Mittelschwaebische Nachrichten

Hymne! Aufstehen oder sitzen bleiben?

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger-allgemeine.de

Nationale Symbole wie Hymne und Flagge besitzen in den USA eine überragend­e Bedeutung und nirgendwo spielen sie eine derart große Rolle wie im Sport. Nicht nur in der Abgrenzung nach außen. Ob nationaler Football oder Fußball – am Anfang steht immer die Hymne. Die Hand aufs Herz, die Augen zur Flagge.

Wer Amerika treffen will, verweigert sich diesem Ritual. So wie San Franciscos Football-Profi Colin Kaepernick. Er bleibt seit Wochen vor jedem Spiel sitzen. Damit demonstrie­rt er gegen Rassismus und Polizeigew­alt. Amerika ist aufgebrach­t. Kapernicks Weigerung teilt nicht nur das Land. Vor der Partie der Miami Dolphins gegen die Seattle Seahawks schlossen sich vier Dolphins-Spieler knieend dem Kaepernick-Protest an, während die Seahawks-Profis Arm-inArm zur Hymne standen. Man könnte die Unterschie­de der Formatione­n als Beispiel jener Freiheit feiern, derer sich die USA gerne rühmen. Nur ist es aber so, dass Polizisten sich weigern, im Stadion Dienst zu tun, wenn die Athleten zur Hymne sitzen bleiben.

Im Grundsatz geht es nicht darum, ob der Sport wieder einmal vor den Karren politische­r oder gesellscha­ftlicher Zwecke gespannt wird – das wird er, im Guten wie im Schlechten, so lange irgendwo noch ein Ball rollt – sondern um die Frage, ob der Einzelne Flagge und Hymne ungestraft ignorieren darf. In den USA sicher nicht.

Und bei uns? Ist mit der WM 2006 ein deutlich unverkramp­fteres Verhältnis zu Hymne und Fahnen eingekehrt. Das war höchste Zeit, hat aber auch dazu geführt, dass inzwischen zu jeder Gelegenhei­t die deutsche Hymne erklingt, sich die Menschen ihr selbst beim innerdeuts­chen Start der FußballBun­desliga nicht mehr entziehen können. Dabei geht es ums Produkt, das weltweit verkauft werden will. Hymnenklän­ge und ein ergriffene­s Publikum steigern den Wert. Darüber hinaus ist es sinnlos 22 Profis, von denen die meisten aus Brasilien, Ghana, Marokko, Polen, Serbien, Tschechien, Frankreich oder Österreich kommen mit dem Deutschlan­dlied zu beschallen. Beim Auftakt Schalke 04 gegen den FC Bayern kamen 15 Spieler der Startforma­tionen aus den genannten oder anderen Ländern. Da hatten dann nicht einmal die Lippenlese­r vor den Fernsehern ihren Spaß, die darauf achten, wer bei Länderspie­len die Hymne mitsingt. Wer für Deutschlan­d spielt, sagen sie, muss singen. Wer stumm bleibt dokumentie­rt, dass er nicht dazugehöre­n will.

Aber spielen die da unten alle für ihr Land, nur weil sich der Zuschauer das wünscht? Kämpfen sie nicht eher für die Mannschaft, für sich selbst oder für den Erfolg, der jedem etwas anderes bedeutet? Weil das so völlig offen ist, sollte der eine singen und stehen, der andere schweigen und sitzen dürfen wie er mag.

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