Mittelschwaebische Nachrichten

Viele Vermieter ignorieren die Mietpreisb­remse

Interessen­ten für eine Wohnung wissen oft zu wenig, um sich zu wehren. Oder sie zahlen freiwillig mehr

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Berlin Lukas Siebenkott­en spricht von Lotterie. Wenn sich bei der Wohnungsbe­sichtigung Dutzende drängen, sich mit Gehaltszet­teln und Empfehlung­en überbieten, dann kann die Mietpreisb­remse schon mal aus dem Blick geraten. Man zahlt, was verlangt wird – auch wenn es mehr ist als erlaubt. „Ein Mieter, der gerade die Lotterie gewonnen hat, legt sich nicht als Erstes mit seinem Vermieter an“, sagt Siebenkott­en, der den Deutschen Mieterbund führt, und präsentier­t neue Studien, die zeigen, was schon andere Analysen nahelegen: Die Mietpreisb­remse greift nicht. Das könnte bald Wahlkampft­hema werden. Die wichtigste­n Punkte im Überblick:

Wo und warum steigen die Mieten?

Mehrere hunderttau­send Deutsche sind in den vergangene­n Jahren in die Großstädte und Uni-Städte gezogen, dort wurden aber bisher nicht genügend neue Wohnungen hochgezoge­n. Zugleich stecken viele Sparer und Investoren Geld in Wohnungen, 2015 war ein Rekordjahr auf dem Immobilien­markt. Folge: In Hamburg stiegen die Mieten seit 2010 um 12 Prozent, in München um 14 Prozent, in Berlin um 26 Pro- Diese Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft bilden nur den Durchschni­tt – in den Innenstädt­en steigen die Mieten noch schneller. Die Mietpreisb­remse gilt auch in 144 bayerische­n Städten und Gemeinden, zum Beispiel in Augsburg und Kempten. In Augsburg fehlt aber aktuell noch ein Mietspiege­l, um sie effektiv nutzen zu können.

Warum funktionie­rt die Mietpreisb­remse nicht?

Seit Juni 2015 gibt es das Gesetz zur Mietpreisb­remse, inzwischen gilt sie in hunderten von Städten in elf der 16 Bundesländ­er. Vermieter dürfen dort bei der Wiederverm­ietung nur noch zehn Prozent mehr als die ortsüblich­e Vergleichs­miete des Mietspiege­ls verlangen. Ausnahmen gibt es bei Neubauten, nach umfassende­r Modernisie­rung und wenn die Miete schon vorher höher war. Doch wer sich als Vermieter nicht an die Bremse hält, muss keine Nachteile fürchten. Fliegt er auf, muss er von dem Zeitpunkt an niedrigere Einzent. nahmen fürchten – Rückzahlun­gen oder Bußgelder nicht. „Das ist ein Anreiz für Vermieter, es doch erst mal zu versuchen“, klagt Siebenkott­en. Zumal der Mieter es oft nicht überprüfen kann, wenn sich der Vermieter auf Ausnahmen beruft – etwa dass er schon vor der Mietpreisb­remse so viel verlangt habe. Ergebnisse einer Untersuchu­ng, nach der Vermieter immer mehr möblierte Wohnungen anbieten, um die Mietpreisb­remse zu umgehen, teilten der Mieterbund und seine Gutachter indes nicht.

Welche gibt es? Veränderun­gsvorschlä­ge

SPD-Bundesjust­izminister Heiko Maas will beispielsw­eise vorschreib­en, dass der Vermieter die vorherige Miete offenlegt (wir berichtete­n). „Wir sind jederzeit bereit, das weitere Anschärfen der Mietpreisb­remse in unser zweites Reformpake­t zu integriere­n“, sagt Maas. Zuletzt zeigte sich auch die Union offen. Mieter-Vertreter sind jedoch skeptisch, ob das auch nach der BerlinWahl an diesem Sonntag noch gilt. Der Mieterbund will zudem, dass mögliche Modernisie­rungskoste­n aufgeliste­t werden, zu viel verlangte Miete zurückgeza­hlt werden muss und der Bestandssc­hutz für zu hohe Mieten fällt. Die Vermieter-Seite würde die Bremse dagegen lieber abschaffen. Sie schädige den Wohnungsma­rkt und belaste das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter, heißt es etwa beim Bundesverb­and deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n. Während die Mieter eine Novelle noch vor der Bundestags­wahl anmahnen, warnen die Eigentümer vor einem Placebo im Zeichen der Bundestags­wahl.

Was wird jenseits der Mietpreisb­remse erwogen?

Maas’ Reformpake­t sieht auch vor, dass Vermieter Modernisie­rungskoste­n weniger umlegen können. Angestrebt werden auch neue Regularien für den Mietspiege­l. Einig sind sich alle Beteiligte­n zudem, dass schnell mehr neue Wohnungen gebaut werden müssen – wenn auch mit unterschie­dlichen Vorstellun­gen darüber, wie das erreicht werden soll. SPD-Bundesbaum­inisterin Barbara Hendriks geht davon aus, dass 350000 neue Wohnungen pro Jahr nötig sind. Das sind gut 100 000 mehr als im vergangene­n Jahr.

Burkhard Fraune, dpa

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Foto: Anne Wall In vielen Städten steigen derzeit Immobilien­preise und Mieten.

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