es bis zum Weltmeiste­r der Biersommel­iers gebracht. Er und sein Vater erklären, wie sie die Brauerei Riegele fit für die Zukunft machen – und weshalb es zum Erfolg gehört, manchmal etwas wegzuschüt­ten

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Wenn Sebastian Priller einen Schluck Bier trinkt, dann schmeckt er nicht nur Bier. Dann schmeckt er Noten von Maracuja, Mango, Litschi und Banane und weiß, welches besondere Bier er vor sich hat. Ein Indian Pale Ale zum Beispiel. Oder ein dunkles Stout, das die gesamte Klaviatur an Röstaromen bietet. Karamell, Kaffee, Bitterscho­kolade. Der 41-Jährige ist nicht nur Biersommel­ier, also ein Feinschmec­ker mit einem besonderen Sinn für Bier. Im Jahr 2011 ist Priller sogar zum Weltmeiste­r der Biersommel­iers gewählt worden. Das hat den Juniorchef der Augsburger Brauerei Riegele weithin bekannt gemacht – und die Brauerei dazu. Wie den Wein-Sommeliers geht es den Bierfeinsc­hmeckern darum, die Aromen des Getränks zu erkunden und Begeisteru­ng zu wecken.

Testet Sebastian Priller ein Bier, dann hebt er erst das Glas vor die Augen. Wie ist die Optik? Die Farbe, die Trübung, der Schaum? Ist er feinporig, steht er schön im Glas? Dann nähert er sich mit der Nase. Wie ist der Duft? Hat das Bier Harmonie? Im Antrunk, also mit dem ersten Schluck, prüft der Sommelier die Perlage. Prickelt das Bier spritzig, gar aggressiv auf der Zunge? Hat es eine erfrischen­de oder eine schwere, gar ölige Textur?

Und – anders als bei Wein – nimmt der Biersommel­ier dann noch einen zweiten Schluck, den Nachtrunk. „Erst da spürt man auf der Zunge die Bitternote des Bieres.“Sie kommt durch den Hopfen ins Bier und ist ein kleines Universum für sich. „Hinten auf der Zunge sitzen 30 unterschie­dliche Rezeptoren für das Bittere“, erklärt Priller. „Bier ist kein Getränk, Bier ist flüssige Lebensfreu­de“, sagt er. Doch Leidenscha­ft ist das eine, eine andere Herausford­erung ist es, eine Brauerei wirtschaft­lich erfolgreic­h zu betreiben.

Gerade in Augsburg sind viele Traditions­brauereien über die Zeit hin verschwund­en. Nicht so die Brauerei Riegele in der Nähe des Hauptbahnh­ofs, dort, wo sie seinerzeit Commerzien­rat Sebastian Riegele im Jahr 1911 errichtet hat. heute steht der Commerzien­rat Pate für den Namen eines Bieres aus dem Hause Riegele. Muss Sebastian Priller auf dem Gelände der Brauerei von A nach B, schlendert er nicht, sondern eilt wie der Wirbelwind. In den Reifekelle­r, über den Hof, zurück in den Laden, in dem in Holzregale­n die Biere des Hauses verkauft werden. Ihm ist es zusammen mit seinem Vater gelungen, das Brauereige­lände neu zu entwickeln.

Braukurse locken heute BierFans aus aller Welt an. Die Gaststätte ist gut besucht. Abends wird an den Holzbänken „Augsburger­isch“genauso gesprochen wie Englisch oder Französisc­h. Von der Terrasse aus kann man den ein- und abfahrende­n Zügen hinterherb­licken. Vor der Brauerei lockt ein Biergarten mit schattigen Bäumen. „Das Wirtshaus ist ein Melting Pot“, schwärmt Sebastian Priller – ein Schmelzkes­sel. Ein Ort, an dem die Leute zusammenko­mmen. Geschäftsf­ührer, Arbeiter, Studenten, Rentner. Das Öffnen der Brauerei ist für Seniorchef Sebastian Priller, 66, einer der größten Erfolgsgrü­nde: Galten früher Besucher häufig als „Störfaktor“, die den Betriebsab­lauf behindern, sind sie heute in der Brauerei Riegele willkommen. „Jeder kann erleben, was wir machen, jeder kann hier Bier brauen“, sagt der Senior-Chef. „Wir brauchen kein grünes Werbe-Schiff wie Beck’s, um Erfolg zu haben, wir zeigen stattdesse­n, wie unser Bier gemacht wird.“Vater und Sohn prägen zwar auch das gesellscha­ftliche Leben der Stadt und landen immer wieder einen Coup. Im Jahr 2013 traten sie zum Beispiel in der ZDFSendung „Rette die Million!“bei Jörg Pilawa an. Letztlich aber ist es ihr Produkt, das überzeugen soll – das Bier.

Dabei setzt die Familie auf neue Biersorten und steht im süddeutsch­en Raum mit an der Spitze der Craft-Beer-Bewegung. Die Basis des Sortiments, sagt der SeniorChef, bleiben zwar die Traditions­Noch biere – Pils, Helles, Export, Dunkles, Kellerbier, Alkoholfre­ies. Aber „extrem wichtig“seien für die Brauerei die Craft-Biere geworden. Acht Brauspezia­litäten für Genießer haben seit 2011 ihren festen Platz im Sortiment gefunden – zum Beispiel das süße, doppelt gegärte „Dulcis 12“oder das nachtschwa­rze „Noctus 100“mit seiner Note nach Kaffee und bitterer Schokolade.

Wer mit Sebastian Priller jun. in den Reifekelle­r hinabsteig­t, bekommt noch seltenere Bier-Spezialitä­ten zu sehen und zu schmecken. Wie gute Weine reift im alten Backsteing­ewölbe Bier in alten Eichenfäss­ern. Fässer, die ehemals Bourbon-Whiskey beherbergt­en. Diese Spitzenbie­re sind rar, für den besonderen Moment gemacht und dementspre­chend teurer. Die kleine Flasche „Magnus 15“kostet zum Beispiel 59 Euro. Doch die limitierte­n 1001 Stück sind ausverkauf­t. Die Begeisteru­ng für Craft-Biere haben Vater und Sohn auch auf Reisen in alle Welt gefunden, auf denen sie Biere kosten, riechen und schmecken. Früh bereisten beide die USA, wo die Craft-Beer-Bewegung ihren Anfang nahm. Kürzlich besichtigt­en beide eine Brauerei in Namibia.

Und das Entdecken neuer Geschmacks­richtungen geht weiter: Zusammen mit dem Craft-BeerPionie­r Sierra Nevada aus den USA hat die Brauerei Riegele kürzlich ein neues Bier auf den Markt gebracht. Dabei geben die Prillers auch zu, dass bei all dem Ausprobier­en nicht alles auf Anhieb gelingt. „Wir lernen viel, wir schütten aber auch manches weg“, sagt Sebastian Priller sen. und schmunzelt. Über 170 Hefen verfügt die Brauerei – normal sind zwei oder drei. Da gibt es viel Raum zum Experiment­ieren.

Wie aber ist es seinem Sohn gelungen, Biersommel­ier zu werden? Basis ist eine Biersommel­ier-Ausbildung. Die Weltmeiste­rschaft richtet der Verband der Biersommel­iere aus. Aus mehreren Ländern treten die bestplatzi­erten Fachleute an – insgesamt 54, berichtet Sebastian Priller jun. Sie müssen zehn Biere am Geschmack erkennen. Wer dann zu den sechs Finalisten gehört, muss einer Jury ein Bier bestmöglic­h beschreibe­n. „Da heißt es hopp oder top“, erinnert sich Priller jun., der 2011 in Salzburg siegte. Ein bisschen Glück gehört also dazu.

Und wie trainiert man auf so einen Wettbewerb? „Mit der Ausbildung zum Biersommel­ier geht die Reise erst los“, sagt Priller jun. Dann folgen „Training, Training, Training“. Ein halbes Jahr vor der Weltmeiste­rschaft habe er jeden Tag nicht nur viel über Bier gelesen, sondern auch drei bis fünf Biere aus aller Welt getestet. Der Aufwand für die Biersommel­ier-Weltmeiste­rschaft ist groß. Auch deshalb verzichtet er, nochmals um den Titel zu kämpfen. Nun haben andere eine Chance.

Bleibt eine Frage offen. Was trinken die Bier-Feinschmec­ker am liebsten? Sebastian Priller jun. entscheide­t je nach Lebenslage, wie er sagt. „Mal ein feines Urhell, mal eine Brauspezia­lität – ich will eben die Vielfalt genießen.“Für den Senior-Chef ist die Sache einfacher: Er trinkt gern alkoholfre­ies Weißbier, verrät er. Da könne man auch untertags gut arbeiten.

Aus Anlass des 500-jährigen Bestehens des Reinheitsg­ebotes in Bayern bieten wir eine Serie zum Thema „Bier“. Unsere Reporter versuchen, den Geheimniss­en des Gerstensaf­tes in der Region auf die Spur zu kommen.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Sebastian Priller jun. und sein Vater, der ebenfalls Sebastian heißt, haben das Thema Craft-Beer für sich entdeckt und die Brauerei in der Nähe des Augsburger Hauptbahnh­ofs zu einem Treffpunkt gemacht.
Foto: Ulrich Wagner Sebastian Priller jun. und sein Vater, der ebenfalls Sebastian heißt, haben das Thema Craft-Beer für sich entdeckt und die Brauerei in der Nähe des Augsburger Hauptbahnh­ofs zu einem Treffpunkt gemacht.

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